Realist mit Schreibmaschine

WoZ: Kurt Marti, Sie haben in Bern mit Friedrich Dürrenmatt zusammen das Gymnasium besucht, und Sie waren später mit Max Frisch zusammen Mitgründer der «Gruppe Olten». Heute gilt der eine der offiziellen Schweiz als «Staatsdichter», der andere als «Staatsdissident». Wo stehen Sie?

Kurt Marti: Ich halte sowohl «Staatsdichter» als auch «Staatsdissident» für überholte Begriffe, die vielleicht noch bis zur Fichenaffäre von Bedeutung waren. Ich habe heute eher die Neigung, den Staat zu verteidigen, weil er schwach geworden ist. Er ist nur noch eine Marionette der Wirtschaft, von grossen anonymen Kräften, die ihre Milliarden um die Welt herum verschieben. Ich bin zum staatsverteidigenden Dichter geworden, weil ich meine: Wer denn soll diesem globalisierten Spiel der Marktkräfte Regeln setzen können, wenn nicht die Politik? Und Politik heisst der Staat und wenn’s der nationale nicht mehr sein kann, dann eben die Europäische Union oder die UNO, auf alle Fälle ein politisches Gremium. Man kann nicht alles der Wirtschaft überlassen.

Vor sieben Jahren haben auch Sie noch den Kulturboykott gegen den Schnüffelstaat unterschrieben.

Ja. – Aber man kann nicht auf alten Positionen sitzenbleiben. Es hat keinen Sinn – bei aller Achtung vor dem, was gewesen ist und vor den Kämpfen und Auseinandersetzungen, die geführt worden sind –, es hat keinen Sinn, auf diesen alten Frontstellungen zu beharren.

Zu schreiben begonnen haben Sie in den fünfziger Jahren als Pfarrer von Niederlenz im Kanton Aargau. Der Dichterpfarrer Jeremias Gotthelf hat einmal geschrieben: «Ich konnte nirgends ein freies Tun sprudeln lassen (…) Dieses Leben musste sich entweder aufzehren oder losbrechen auf irgendeine Weise. Es tat es in der Schrift. Gibt es Parallelen?

Ja, vielleicht. – Ich habe ebenfalls spät begonnen, ernsthaft zu schreiben. Ich war bereits Pfarrer, hatte Familie, vier Kinder. Zuvor war ich Konsument von Literatur. Meine Favoriten waren eigentlich nicht die engagierten Schriftsteller, sondern Lyriker wie Trakl, Stefan George, Hölderlin. Die haben mich auch blockiert, weil ich dachte: Was willst du da noch schreiben? Die haben eigentlich alles schon endgültig gesagt, was zu sagen ist.

Eine Parallele zu Gotthelf besteht vielleicht auch darin, dass ich unter anderem frei zu schreiben begann, weil das, was ich von Berufs wegen schreiben musste, Predigten, Vorbereitungen, Vorträge, Artikel in kirchlichen Zeitungen, adressiert war an ein konkretes Publikum, auf die ich Rücksicht nehmen und für die ich mich möglichst verständlich machen musste. Ich merkte, dass ich mich bei diesem Schreiben selber zu sehr zurücknahm. Deshalb begann ich Gedichte, freie Textlein und Geschichten zu schreiben. Auch bei mir war das Schreiben also eine Art Ausbruch aus der präformierten Sprache der Kirche und der Theologie.

Sie gelten auch heute noch vielen Leuten vor allem als Verfasser von Gedichten in der Umgangssprache. Warum haben Sie in den frühen siebziger Jahren aufgehört, berndeutsch zu schreiben?

Man nahm ja damals an, Mundartlyrik sei schön gereimt, «bluemets Trögli» und heimattümelnd, idyllisierend. Ich wollte deshalb zeigen, dass man im Dialekt alles schreiben kann, auch moderne Lyrik. Ich glaube, dass mir das gelungen ist. Die Versuche wurden mehrheitlich positiv aufgenommen. Natürlich gab es Leute, die lästerten über den Missbrauch des Dialekts, wenn man ein neues Wort gemacht und zum Beispiel gesagt hat «vietbärn» statt «Vietnam und Bern» oder «Vietnam und wir». Die Aufnahme war aber derart positiv, dass in diesen Jahren eine eigentliche Mundartwelle aufkam – nicht nur in der Lyrik und in der Literatur. Sie schwappte über an die Schulen und an die Universität. Wo man früher gelernt hatte, Deutsch zu sprechen, sprach man bequemlichkeitshalber nur noch Dialekt. Im Radio sowieso. Es gab eine Inflation von schlechten Mundarttexten. Das hat mir nicht mehr behagt. Deshalb habe ich mich bewusst zurückgezogen und gesagt: Ich mache da nicht mehr mit, sondern will eher daran erinnern, dass wir uns nicht isolieren sollten vom deutschsprachigen Kulturraum.

