[68]
standortbestimmung
ich lasse mich nicht von dir brauchen
um leben zu dürfen
mitwisser gegen meinen willen
sage ich gegen dich aus
ohne gefragt zu werden
meine nutzlosigkeit
ist ein kunstwerk
ich verweigere mich
deinem zugriff:
allgewaltiger wohlstand
(12.7.1978; 2.9.1978)
[69]
derweil
derweil
dienernde hetzer
kalten kaffee anrichten
zur feuerspeienden labung
dichterer leichenreihen
am blutigen pfade
der tugend
derweil
fresse ich
meinen schneidenden schrei
spucke nicht kotze nicht
trete gestärkt in die reihe
in die unabsehbare reihe
der opfer
(22.3.1978)
[70/71: Illustration; 72]
lehrzeit
I
kein zweifel:
der dichte dunst der vernunft
trübte meinen blick
vorsätzlich
die frage bleibt:
was meine unvernunft geworden wäre
im sonnenlicht
einer schlüssigen lüge
II
was ich in der schule lernte:
schliesse deine hände zu fäusten
offene hände werden mit nägeln durchschlagen
aber: beim märtyrium unseres herrn
nimm die hände nicht aus dem sack
III
mein sonstiges wissen
empfing ich
im glashaus:
jetzt weiss ich
nichts mehr
scherben bringen glück
(1977; 17.8.1978)
[73]
an den empörten leser
du schreist meine verse nieder
du willst jede zeile
einzeln widerlegen
und bedenkst mich
im übrigen mit dem üblichen
hetzenden verhetzten wortschatz
ich kann mich nicht wehren
ist es denn meine sache
mich dort zu wehren
wo aufrechte schweizer meinen
sich gegen sich selbst
verteidigen zu müssen?
(19.9.1978)
[74]
mein kampf
ich sammle korrumpierte wörter
und türme sie zu wilden horden
meine tränen und mein lachen
sind ihre waffen
ich schicke sie in den kampf
gegen die gottgewollte korruption des sinns
meine eitelkeit ist ihre gewalt
mein schweigen ihr tod
(22.7.1978; 17.8.1978)
[75]
lohnabhängig
herbstlicher morgendämmer
in autos auf velos
versteinerte masken
auf dem weg
zur arbeit
an der tramstatiom
halb schlafend noch
halb bewusstlos schon
richten sich welche
hinter zeitungen auf:
an den zahllosen opfern
ihres täglichen eifers
auch ich lese
die schlagzeilen:
immer noch schreiben sie
ABSATZENGPASS
noch immer nicht
ÜBERKAPAZITÄT
an mir vorbei
hasten wandelnde leichen
freie mitbürger
zur tramstation
immer noch ist
nur wachstum
fortschritt
unabsehbar schon
die waffenarsenale
menschen- und gedankentöter
unabsehbar
die massengräber
der täglichen kriege
und unserer herzen
bloss kein pathos jetzt
[76]
als ich mich schlafen lege:
in einem jahr
geht mir das ersparte geld aus
was dann?
(19.9.1978)