IV gespräch über zukunft

 

[53]

tischrede zu deiner aufrichte

 

du hast die baugerüste nun

an deinem weltgebäude abgebrochen

und die vollendung

deines farbenfrohen weltbilds

soll heute feierlich begangen werden

 

von den zinnen deiner bildung

blickst du weit und verständig

in ideologisches feindesland

dein klarblick scheidet gut und böse:

du hast gelernt wo oben ist

du hast gelernt wo unten ist

du weisst es gibt nur einen weg:

den von unten nach oben

du bist bereit zu kämpfen

deine logik ist zwingend

 

auch ich beginne

meine baugerüste abzubrechen

unter dem beben deiner grossen schritte

beginnt mein weltgebäude zu zerfallen

ich habe auf den sand gebaut

den du dir in die augen streust

mein weltbild fällt aus allen rahmen

und im staub der strassen steht geschrieben:

wer unten ist hat keine feinde

der fürchtet sich vor seinen grossen freunden

wer hinauf will hat die feinde oben

wer hinauf kommt hat die feinde unten

wer oben bleibt sucht feinde jenseits

gegen die feinde jenseits hetzt 

wer oben bleibt die untersten

die keine feinde haben

 

wenn du nun einziehst in dein weltgebäude

der du vernunft zu ehelichen gedenkst

 

[54]

so wünsch ich dir dass deine kinder

deine angetraute überleben

so wünsch ich dir die feinde

die du suchst die du verdienst

triffst du aber einen

an den stufen deines palasts

der auf dem boden sitzt

und liest im staub der strassen

so geh ihm aus der sonne

er könnte mein bruder sein

(20.9.1978)

 

[55]

mein jahrgang

 

in den herzen blüht kein widerspruch

die automarke zeugt von lebensqualität

o sie wissen genug

um nicht wissen zu wollen

woran sie bauen

 

zukunft: totentrompeten wachsen im wald

der atompilz

ist nicht essbar

schweres wasser nicht trinkbar

wir sitzen alle im gleichen boot

glauben die geleerensklaven

 

die grosse karrierelotterie verspricht

vergoldete ketten der freiheit

«steh zu deiner meinung»

wirbt die deodorantindustrie

«wie du zu deinem körpergeruch stehst»

 

aus den tempeln der wahrheit

treten die herren der welt

hell liegt ihr heroischer weg

im licht von chromstahl und napalm

 

es wird

einiges unklare und quere 

liquidiert werden müssen

am grabe blutiger zungen

wird mein jahrgang

gesundschrumpfen

(7.9.1978)

 

[56]

rückversicherung

 

an strassenecken:

in wintermänteln aktenkoffernd

handschuhe die sich

blutende verleumdung schütteln

 

hutwärts angst

schreckendes der neonleeren:

kampf den feuersbrünsten

streichhölzer auf mann obligatorisch

 

wimperndes einverständnis:

erlüge mir die sündenböcke

für soviel

lichterlohes gottseidank

 

bleckende sprach

losigkeit wächst aus den mündern:

die zeit

der flammenden rundschläge ist nah

(20.3.1978)

 

[57]

androhung des paradieses

 

jeder verdacht wird zerstreut

die asche der ungläubigen ebenso

 

1.

ES GIBT KEINEN GROSSEN BRUDER

ES GIBT EINEN LIEBEN GOTT

 

2.

SO WIE WIR JETZT SIND, SIND WIR FREI

JEDE ANDERE FREIHEIT IST NACH UNSEREM GUTDÜNKEN AUSGESCHLOSSEN

 

3.

LEBEN UND DESSEN SPONTANE ÄUSSERUNG IST GRUNDSÄTZLICH SUBVERSIV

SUBVERSION IST DIE SCHLIMMSTE FORM VON HOCHVERRAT

 

4.

DAS PARADIES AUF ERDEN STEHT UNMITTELBAR BEVOR

WIDERSTAND IST ZWECKLOS

 

jeder verdacht ist gegenstandslos

die ungläubigen in kürze ebenso

 

gezeichnet:

LIEBER GOTT

(17.8.1978)

 

[58]

1984

 

in den retorten 

wucherte die zukunft der welt

in den samenbanken

wichste der teufel

 

dumpfe detonationen verkündeten:

die einzige + endgültige wahrheit

ist gefunden

 

in der gosse der vernunft

floss unser blut – freunde

die notwendigkeit strangulierte

das fussvolk des paradieses

 

soldatengräber weinten:

die macht kämpft

bis zum letzten blutstropfen

(22.9.1977; 5.8.1978)

v11.5