Männerversuch, über Frauen zu reden

Begründen, «vermitteln», was mich an diesem Buch interessiert: Andere haben das Buch auf der Redaktion in die Hand genommen, den Klappentext überfolgen und es aufseufzend weggelegt. Das Wort «Softy» fiel, «Neue Innerlichkeit».

«‘Webfehler’ ist die Geschichte von zwei Frauen, die auf verschiedenen Wegen auf der Suche nach einem neuen Leben sind, nach Begegnung und Wärme in einer krankmachenden, kalten Umwelt» (Klappentext).

Nach der Lektüre: Ein Mann schreibt ein Buch über zwei Frauen. Männer erscheinen nur am Rand der Geschichte, schematisch gezeichnet, flach, kommen durchwegs schlecht weg, sind bedeutungslose Macker, Karrieristen. Sprücheklopfer. Paradox: Ein Mann schreibt ein «Frauenbuch», ein Buch, das für Frauen Partei ergreift. Ob es Sache der Männer sei, Frauenpositionen zu verteidigen, fragt Redaktionskollegin L. Besser wäre es, Männer würden sich mit ihren eigenen Positionen auseinandersetzen, mit ihrer Herrschaft, ihrer Machtlosigkeit. – Mit dieser Frage besuche ich Urs Faes: Ich will wissen, warum er eine Frauengeschichte geschrieben hat.

«Während es Anne, die selbstsicher und abgeklärt wirkt, anscheinend gelingt, nach siebenjähriger Ehe ihr eigenes Leben zu leben, sackt Bettina unmerklich immer mehr ab und verliert jede Hoffnung, einen Menschen zu finden, mit dem sie dem trostlosen, tödlichen Alltag entrinnen könnte» (Klappentext).

In einem winkligen, alten Haus in der Badener Altstadt, keine fünfzig Meter von der alten Holzbrücke über die Limmat, bewohnt Urs Faes (* 1947) allein eine niedrige, dunkle Zweizimmerwohnung. Sein Geld verdient er mit Teilpensen als Lehrer und als Radiojournalist beim Regionaljournal Aargau/Solothurn. Der so verdiente Lebensunterhalt macht ihm das literarische Schreiben möglich. Bisher hat er zwei Gedichtbände publiziert, der letzte, «Regenspur», 1982 im St. Arbogast Verlag. Ein Roman, den er 1976 geschrieben hat, verschwand, nachdem er bei mehreren Verlagen abgelehnt worden war, in der Schublade. Vorher, 1968 bis 1975, Studium von Geschichte, Deutsch und Philosophie in Zürich.

Urs erzählt von persönlicher Betroffenheit, die ein Grund für sein Buch gewesen sei: «Ich habe in allernächster Nähe einen Fall erlebt, eine Frau, die plötzlich mit ihrem Alltag nicht mehr zurande kam. Wir haben zwar gewusst, die ist ein wenig nervös, der geht es nicht so gut. Die hat man dann plötzlich versorgt, monatelang, und eigentlich ist sie nie mehr richtig aufgetaucht.» Aus dieser Frau entstand in seinem Kopf die Romanfigur Bettina, die, zunehmend tabletten- und alkoholsüchtig, unter dem Druck ihrer leblosen Umwelt, zusammenbricht und in eine Klinik eingewiesen wird. Die zweite Romanfigur, Anne, personifiziert zu einem guten Teil die (politische) Hoffnung ihres Autors. Das habe wohl auch mit verbratenem ’68 zu tun, meint er. «Ich habe das Gefühl, dass die Frauen in den 70-er-Jahren diejenigen waren, die aufgebrochen sind, die traditionellen Rollenbilder aufgebrochen haben, die etwas gemacht und sich organisiert haben. Frauen leisten bei der politischen Arbeit eine Dimension mehr, als 1968 geleistet worden ist, nämlich das Miteinander-Umgehen. Für mich bestand ’68 aus schaurig spontanen Aktionen, Flugis, Organisationsarbeit. Aber wie ist man miteinander umgegangen? Die neue Qualität, die man gesellschaftlich und politisch angestrebt hat, ist nicht gelebt worden. Man ist miteinander umgegangen, wie in jeder bürgerlichen Partei: schnoddrig. Man hat sich selber ausgeklammert. Das scheint mir eine ganz entschiedene und letztlich auch politische Dimension zu sein: der Versuch, anders miteinander umzugehen.» Anne ist eine 68-erin, mit kritischer Solidarität gezeichnet.

