Cachot: ja, «Drahtzieher»: nein

Auf dem Abo-Talon des «Drahtziehers» (DZ), der Zeitung aus der Berner Bewegung der Unzufriedenen, gab es seit einigen Nummern die Möglichkeit, ein «Knast-Abo (gratis)» zu bestellen. Davon wurde, zur wachsenden Besorgnis des kantonalbernischen Gefängnisinspektors, Gebrauch gemacht.

fl./ Wenn es um den «Drahtzieher» geht, dann kommt manchmal etwas wie Bewegung in Berns Beamtenstuben. Zweimal versuchten die Juristen, den bösenbösen DZ zu bestrafen: Ob die schon fast legendären «Tips für Sprayer» im elften DZ die letzten Herbst verhängte Busse von 200 Franken rechtfertigten,wird nächstens das Bundesgericht entscheiden müssen. Eine zweite Untersuchung wurde vorzeitig eingestellt, nachdem der vermutete «Öffentliche Aufruf zu Verbrechen» in fingierten Leserbriefen des siebzehnten DZ’s sich nach der Formulierung des Untersuchungsrichters als «offensichtliche Persiflage» entpuppt hatte.

Nun ist dem DZ ein Schreiben der Polizeidirektion des Kantons Bern ins Postfach geflattert: «Zeitungen, die geeignet sind, die Ruhe und Ordnung in unseren Vollzugsinstitutionen zu stören und damit die Erreichung des Haftzweckes zu erschweren, können von uns nicht an die Adressaten weitergeleitet werden. Wir ersuchen Sie deshalb, die Zustellung des ‘Drahtzieher’ an die Insassen unserer Bezirksgefängnisse inskünftig zu unterlassen.»

Für den kantonalen Gefängnisinspektor Franz Moggi, der das Schreiben unterzeichnet hat, ist das DZ-Verbot eine «prophylaktische Massnahme»: Von Gesetzes wegen sei den Vollzugsbeamten die Möglichkeit gegeben, Presseerzeugnisse und Kontakte nach aussen zu zensurieren. Übrigens sei auch der «Schwarzpeter» – dies war das Organ der Aktion Strafvollzug (ASTRA), das bis Februar 1979 erschienen ist – in den kantonalen Vollzugsanstalten verboten worden und das Bundesgericht habe diese Massnahme damals gestützt.

In einem Pressecommuniqué meinen die «Drahtzieher»-Leute, hinter Moggis Begründung, dass der DZ die Erreichung des Haftzweckes erschwere, stehe «nichts weniger als die Idee der Gehirnwäsche. Dass diese ‘Begründung’  für Untersuchungsgefangene, die nicht ‘resozialisiert’ werden müssen, nicht verwendet werden kann, ist Herrn Moggi offensichtlich nicht aufgefallen. oder bedroht der ‘Drahtzieher’ hier die ‘Ruhe und Ordnung’?» Das tut er, nach Moggi, in der Tat, denn man müsse doch sehen, dass in den Strafvollzugsanstalten «nicht normale Bürger, sondern Problemleute» seien, und dort könnten Presseerzeugnisse, die gegen die staatliche Ordnung, gegen Polizei, ja gegen jegliche Ordnung aufhetzten, nicht geduldet werden.

Für die «Drahtzieher»-Leute ist Moggis Massnahme eine «Ungeheuerlichkeit». In Ihrem Communiqué fragen sie abschliessend: «Hat ihn [Moggi, fl.] die vom ‘Drahtzieher’ herausgefundene und von Gefängnisdirektor Simon bestätigte Tatsache, dass im Berner Amtshaus Gefangene in den Unterhosen in die kamerabewachte Sicherheitszelle (Cachot) getan werden, derart erbost?» Einen Augenblick lang muss Herr Moggi, als ich ihn darauf anspreche, darum kämpfen, so abgeklärt zu reden wie vorher. Dazu habe er nichts zu sagen, und überhaupt, wenn der «Drahtzieher» Lust habe, die Sache mit dem DZ-Verbot gross auszuschlachten, bitte sehr. Er sagt das mit empörter Verachtung und so, dass ich spüre, dass er mit mir nicht mehr länger über dieses Thema reden möchte. Ich bedanke mich für das Telefongespräch.

PS: Vor anderthalb Wochen hat im Berner Amtshaus  wieder ein Häftling Selbstmord gemacht. Seit Beginn des Jahres 1981 war dies der vierte Selbstmord im Amtshaus. Im Stadtanzeiger fand sich die Todesanzeige: «René, Du bist still zu uns gekommen und noch stiller von uns gegangen. Du warst so allein. Wir denken an Dich.» Nun ja, René war halt kein «normaler Bürger». Er gehörte auch zu jenen «Problemleuten».

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