Der Pressechef der Umbruchzeit

Zum Beispiel der Zyliss-Streik: Da brauchte es regelmässige Medienmitteilungen, eine Unterschriftensammlung im Internet, eine Streikzeitung in Lyss, eine Pressekonferenz in Zürich, eine Flugblattaktion vor dem Berner Rathaus. Zusammen mit den Leuten vor Ort solche Öffentlichkeitsarbeit zu ermöglichen, gehört zum Kerngeschäft der Smuv-Kommunikationsabteilung, die ihre Büros im dritten Stock der Zentrale in Bern hat und noch bis Ende Januar 2004 von Thomas Göttin geleitet wird. «Grundsätzlich», sagt er, «geht es darum, intern und extern die Gewerkschaft und die Arbeitnehmersicht möglichst gut und möglichst umfassend einzubringen».

Vom Redaktor zum Infochef

Als er 1993 seine Arbeit als Redaktor der SMUV-Zeitung aufnahm, fragte er sich schon bald: Ist es möglich, dass eine solch grosse Gewerkschaft mit kaum zwei Stellen eine Zeitung macht? Er nahm Kontakt auf mit der GBI-Zeitung. Bereits 1994/95 diskutierte man die ersten Konzepte zur gemeinsamen Zeitung «Work». Der Smuv-Finanzchef habe diese Pläne damals lakonisch kommentiert: «Wenn das klappt, müssen wir auch in anderen Bereichen mehr zusammenarbeiten.» Die interprofessionelle Gewerkschaft Unia, die nächstes Jahr gegründet wird, hat viele Wurzeln – die Fusion von Smuv- und GBI-Zeitung zum «Work» ist eine davon.

1994 wurde Göttin Stellvertreter des Informationsverantwortlichen gegen innen und aussen, 2000 dann Leiter der Kommunikationsabteilung. Seither ist er zuständig für die Auskünfte und Stellungnahmen gegenüber den Medien, für die Konzeption von Publikationen und Flugblättern, die Mitarbeit bei Kampagnen und GAV-Verhandlungen oder die Reorganisation des Gewerkschaftsarchivs. In letzter Zeit leitete er die Suche nach dem Logo und dem Auftritt der neuen Gewerkschaft Unia. Für die Smuv-Zeitung freilich, die als vierseitige Beilage des «Work» erscheint, sind heute Bruno Schmucki und Doris Jossen verantwortlich.

Besonders engagiert hat sich Göttin ab 1997 für den Internetauftritt des Smuv. Für ihn war schnell klar: «Internet wird zu einem ganz wichtigen zukünftigen Kommunikationskanal.» Er setzte sich ein für die Stelle eines Internetverantwortlichen und führte 1999 für die Arbeit an der Homepage ein bedienungsfreundliches neues Redaktionssystem ein. Seither können auch Internet-Laien ihre Texte problemlos selber auf die Homepage laden und diese so jederzeit dezentral aktualisieren.

Bei Vorträgen fordere er manchmal sein Publikum auf, in einer Tageszeitung auszuzählen, wie häufig Wirtschaftsthemen aus der Sicht der Unternehmen und wie häufig aus Sicht der Arbeitnehmenden dargestellt würden. Schlagartig werde so eine weitere Chance des Internet klar: «Online können wir unsere Sicht sofort weltweit zugänglich machen. Aktualität und Transparenz sind in ganz neuer Art und grösserem Mass möglich. Und das Interesse steigt: Bisher haben sich die Besucherzahlen auf der Homepage pro Jahr verdoppelt.»

Eine Prognose und eine Hoffnung

Auf 1. Februar 2004 wechselt Thomas Göttin nun in die Kommunikationsabteilung des Bundesamts für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal). «Ich bin sicher», sagt er, «dass der ganze Umweltbereich in den nächsten Jahren noch wichtiger werden wird». Der Grund für seinen Wechsel ist neben der neuen Herausforderung der Wunsch, weniger zu arbeiten. Damit kann er seinen Beitrag an die elterliche Präsenz für die beiden halbwüchsigen Kinder besser leisten.

Göttin hat die Gewerkschaften in einer Phase des Umbruchs mitgeprägt: «Sie sind in den letzten zehn Jahren schneller, agiler und offener geworden bei der notwendigen Zusammenarbeit.» Aber nicht nur Gewerkschaften hätten sich verändert: «Die Auseinandersetzungen sind härter geworden. Hier merkt man die nach wie vor andauernde Wirtschaftskrise.» Welche Prognose er als Ökonom denn mache: Kommt der Aufschwung in nächster Zeit, oder kommt er nicht? «Ich fürchte, er kommt nicht. Gerade deshalb meine ich, dass sich die Gewerkschaften vermehrt in die Industriepolitik dieses Landes einmischen müssen.» Hoffnungsvoll stimme ihn, dass nun die neue Unia entstehe: «Damit machen die Gewerkschaften einen grossen Schritt in die richtige Richtung. Freilich werden weitere Schritte folgen müssen: Es braucht noch mehr Demokratie, noch mehr Transparenz und eine griffigere Industriepolitik.»

 

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Interesse an seltenen Vögeln

Streiks mitzuverfolgen gehört für den Leiter der Kommunikationsabteilung der Gewerkschaft Smuv zur Routinearbeit. Der «Allpack»-Streik in Reinach war aber für Thomas Göttin doch etwas Besonderes: In Reinach ist er aufgewachsen. Als Bub habe er gelernt, im Kägen-Quartier, wo die «Allpack» domiziliert ist, wohne ein Ungeheuer: «Als ich den Polizeieinsatz gesehen habe, ist mir dieses ‘Kägen-Tier’ wieder in den Sinn gekommen.»

Göttin hat in Basel und London Geschichte, Jus und Ökonomie studiert. In seiner Lizentiatsarbeit beschäftigte er sich 1985 mit dem «Radio in Basel 1922-1932». Seit 1980 engagierte er sich beim alternativen «Radio Dreyeckland» und war einer der Mitbegründer der Union nichtkommerzieller Lokalradios (Unikom). 1986 wechselte er zu Radio DRS, arbeitete bis 1992 als Redaktor für verschiedene Sendegefässe und präsidierte in dieser Zeit die Sektion der Mediengewerkschaft SSM im Studio Bern. Nach einem Jahr als vollamtlicher Hausmann wechselte er 1993 zum Smuv.

Thomas Göttin ist 44 Jahre alt und lebt mit seiner Frau, der Tochter und dem Sohn in Bern. Seit diesem Jahr sitzt er für die SP im Parlament der Stadt. Er ist Mitglied der Gewerkschaften Smuv und Comedia und verdient bei einem Beschäftigungsgrad von 80 Prozent gut 7000 Franken brutto im Monat. Neben Vogelkunde, Schach, Literatur und Sport zählt auch die Basler Fasnacht zu seinen Hobbys: Er ist altgedienter Zeedeldichter und Piccolospieler der «Junteressli»-Clique.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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