Der Schriftsteller Lorenz Lotmar, 1945 in Aarau geboren, beging 1980 in München Selbstmord. Dem weitgehend unveröffentlichten Werk von Lotmar (Erzählungen, Hörspiele, Gedichte, Tagebuchnotizen und ein weiterer, umgangreicher Roman) hat sich der orte-Verlag angenommen. Nach dem Roman «Die Wahrheit des K. Bisst» (1982) hat er nun einen zweiten Text von Lotmar, den «Handlinienmann», herausgegeben.
Wie in Kafkas «Verwandlung» geschieht das unvorstellbar Entsetzliche zu Beginn der Geschichte und will und will sich nicht auflösen: Der Physiker Merz wird auf einem Spaziergang von einem neben ihm einschlagenden Blitz zu Boden geschleudert. Als er sich wieder erhebt, ist nichts mehr wie vorher: Merz hat plötzlich seine Handlinien (und damit sein Schicksal) verloren; obschon er selber in seinem Gesicht keine Veränderung feststellen kann, erkennt ihn niemand mehr; seine Körpertemperatur sinkt, er nimmt keine Nahrung mehr auf, scheidet nichts mehr aus, seinen Achselhöhlen beginnt ein penetrant süsslicher Geruch zu entströmen; in der Zeitung erscheint seine Todesanzeige. Merz zieht sich zurück, um abzuwarten, bis sich sein Zustand normalisiert habe, aber er normalisiert sich nicht. Mittlerweile mittellos geworden, weil er sich nicht getraut, sich an seinem eigenen Nachlass zu vergreifen, wird er von der Polizei aufgegriffen. Von seiner Geschichte glaubt man ihm kein Wort. Die nach und nach zusammenströmenden wissenschaftlichen Koryphäen stehen vor einem Rätsel. Merz verdämmert in einer Anstalt, ohne dass eine Veränderung seines Zustandes diagnostiziert worden wäre, ohne dass ihn jemand aus seinem Leben vor dem Blitz wiedererkannt hätte.
Lorenz Lotmar: Der Handlinienmann. Roman, Zürich (orte-Verlag) 1984.