Moderate Nebengeräusche

Man könnte meinen, in den bernischen Kirchgemeinden sei der Teufel los. Das stimmt zwar nicht – bloss: Warum dann diese Häufung von Meldungen über Konflikte in Kirchgemeinden?

Ganz einfach: Zurzeit finden im Kanton Bern die Wiederwahlen der Pfarrerinnen und Pfarrer für die Amtszeit vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2013 statt. Die kantonale Kirchendirektion hat dafür einen straffen Zeitplan vorgegeben: Im Januar 2007 mussten die Kirchgemeinderäte bekannt geben, ob sie die amtierenden Pfarrpersonen wiederzuwählen gedenken oder nicht. Im Februar und März hatten Kirchgemeindemitglieder Gelegenheit, den Entscheid ihres Kirchgemeinderats mit den Unterschriften von 5 Prozent der Stimmberechtigten zu bestreiten. Wo die Wiederwahl durch den Rat oder die Gemeinde bestritten ist, kommt es in einer ausserordentlichen Kirchgemeindeversammlung zur öffentlichen Ausmarchung. Nach dem Willen der Kirchendirektion müssen sämtliche Wiederwahlverfahren spätestens am 30. Juni 2007 abgeschlossen sein.

Zehn Wiederwahlen mit Nebengeräuschen

In der Kirchendirektion hat Hansruedi Spichiger hat als Beauftragter für kirchliche Angelegenheiten in der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion die Übersicht: «Wiederzuwählen waren knapp 600 Geistliche aller drei Landskirchen, die sich in 432 Vollzeitstellen teilen. Ausser in zehn Fällen wurden sämtliche Dienstverhältnisse ohne Nebengeräusche bestätigt.» Die «Knatsch»-Schlagzeilen betreffen also just 1,5 Prozent aller Fälle.

Eigentlich erstaunlich wenige: Bis 2002 wurden die Pfarrerinnen und Pfarrer zwar ebenfalls auf sechs Jahre, aber auf ihren jeweiligen Anstellungstermin bestätigt – Wiederwahlkonflikte kamen deshalb immer mal wieder, aber immer vereinzelt vor. Auf 1. Januar 2002 wurden dann erstmals sämtliche Pfarrpersonen (egal, wie lang die letzte Bestätigung zurücklag) gleichzeitig wiedergewählt. Zurzeit wird also erstmals gleichzeitig und nach einer vollen Amtsdauer wiedergewählt.

Tatsächlich aber gibt es zehn Problemfälle:

• Vier Pfarrerinnen und Pfarrer haben auf die Wiederwahl verzichtet, nachdem diese bestritten worden war, um der Kirchgemeinde und sich selbst die Zerreissprobe und den öffentlichen Wirbel zu ersparen.

• In Adelboden, Diesse und Walkringen opponieren Teile der Bevölkerung  gegen die (vom Kirchgemeinderat vorgeschlagene) Wiederwahl der Pfarrperson; die notwendige Zahl der Unterschriften ist zustande gekommen.

• Umgekehrt kommt es in Hilterfingen zur Kirchgemeindeversammlung, weil sich der Kirchgemeinderat für die Abwahl des Pfarrers entschieden hat, was Teile der Bevölkerung nicht goutieren.

• Im einem Fall verhandelt der Kirchgemeinderat zurzeit mit den Unterschriftensammelnden, weil, so Spichiger, deren Argumente gegen die Pfarrperson «dürftig und unklar» sind.

• Der Konflikt in Wimmis schliesslich hat nichts mit der Wiederwahl des Pfarrers zu tun – dieser hat die Gemeinde Anfang Jahr bereits verlassen. Das Problem hier: Eine starke Minderheit der Kirchgemeinde ist mit ihrem Kirchgemeinderat nicht mehr zufrieden.

Die einzelnen Konflikte sind zwar nicht vergleichbar – die Problemzonen aber meist ähnlich: Sie haben entweder mit Auseinandersetzungen zwischen dem (ehrenamtlichen) Kirchgemeinderäten und den (professionellen) Pfarrersleuten, Unverträglichkeiten im Pfarrteam, frustrierten Kirchgemeindemitgliedern oder mit der zu stark landeskirchlich respektive zu stark evangelikal ausgerichteten Theologie der Pfarrpersonen zu tun.

Ein Beruf im Umbruch

Einen weiteren Aspekt bringt Andreas Stalder, Präsident des bernischen Pfarrvereins, in die Diskussion: «Bis vor zwei Jahren gab’s im Kanton Bern kaum freie Pfarrstellen. Seither hat eine deutlich gesteigerte Rotation eingesetzt.» Gibt es demnach doch mehr schwelende Konflikte, die durch Stellenwechsel gelöst werden? Stalder schliesst das nicht in jedem Fall aus, sieht aber zwei andere Gründe für die Stellenwechsel:

• Im März 2004 hat die kantonale Kirchendirektion entschieden, bis Ende 2007 seien insgesamt 25 reformierte Pfarrstellen einzusparen. Seither wurden in rund 40 Prozent der Kirchgemeinden Stellenprozente abgebaut. «Das hat zu Stellenwechseln von Pfarrern und Pfarrerinnen geführt», sagt Stalder, «die zum Beispiel aus familiären Gründen auf den bisherigen Lohn abgewiesen sind».

• In der gleichen Zeit handelten alle Kirchgemeinderäte mit ihren Pfarrern und Pfarrerinnen Stellenbeschriebe aus, in denen verbindlich und transparent festgelegt wurde, was im Rahmen der Anstellung geleistet werden soll – und was nicht drinliegt (wobei eine 100 Prozent-Stelle 42 Wochenarbeitsstunden entspricht). «Diese Verhandlungen sind nicht überall konfliktfrei verlaufen», sagt Stalder.

Schliesslich kann man heute in den Kirchgemeinden in guten Treuen in vielem unterschiedlicher Meinung sein. Denn: Je schneller sich die Gesellschaft wandelt, desto schneller wandeln sich auch die Vorstellungen, was eine Pfarrperson zu sein und zu sagen und zu tun hat. Darf der Pfarrer im Dorf überhaupt eine 42-Stunden-Woche fordern, oder hat er rund um Uhr verfügbar zu sein? Muss die Pfarrerin im Pfarrhaus wohnen oder ist die Residenzpflicht ein alter Zopf, der abgeschafft gehört? Und: Wie wortwörtlich soll das Bibelwort auf der Kanzel gedeutet werden?

Die Debatten in den Kirchgemeinden werden weiter gehen. Auch nach den Wiederwahlen.

Aktuell

Zum Projekt

 

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Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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