Wer schrieb, kam damals notgedrungen in Opposition zur Gesellschaft – das war auch bei Ihnen so. Sie erhielten 1972 die Quittung, als der Berner Regierungsrat Ihre Berufung auf den Lehrstuhl für Homiletik der Universität hintertrieb, weil er Sie für einen pastoral verkappten Marxisten hielt.

Damals sorgte der Staat noch für die rechte Gesinnung seiner Bürger. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass der damalige Zürcher Stadtpräsident Emil Landolt in einer Rede gesagt hat, in Vietnam werde von den Amerikanern – die ja doch angegriffen haben – auch unsere Freiheit verteidigt. In dieser Stimmung brauchte es nicht viel, um anzustossen. Der Hauptgrund für meine Nichtberufung war dann wohl der, dass ich mich damals in einer Diskussion mit Konrad Farner auseinandergesetzt habe, zuerst in Berns legendärem Diskussionskeller «Junkere 37», dann aber auch in einem Film, den Richard Dindo gemacht hat. Farner und ich debattierten über Christentum und Marxismus, der Film kam in Bern im kleinen Kellerkino zur Aufführung. Weil ich mit einem erklärten Marxisten diskutierte, ohne ihn kurzum in die Ecke zu stellen, wurde ich zum Beinahe-Kommunisten abgestempelt. Deshalb hielt man mich für untragbar.

In einem Interview wurden Sie 1970 gefragt: «Wenn Ihnen ein älterer Kollege vorwirft: ‘Sie sind zu militant’ – was würden Sie entgegnen?» Ihre Antwort damals: «Ich bin noch zu wenig militant.» Was würden Sie heute einem jüngeren Kollegen antworten, der sich nicht vorstellen kann, was Schriftstellerei mit Militanz zu tun hat?

Dieser jüngere Kollege müsste also einer sein, der für sein eigenes Schreiben keinen gesellschaftlichen Horizont mehr sieht, der sich weigert, auf die Gesellschaft schriftstellerisch einwirken zu wollen. Ich begreife diese Position, weil es sich gezeigt hat, dass Schriftsteller wenig bewirken können. Sie können allenfalls warnen. Aber politisch haben sie mit ihrer Schriftstellerei keine Wirkung. Insofern begreife ich, dass man den Schluss zieht: Verzichten wir von vornherein auf die Absicht, gesellschaftlich etwas bewirken oder verändern zu wollen.

Andererseits bedaure ich es doch, dass diese Position heute dominant ist – nicht nur in der Schweizer Literatur, auch darüber hinaus in der europäischen, mit Ausnahmen natürlich. Denn ich denke, dass die Gesellschaft weiterhin Schriftsteller nötig hat, die versuchen, hinter den Ideologien, hinter dem, was die Medien bringen, die Realität zu zeigen. Nach wie vor ist es wichtig, dass Literatur zeigt, wie die sozialen Verhältnisse oder die ökologische Situation sind. Und dass sie das mit einer gewissen Militanz tut, wobei Militanz ja nicht parteipolitisch zu sein braucht. Militanz bestünde wahrscheinlich – und hat immer schon bestanden – im Insistieren auf einer bestimmten Sicht, im Insistieren darauf, Probleme zur Sprache zu bringen, die sonst verschwiegen werden. Das verstand ich damals und verstehe ich heute unter Militanz.

Mit dieser Haltung sind Sie in diesen Jahren ein Rufer in der Wüste. Selbst die überwiegende Mehrzahl der Mitglieder der «Gruppe Olten», die laut Statuten dem Ziel einer «demokratischen sozialistischen Gesellschaft» verpflichtet ist, haben sich vom gesellschaftskritischen Schreiben weitgehend abgewendet. Was ist schiefgelaufen?

