Prügel statt Glatzenparty

«Linke, Kanacken und anderes Gesotze wird es nur zu Information in der nähe genügend vorhanden haben.» Mit diesem Versprechen hat die bisher unbekannte Neo-Faschistische Front (N. F. F.) auf einem Flugblatt für letzten Samstag zur «2. Glatzen-Party» nach «Bern (Schweiz)» eingeladen. Besammlung sollte im Hauptbahnhof sein, von dort Fahrt mit dem Zug nach Bümpliz-Süd, «von dort laufen wir ca. 5-10 min. zum Standort des Festes […] Ok, bis bald. Oi oi oi Kameraden». Ein Waldfest im Könizbergwald?

Es kam anders. Als die «Antifaschistische Aktion Bern» (A. A. B.) vom N. F. F.-Flugblatt Kenntnis erhielt, handelte sie. Sie informierte Asylunterkünfte und besetzte Häuser und begann in der Stadt Handzettel zu verteilen, die auf das Neonazitreffen hinwiesen: «Es ist zu erwarten, dass es zu Übergriffen kommen wird. Bleiben wir also zu unserem Selbstschutz in Gruppen zusammen.»

Als am Samstag ab 16.45 Uhr Skinheads im Berner Hauptbahnhof eintrafen (ihre Autos hatten Nummernschilder aus den Kantonen Baselland, Bern, Zürich, sowie aus der BRD), wurden sie erwartet. Nicht nur AntifaschistInnen beobachteten den Aufmarsch, sondern auch verschiedene Polizeien. Auf jeden Fall wurden zwei brave Stadtpolizisten, die ihre Zentrale über die «Nazifreunde» auf dem Laufenden halten wollten, per Funk angewiesen, sich zurückzuhalten, weil dieses Treffen nicht Sache der Stadtpolizei sei.

Der Aufmarsch der Skinheads war mager. Mehr als 35 kamen nicht, bereits vor 18 Uhr fuhren deren zwölf, von denen die A. A. B. vermutet, es könnten «Kaderleute» gewesen sein, mit vier Autos weg und tauchten an diesem Tag in Bern nicht mehr auf. Die restlichen etwa zwanzig Skins sahen davon ab, nach Bümpliz-Süd hinauszufahren und begaben sich stattdessen in die Stadt auf Beizentour. Der Weg führte von der Innenstadt zum «Tramway», der Stammbeiz der YB-Hooligans, und von dort (mit einiger Verspätung) ins Wankdorfstadion zum Match YB-Aarau.

Ungefähr zu dieser Zeit begann den beobachtenden AntifaschistInnen die Geschichte aus dem Ruder zu laufen. Längst wussten in der Stadt verschiedene Jugendgruppen, dass Skins unterwegs waren, und dass sie nicht allzu viele waren, wusste man auch. Eine erste kleine Gruppe von ihnen erwischte es im Bahnhof: Nach einer den Umständen entsprechenden Zusprache mussten sie folgsam Ausweise und Waffen (Messer, Schlagring, Schlagstock) abliefern, bevor sie ihre Heimfahrt Richtung Büren/Grenchen in Angriff nehmen konnten.

Als die restlichen Skinheads nach dem Fussballspiel Leute anpöbelnd und Töffli vermöbelnd wieder dem Hauptbahnhof zustrebten, wurden sie erwartet. Zuerst marschierten sie in eine Polizeikontrolle und kurz darauf standen sie etwa hundert Leuten gegenüber, von denen die beobachtenden AntifaschistInnen nur noch den kleinsten Teil ausmachten. In diesem Augenblick wurde das Faschoklopfen zum gesellschaftlichen Anlass und die politische Aktion verkam zur Wochenendschlägerei zwischen rivalisierenden Gruppen frustrierter Jugendlicher. Bilanz: Zwei N. F. F.-Leute, einer aus Lausanne, einer aus Deutschland, wurden mit Messern verletzt, der eine am Kopf, der andere unter anderem durch einen Lungenstich (laut Untersuchungsrichterin Barbara Sohm). Vier deutsche Skins wurden von der Polizei vorübergehend festgenommen. Auf der Gegenseite wurden vier Leute von einem Polizeihund gebissen.

«Wir hoffen, es ist von nun an klar, dass wir in der Stadt Bern keine faschistischen Horden dulden.» Diese Erklärung erliess der siegreiche Generalstab der A. A. B. später an die Presse. Grosse Töne. Einerseits mag es ja sein, dass Skinheads wirklich nur die Sprache der Gewalt verstehen (entsprechende Einschüchterungen haben zum Beispiel in Zürich schon Wirkung gezeigt), andererseits werden die A. A. B. (deren Mitglieder laut «Bund» lieber als «Partisanen» denn als «Bürgerwehr» angesprochen werden möchten) eine Frage gestatten: Um ein Haar wäre vor der Heiliggeistkirche ein Skin als neofaschistischer Märtyrer liegen geblieben. Wem hätte das, mit Verlaub, am meisten genützt? Oder anders: Ist es politisch nicht ein wenig naiv, sich mit dem Ausgang einer Schlacht zu brüsten, wenn man die eigenen Truppen nicht kontrollierte, nicht einmal überblickte, ja, eigentlich gar nicht so genau kannte?

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Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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