Das Editorial zur WoZ-Literaturbeilage im Herbst 1984 (vermutlich von mir verfasst). Eine Argumentation, die mir bis heute einleuchtet (auch wenn nicht ich sie formuliert haben sollte):
Jeder geografische Ort hat zu einer bestimmten Zeit nur eine mögliche Literatur: die existierende. Im Vergleich zu denkbaren Literaturen – die andere gesellschaftliche, soziale und kulturpolitische Bedingungen voraussetzten – mag die existierende Literatur nicht die bedeutendste sein. Aber dass Schweizer Literatur unbedeutender wäre als irgendeine andere Literatur, ist ein Vorurteil derer, für die Literatur umso bedeutender wird, je weniger nachprüfbar sie in ihren Prämissen ist. Dass in hiesigen Buchläden häufiger missglückte Versuche hiesiger als fremder Literatur aufliegen, darf ja nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch in anderen Ländern literarische Versuche scheitern.
Keine Literatur ist interessanter als jene, die ihren Wirklichkeitsgehalt, ihre Realitätssegmente jener Umwelt entnimmt, in der sich auch die Leser und Leserinnen bewegen. Erst die Nähe macht Literatur nachprüfbar und fordert Verbindlichkeit. Nur das Verbindliche ist brisant! Keine kritische Auseinandersetzung mit Büchern kann präziser und kreativer sein als jene mit der einheimischen Literatur.