Es ist nicht bei den Schriftstellern schiefgelaufen. Die Gesellschaft hat sich verändert. Gegen was soll man anschreiben? Das ist das Problem. Wer ist denn verantwortlich für das, was schiefläuft? Wenn man so fragt, dann weiss man keine Antwort mehr. Verantwortlich sind heute zum Beispiel die Kräfte der Globalisierung und des Neoliberalismus. Die sind furchtbar anonym. Wie stellt man sie dar? Es ist sehr schwierig, gegen eine anonyme Kraft anzuschreiben. Man kann höchstens eine Art Mikrodarstellung geben der Folgen von Veränderungen, die durch anonyme Kräfte in Gang gekommen sind. Diese Folgen, wie sie der einzelne erlebt, die sind darstellbar, und sie werden auch nach wie vor dargestellt – auch von Autoren, die nicht das Etikett «engagiert» auf der Brust tragen.

In dem Mass, in dem sich die Macht anonymisiert, wird die Waffe der Sprache als Mittel der Kritik stumpf?

Stumpfer jedenfalls.

Sie waren immer ein politisch engagierter Autor, aber sie engagierten sich nie parteipolitisch. Warum nicht?

Ich habe mich immer engagiert in Fragen, von denen ich dachte, das seien Dinge, die alle Leute angehen müssten, ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit. Anfang der sechziger Jahre war das die Atombewaffnung der Schweiz – eine absurde Sache. Damals habe ich gesagt: Ein solches Verteidigungskonzept können wir uns als Volk doch nicht bieten lassen, das das vernichtet, was es verteidigen will. Danach kam Vietnam, als auch ich den Eindruck hatte: Jetzt sollte sich die Schweiz als kleines Land eigentlich solidarisieren. Es geschah jedoch das Gegenteil: Man solidarisierte sich in der Mehrheit mit den USA. Danach kam die Frage unseres Verhaltens der Dritten Welt gegenüber und die Gründung der «Erklärung von Bern». Später die Atomkraftwerke, die ökologischen Fragen.

Anlässlich Ihrer Pensionierung 1983 als Pfarrer an der Nydeggkirche in Bern haben Sie gegenüber der «Berner Zeitung» gesagt: «Ich glaubte immer, die Kirche sollte meine Partei sein, und ich wünschte mir diese Kirche oft viel parteiischer.» Hat es Geduld gebraucht, um in der Kirche zu bleiben?

Nein, das nicht. Ich habe in der Kirche eigentlich immer sogleich und ohne viel Mühe Gruppen gefunden, die bereit waren mitzumachen, die dabeiwaren, etwas aufzuziehen an Protest oder an Aktionen für etwas. Aber die Kirche als offizielle Kirche ist natürlich schwer beweglich. Sie muss Rücksicht nehmen auf die anderen, die nicht mitziehen wollen.

Ich dachte zum Beispiel nie, dass die ganze Kirche samt ihren Behörden gegen Atomkraftwerke antreten würde, aber die besten, verlässlichsten und zähesten Mitkämpfer fand ich immer wieder in der Kirche – angefangen bei diesem Kampf gegen die Atombewaffnung der Schweizer Armee. Es war eine Gruppe von Pfarrern, die opponiert hat, als damals selbst die Sozialdemokraten nicht für die Verbotsinitiative eintreten wollten.

Seit 1964 sind Sie Kolumnist der «Reformatio», die heute «ZeitSchrift» heisst. Ein Dritteljahrhundert kritische kultur- und gesellschaftspolitische Publizistik. Was macht man für Erfahrungen, wenn man dieses Land so kontinuierlich kritisierend begleitet?

Ich habe ja keineswegs in jeder Kolumne die Schweiz oder Zustände in der Schweiz kritisiert. Ich habe über alles Mögliche und Unmögliche geschrieben, was mir gerade einfiel oder was mich im Moment, als der Beitrag fällig wurde, gerade interessiert hat. Ich schrieb über Literatur, über die Kirche und gewiss auch über Gesellschaft und Staat. Was ich da für Erfahrungen gemacht habe? Es gab anfänglich oft grosse Auseinandersetzungen in der Redaktion der «Reformatio», in der damals noch konservative Leute sassen – die haben sich oft furchtbar aufgeregt über meine Beiträge.

Aber – um ehrlich zu sein – eine Zeitschrift von dieser Bescheidenheit und diesem kleinen Leserkreis, die kann ja nicht wirklich etwas bewirken oder eine grosse Diskussion entfesseln. Das hat sich alles immer ein bisschen in einer kirchlich-gesellschaftlichen Nische abgespielt.