Bettina, die gebrochene und Anne, die starke: Die Verknüpfung dieser zwei Frauenschicksale macht den Roman aus. Ob die literarische Umsetzung, ohne formale Kniffe, Brechung der Ebenen, Selbstreflexion, einem Mann glaubwürdig gelingen könne, frage ich. «Ich habe in diesem Buch zuerst einen Erzähler dringehabt, der sich als Mann ständig reflektiert: Wieso schreib ich jetzt über Frauen?, der zurücknimmt und relativiert. Aber seine Erzählerposition, hat mich dann gedünkt, ist etwas Typisches für mich: Ich nehme ständig zurück, ich sichere ab, oder ich sage als Erzähler: Ja, das habe ich halt nicht so genau gesehen, oder: Das ist halt jetzt mein Männerverhältnis zum Problem. Ich strich den Erzähler heraus und sagte mir: Es muss dir gelingen, eine literarische Wirklichkeit zu schaffen, eine Geschichte zu schreiben, dich einzufühlen in Figuren, diese Figuren zu führen, leben zu lassen. Inzwischen finde ich, dass meine Frauendarstellung legitimiert ist. Wenn du schreibst, dann schreibst du immer über jemanden. Und wenn du über einen Mann schreibst, sind das letztlich die gleichen Fähigkeiten, die verlangt sind: dass du dich in eine Figur einfühlen kannst, dass du die Figur zeigen kannst.»

Erste Reaktionen hat Faes auf sein Buch bereits, auch Zuschriften: «Ich merke jetzt, dass das Umgekehrte meiner Ängste passiert ist: Ich meinte, die Frauen, die zerfetzen mich, dass ich dieses Buch gemacht habe. Aus den wenigen Reaktionen zu schliessen, ist das aber nicht so. Engagierte Frauenrechtlerinnen, denen ich das Buch zu lesen gab, weil mich gerade ihre Reaktion sehr interessiert hat, die haben eigentlich fast durchwegs positiv reagiert. Bei den Männern dagegen kommt der Vorwurf: Musst du jetzt auch noch von dem reden, davon haben wir schon genug gehört. Um die Kritik an den Männern von sich abwenden zu können, nehmen sie eine Frauenposition ein und argumentieren: Du hast kein Recht, über Frauen zu schreiben. Jetzt kommt die Reaktion der Männer so, wie ich sie ursprünglich von den Frauen erwartet habe.»

Was er von den Männern halte, die in seinem Buch ausschliesslich flach herauskämen und dafür jetzt sein Buch ablehnten? «Die Männer, wir haben uns wieder arrangiert, wir haben irgendeinen Job angenommen und haben dem gesagt: Wir gehen in die Institutionen. Eigentlich bin ich hier ohne Hoffnung. Im Buch zeige ich als Mann, ohne Anbiederung, aber mit einer gewissen Solidarität und Sympathie, wie Frauen aufbrechen, um damit dem Mann die Möglichkeit oder den Hinweis zu geben, wie andere aufbrechen und wie sie versuchen, neue Formen der Solidarität zu leben, wie sie versuchen, mit dem zu leben, was ist, ohne sich einfach mit den Machtverhältnissen zu arrangieren –»

Dann ist Dein Buch ein Buch für Männer?

«Ja. Versuchen, anders miteinander umzugehen, das ist für mich eine entscheidende Dimension, und die sehe ich bei den Männern nicht, auch nicht bei den sogenannt sich aufgeklärt fühlenden Männern. Da wehrt man gewisse Sachen auch einfach ab», hier lacht Faes. «Diesen Versuch, eben anders miteinander umzugehen, habe ich praktisch nur an Frauen zeigen können». Danach ist eine grosse Pause auf dem Tonband; dann meine Stimme, ja, ja, das sei eine klare Position, dünke mich. Während ich das Interview vom Band abtippe, lache ich an dieser Stelle auf über meine offensichtliche Hilflosigkeit. Auf dem Band dann mein Husten, wieder Pause, dann Themawechsel. Formale Probleme: Männerfragen.

Urs Faes: Webfehler. Roman, Basel (Lenos Verlag) 1983.

Im Zeitungsdruck verwendete ich im Titel damals «sprechen» statt «reden». Ausgetauscht habe ich die Wörter, um einen zweizeiligen Titel zu vermeiden.

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