Vom Patron betrogen

Gleich nach der Post von Unterlangenegg (BE) führt ein Strässchen nach rechts hinaus auf die Dachsegg und dann in weiten Schwüngen hinab ins Mülital. Dort unten steht klein und proper das Heimetli von Peter und Ruth Küng. Stallseitig eine kaum einige Jahre alte, saubere Backsteinmauer mit einem grossen neuen Fenster: Der Mann der hier lebt, versteht nicht nur etwas vom Bauern, er ist auch Maurer.

Der Niedergang einer Firma

«Seit Ende Februar 2007 habe ich kein Einkommen mehr», sagt Peter Küng. Er sitzt hager und vornübergebeugt am Tisch in der schmalen, dunklen Küche und erzählt: «28 Jahre lang habe ich als Maurer für Jakob von Gunten gearbeitet, den Bauunternehmer in Bleiken bei Oberdiessbach.» In den ersten Jahren hatte er nichts zu klagen. Von Gunten war ein angesehener Mann, für die SVP Gemeindepräsident im Dorf, ein guter Arbeitgeber: Der Lohn stimmte und Aufträge hatte er auch dann, wenn andere Unternehmer Leute entlassen müssten. Aber in den neunziger Jahren kamen die Löhne immer häufiger verspätet. Am 21. Oktober 2003 wurde über von Guntens Einzelfirma der Konkurs verhängt.

Von Gunten macht als GmbH weiter. Küng bleibt ihm treu. Die Geldprobleme wachsen: Immer häufiger muss der Chef auf der Baustelle die Lieferanten bar bezahlen, bevor sie mit dem Abladen des bestellten Materials beginnen. Die Löhne für Küng und seine vier Kollegen aus dem Balkan bleiben aus. Sie müssen sich ab und zu mit einer Akonto-Zahlung an den Lohn, mit Vertröstungen und vagen Versprechungen begnügen. Am 5. März 2007 geht auch die GmbH konkurs. Erst als Küngs Frau von Gunten am Telefon mit dem «Kassensturz» droht, kommt er vorbei und blättert den noch ausstehenden Nettolohn – zuletzt pro Stunde 28 Franken 50 –, in Hunderternoten auf den Küchentisch.

Krank geschrieben

Peter Küng kann sich nicht mehr selber für seinen Lohn wehren: Am 22. Februar muss er sich wegen Schmerzen in der Brust krankschreiben lassen. Die Lungeninfektion ist bald kuriert, aber genauere Untersuchungen zeigen einen Blasenkrebs. Am 14. Mai wird die Blase entfernt. Es folgt die Chemotherapie. Dann Embolien auf beiden Lungenflügeln. Dann ein Darmverschluss. Dann eine schwere Lungenentzündung. Schliesslich eine Blutvergiftung. Seit wenigen Tagen ist er wieder im Mülital und versucht sich zu erholen.

In all dieser Zeit versucht Ruth Küng, selber chronisch krank, von Gunten telefonisch zu erreichen, um für ihren Mann eine Krankentaggeldkarte zu erhalten, die zum Bezug des Taggelds Voraussetzung ist. Von Gunten ist für sie nie erreichbar. Für die Lebenshaltungskosten stehen dem Ehepaar seit sieben Monaten noch genau 20 Franken pro Tag zur Verfügung  – dank einer privaten Taggeldversicherung, die Küng abgeschlossen hat. Davon müssen auch jene 1000 Franken Spital- und Arztkosten beglichen werden, die die Krankenkasse nicht übernimmt.

Das Desaster nach dem Ende

Nach der zweiten Konkurseröffnung versucht der Thuner Unia-Sekretär Martin von Allmen für die Angestellten der «Jakob von Gunten GmbH» zu retten, was noch zu retten ist. Seine Abklärungen führen zum schlimmstmöglichen Resultat:

• Im Februar 2004 stellt die GmbH in widerrechtlicher Weise ihre Beitragszahlungen für die Krankentaggeldversicherung ein. Deshalb erhält Peter Küng jetzt kein Taggeld. Ein schwacher Trost ist, dass die GmbH laut Artikel 64 des Landesmantelvertrags für 80 Prozent des Bruttolohns haftet. Küng wird zwar vor Gericht Recht bekommen. Aber er braucht das Geld jetzt. Und die GmbH ist konkurs.

• 1999 teilt von Gunten im Namen seiner Einzelfirma der Pensionskasse mit, das Arbeitsverhältnis mit Küng sei aufgelöst worden. Seither hat der Chef keine Beiträge mehr abgerechnet. Obschon Küng laut seinem Arzt nie mehr wird arbeiten können, kann er deshalb mit jenen IV-Rententeilen, die über die Pensionskasse ausbezahlt werden, nicht rechnen.

• Auf Drängen Küngs beginnt die GmbH laut Lohnabrechung ab Januar 2007 endlich, das Arbeitnehmer-Prämienprozent für den frühzeitigen Altersrücktritt

(FAR) vom Lohn abzuziehen. Von Allmens Abklärungen ergeben: Trotzdem hat die GmbH keine FAR-Beiträge einbezahlt. Der bald 60jährige Küng kann bis zum AHV-Alter deshalb auch keine FAR-Überbrückungsrente beanspruchen.

Martin von Allmen, der an diesem Nachmittag auch an Küngs Küchentisch sitzt, erzählt, in diesem Jahr habe allein das Thuner Unia-Sekretariat bisher 136 Streitfälle – vor allem in den Bereichen Bau, Gewerbe und Gastgewerbe – abgeschlossen. Bei 75000 Franken Anwaltskosten habe man für die Arbeitnehmenden insgesamt 1,7 Millionen Franken eingetrieben: «Wenn jetzt der Landesmantelvertrag ausser Kraft gesetzt wird, hilft das im Baugewerbe in erster Linie Leuten wie von Gunten», sagt er. «Und jene, die ihre Angestellten korrekt entlöhnen, geraten unter wachsenden Druck, sich ebenfalls mit Lohn- und Sozialdumping auf Kurs zu halten.»

 

[Kasten]

Der Rucksackbauer

Geboren ist Peter Küng 1948 in Unterlangenegg oberhalb Steffisburg (BE). Dort besucht er die Schule. Anschliessend macht er bei einem Bauunternehmen im Dorf die Maurerlehre und bleibt ihm nach dem Lehrabschluss sieben Jahre treu. Danach wechselt er zu einem Thuner Strassenbauunternehmen. Nach weiteren kurzen Engagements lässt er sich im Mai 1978 vom Bauunternehmer Jakob von Gunten anstellen und arbeitet seither für ihn. 2004 ist er in die Unia eingetreten.

Auf dem Heimetli im Mülital hat das Ehepaar Küng einige Jahre lang Rinder gesömmert. Später – seit Ruth Küng mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte – hielten sie Schafe. Unterdessen ist der Stall leer, und um in diesem Jahr den Garten anzupflanzen, hat beiden die Kraft gefehlt. Nur der grosse Strauch mit violetten Astern blüht wie in anderen Jahren: «Unsere ‘Oktoberli’», sagt Peter Küng, «wie alles in diesem Jahr drei Wochen zu früh.»

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


v11.5