Es ist ja nicht nur der Rahmen der «ZeitSchrift» bescheiden. Auch der Kurt Marti ist bescheiden. Täuscht der Eindruck, dass Sie eine gewisse Scheu haben, als grosser Schriftsteller zu gelten?

Es ist nicht Bescheidenheit. Ich könnte ja auch sagen, dass einige dieser Kolumnen nachgedruckt worden sind im «Tages-Anzeiger» und anderswo. Zeitweilig schrieb ich Kolumnen für die «Weltwoche», für die LNN und auf Aufforderung von Laure Wyss für das «Tages-Anzeiger»-Magazin. Da hatte ich Gelegenheit, mich an ein grösseres Publikum zu wenden.

Aber dass ich schliesslich bei dieser Nischenzeitschrift blieb, war nicht Bescheidenheit, sondern: Ich werde nicht gerne etikettiert. Das begann schon früh. Kaum schrieb ich ein Bändchen mit «republikanischen gedichten» wurde ich abgestempelt als politischer, als engagierter Autor. Dann schrieb ich ein Bändchen mit religiösen Gedichten. Sofort trug ich das Etikett «christlicher Dichter» – das trage ich noch heute, aber mit Unlust. Solche Adjektive enthalten ja immer eine Qualitätsverminderung. Ich möchte, dass man von meinen Texten und Gedichten einfach sagt, sie seien gut, oder sie seien schlecht.

Das Hauptgewicht der Kritik in Ihren Texten hat sich von der Sozialkritik und von der Links-rechts-Problematik, wie sie der Kalte Krieg vorgab, immer mehr hin zur Ökologie verschoben – mit durchaus skeptischer Einschätzung: Die Probleme der Welt würden schliesslich nicht von der Menschheit als «grösstem Problem der Welt» gelöst werden können, schrieben Sie 1995«Im Sternzeichen des Esels». Wartet der Vernünftige nur noch auf den Ökokollaps?

Aber es ist doch so! Nicht die Umwelt ist das Problem, sondern der Mensch, das schleckt keine Geiss weg. – Es stimmt, dass sich der Blick verschoben hat. Mehr und mehr wurden mir mit dem Alter die ökologischen Fragen wichtig. Das hängt damit zusammen, dass die Entwicklungen auf ökologischem Gebiet mir tatsächlich schwere Sorgen machen mit Blick auf die Kinder und Enkelkinder – nicht nur meiner, sondern überhaupt. Frisch hat gesagt, wir seien die erste Generation von Schriftstellern, die nicht mehr damit rechnen könne, dass ihre Werke auf Jahrhunderte hinaus gelesen würden – vielleicht dauert es noch eine Generation und dann liest niemand mehr, weil keine Menschen mehr da sind, die lesen würden. Das sind schon beängstigende Perspektiven, und ich bin dafür, dass man diese Perspektiven auch auszieht und benennt, dass man die möglichen Schrecken der Zukunft nicht verwischt und vernebelt, sondern die Leute darauf hinweist und wenn möglich erschreckt, damit sie beginnen etwas zu tun, gerade jetzt, wo man wieder von Aufschwung spricht. Nichts gegen Aufschwung, aber keinen Aufschwung weiterhin auf Kosten der Umwelt. Die Rauchwolke über Südostasien in diesen Wochen ist ja auch wieder so ein Menetekel, ein Warnzeichen, wohin unser Umgang mit der Umwelt führen könnte.

Hängt die Verschiebung der Gewichte auch mit ihrem theologischen Blick zusammen? Die Kritik spannt sich ja zwischen den Polen Schöpfung und Apokalypse auf.

Ich bin dagegen, dass man hier sagen würde: Du bist Christ und glaubst und deshalb musst du zuversichtlich sein. Ich glaube nicht, dass ein Christ ein Berufsoptimist sein muss. Denn es ist richtig, dass in der Bibel auch das Buch der Apokalypse steht und jede Menge apokalyptischer Passagen bei Jesus und im Alten Testament. So gesehen müsste sich eigentlich jeder billige Optimismus von vornherein verbieten. Aber warum stehen diese apokalyptischen Texte da? Damit wir gegen die Fehlentwicklungen, deren Linien da gleichsam ausgezogen werden, Widerstand leisten. Wenn die Propheten ihre finsteren Prophezeiungen losliessen, hatten sie ja nicht Freude daran, dass sie sich unter Umständen erfüllen könnten – das war ihnen im Gegenteil furchtbar. Aber sie hofften, mit diesen Schreckbildern die Leute zur Umkehr zu bringen. Und etwas anderes können wir heute auch nicht tun.

