Evi Hornungs Meisterstück

Ein rot-gelber Backsteinbau mit hohen Fenstern: Das ist die Wuhrmann Cigars AG. Schon unter der Eingangstür ein würziger, warmer, ab und zu ein bisschen strenger Geruch: Das ist der fermentierte Tabak. Oben an den ausgetretenen Holzstufen des alten Treppenhauses begrüsst ein Mann, der zwischen Hüften und Brust einen breiten weissen Stützgürtel trägt: Das ist der Chef hier, Thomas Wuhrmann, als Eishockeyaner hart im Nehmen.

Bevor er an die Maschine zurücktritt, an der er wegen Erkrankung einer Mitarbeiterin die Stumpenproduktion übernommen hat, stellt er Evi Hornung vor: Sie ist die einzige Zigarrenrollerin der Schweiz, die Havannazigarren noch von A bis Z von Hand herzustellen versteht: Stück für Stück 17 Zentimeter lang und 17 Millimeter dick, «blumig» im Duft, «lieblich» im Geschmack, «hell» in der Farbe, «mild» in der Stärke, «warm» im Rauch, 6 Franken 20 pro Stück. «Schlicht ein Meisterstück», weiss der Prospekt.

Wickeln und überrollen

Jetzt sitzt Evi Hornung an einem speziell gebauten Holztisch und nimmt das oberste Tabakblatt von der Beige: «Das sind Umblätter aus Java-Tabak. Der eignet sich dafür am besten», sagt sie, knickt das Blatt und zieht die Mittelrippe heraus: «Die ist so grob, dass sie den regelmässigen Brand der Zigarre stören würde.» Nun streicht sie das Umblatt flach, nimmt blind eine Handvoll Tabakmischung, verteilt sie regelmässig, rollt das Blatt darum. Der so entstandene Rohling legt sie mit den zusammengedrehten Blattenden in eine Holzform, in der er – mit einem gegengleichen Oberteil verschlossen – anschliessend gepresst wird.

Nach dem «Wickeln» und dem 24stündigen Pressen folgt das «Überrollen»: Nun werden die überlappenden Blattenden ausserhalb der hölzernen Pressform – der «Überstud» – weggeschnitten. Anschliessend schneidet Evi Hornung die Hälfte eines «Deckblatts» aus kubanischem Tabak mit dem Messer in eine regelmässig breite Form. Das Ende bestreicht sie mit klebender Weizenkeimstärke – «angerührt mit Rheinfelder Wasser, mit dem auch das Feldschlösschen-Bier gemacht wird» – und rollt den Rohling zu seinem endgültigen Aussehen. Mit dem Rest des Deckblatts verschliesst sie den «Kopf» der Zigarre, der vor dem Rauchen mit dem Zigarrenschneider wieder geöffnet wird.

Flexibilität im Familienbetrieb

Unterdessen führt Evi Hornung durch den Betrieb. In einem Nebengebäude befindet sich das Rohtabaklager. Hier werden die grossen Tabakballen aus Indonesien und aus Mittel- und Südamerika gestapelt, die per Schiff bis in den Basler Rheinhafen und von dort per Camion hierher spediert werden.

Als wir durch den Schneematsch ins Hauptgebäude zurückstaksen – Evi Hornung in offenen Hausschuhen –, sagt eine vorbeigehende Frau lächelnd: «Keine idealen Schuhe für dieses Wetter.» Wir grüssen und Hornung sagt im Weitergehen: «Die Seniorchefin. Sie wohnt gleich nebenan.» Hier kennt man sich: Die Wuhrmann Cigars AG ist seit 1876 immer ein Familienbetrieb gewesen – heute ist er mit 3 Prozent am Schweizer Markt eine der kleineren Firmen der Branche. Produziert werden hier jährlich 4 Millionen Zigarren, Cigarillos und Stumpen.

Zigarren brauchen Zeit

Unterdessen stehen wir im Keller vor einem langen, grünen Ungetüm, das sich per Förderband feuchte Tabakblätter in den Schlund wirft, sie ausrippt und in kleine Stücke zerfetzt wieder auswirft. Dann steigen wir hinauf in den Estrich, in dem es wegen des Durchzugs eisig kalt ist: Hier oben wird der im Keller hergestellte Fülltabak zum Trocknen ausgelegt. Dabei werden Sumatra-, Havanna-, Brasil- und dominikanische Tabake nach dem geheimen Rezept des Hauses gemischt.

Evi Hornung macht nicht nur gerne Zigarren, sie plaudert auch – wie sie sagt – gern mit den Gästen. Und Gäste gibt’s hier wegen den Betriebsführungen regelmässig. Eine geschickte Art, das Publikum nicht nur für das Kunsthandwerk des Zigarrenrollens, sondern auch für ein Genussmittel zu interessieren, das, vor allem was die Zigarren betrifft, wieder vermehrt in Mode kommt.

Evi Hornung sagt: «Man kann keine Zigarre paffen, wenn man keine Zeit hat. Darum ist Zigarrenrauchen ein Genuss, Zigarettenrauchen aber eine Sucht.» Sie raucht ausschliesslich selber gemachte Zigarren: «Ich muss schliesslich wissen, was ich hier mache.» Wenn sie mit ihren Freundinnen zusammensitzt, dann schenken sie sich gern ein Glas Wein ein. Dazu rauchen sie eine echte «Wuhrmann Havana Handrolled».

 

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Engagement im Ausland

Evi Hornung ist verheiratet und lebt als Deutsche in Badisch Rheinfelden gleich jenseits des Flusses. Nach einer kaufmännischen Lehre in Basel hatte sie früh einen Sohn (der unterdessen 32jährig ist). Vor genau dreissig Jahren suchte sie einen Halbtagsjob als Wiedereinstieg in die Arbeitswelt. In der Zigarrenmanufaktur Wuhrmann Cigars AG war eine Stelle offen. Damals habe sie noch bis zu zehn Kolleginnen gehabt, die das Handwerk des Zigarrenrollens beherrscht hätten. Heute kann hier nur noch sie wickeln. Sie liebt diese Arbeit, produziert aber daneben wie ihre KollegInnen «Wuhrillos» (Cigarillos), Stumpen und Zigarren an der Maschine.

Sie ist Mitglied der Gewerkschaft VHTL (Verkauf, Handel, Transport, Lebensmittel) und im Vorstand der heute noch vierköpfigen Wuhrmann-Betriebsgruppe (Wuhrmann beschäftigt insgesamt 14 Angestellte). Als sie bei Wuhrmann begonnen hat, habe man noch 48 Stunden pro Woche gearbeitet, heute sind es 41. Sie arbeitet zwischen 70 und 80 Prozent. Laut dem Aarauer VHTL-Sekretär Peter Staub hat man sich bei den neusten Lohnverhandlungen der Branche darauf geeinigt, dass grundsätzlich kein 100 Prozent-Grundlohn mehr unter 3300 Franken brutto bezahlt wird.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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