Kurt Marti als Prophet?

Nein. Überhaupt nicht – nur als einer, der registriert. Ich möchte mich lieber als Realisten bezeichnen, der einfach feststellt, was der Fall ist. Ich stelle nur schon in meinem Garten fest: Vor dreissig Jahren gab’s da noch viel mehr Schmetterlinge. Im Mai gibt’s keine Maikäfer mehr. Und wie viele Vogelarten sind verschwunden? So geht’s auf der ganzen Linie. Da stellt man doch fest: Das Leben geht in seiner Vielfalt und seinem Reichtum zugrunde.

Und jetzt sagt man: Dem helfen wir ab mit Gentechnologie. Jetzt, wo man vielleicht am Punkt wäre einzusehen, wie verhängnisvoll eigentlich diese ganze Entwicklung ist, jetzt kommen die Gentechnologen und sagen: keine Sorge, das bringen wir mit ein paar Handgriffen und Genverpflanzungen wieder in Ordnung. Das ist doch nur eine Scheinlösung – und was für eine.

Vor gut einem Jahr haben Sie in einer Kolumne zur geplanten Expo 2001 in der «ZeitSchrift» vorgeschlagen, man solle mit der Ausstellung aufzeigen, «dass die Zukunft Europas nur durch den ökologischen Umbau der Gesellschaft und der Wirtschaft gesichert werden kann». Hat es Reaktionen auf den Text gegeben?

Nein. Ausser aus Murten. Dort wurde er im Blatt der Kirchgemeinde Murten nachgedruckt. Aber sonst Echo? Nein. – Die politischen Machtverhältnisse sind nicht so, dass ein solcher Vorschlag aufgenommen werden könnte. Man will in der Schweiz, auch wirtschaftlich, wieder Impulse geben und nicht eine Art Utopie vorführen. Es geht uns in ökologischen Dingen noch zu wenig schlecht.

Am 26. Oktober nehmen Sie nun in Berlin den Kurt Tucholsky-Preis entgegen. Was steht im Zentrum der Dankesrede?

Der Dank und die Verwunderung, dass ausgerechnet mir der Tucholsky-Preis verliehen wird. Dann werde ich mich kurz vorstellen und dabei auch etwas über die Schweiz und ihre Vergangenheitsaufarbeitung sagen. Zum Schluss werde ich Erich Kästner zitieren. Kästner ist Tucholsky um 1930 im Grand Hotel von Brissago begegnet – beide stiegen ja in guten Hotels ab. Kästner schreibt, Tucholsky habe sich tagsüber nie gezeigt, er sei immer in einer Dachkammer des Hotels gesessen und habe dort gearbeitet. Und dann folgt der Satz: «Ein kleiner, dicker Herr aus Berlin kämpfte mit der Schreibmaschine gegen eine Katastrophe.» Das ist ein eindrückliches Bild für die Situation des Schriftstellers. Er sitzt an seiner Schreibmaschine und kämpft gegen eine Katastrophe, die er nicht verhindern kann. Trotzdem hämmert er in die Schreibmaschine. So ist die Situation des Schriftstellers offenbar immer wieder.

[Kasten]

Kurt Marti

Geboren 1921 in Bern. Zwischen 1942 und 1948 Studium der Theologie (unter anderem in Basel bei Karl Barth). Erstes Pfarramt in Niederlenz (AG) von 1950 bis 1960 Anschliessend Rückkehr nach Bern als Pfarrer an der Nydeggkirche. Beginn der schriftstellerischen Tätigkeit 1959 mit den Gedichtbänden «Boulevard Bikini» und den «republikanischen gedichten». Seither ein gutes Dutzend Gedichtbände, siebzehn Prosaarbeiten (darunter als einziger Roman «Die Riesin» sowie die Tagebücher «Zum beispiel Bern 1972», «Ruhe und Ordnung», «Tagebuch mit Bäumen» und «Högerland»). Sein Werk umfasst darüber hinaus literaturkritische, dramatische und theologische Schriften. Seit der Pensionierung 1983 widmet er sich ganz der schriftstellerischen Arbeit. 1996 ist von ihm im Verlag Nagel & Kimche eine Werkauswahl in fünf Bänden erschienen.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


v11.5