Bereinigung nach Mass

Ausserhalb von Affoltern bei Zürich steht das «Agroscope Reckenholz», die Eidgenössische Forschungsanstalt für Agrarökologie und Landbau. Hier erforscht man den sauberen, biologischen Landbau. Eine saubere Sache auch deshalb, weil im fünfstöckigen Gebäude Gänge, Duschenräume, Büros und Labors immer wieder sauber werden, auch wenn die Forscher und Forscherinnen bei Regenwetter in Gummistiefeln von den Feldern zurückkehren. Für diese Sauberkeit sorgt eine Putzgruppe der «Honegger Reinigungen AG». Allerdings, wenn es nach dem Willen der Firma geht, nur noch bis Ende April. Die Honegger AG hat nämlich der ganzen Gruppe gekündigt.

Wer nicht unterschreibt, fliegt

«Eigentlich nur aushilfsweise», sagt Teresa Fernandez, arbeite sie seit 19 Jahren im Putzteam mit, das ihr Ehemann Francisco seit zwanzig Jahren als Gruppenchef leitet. Aber sie muss häufig einspringen. Wenn jemand gehe oder ausfalle, sei es für ihren Mann jeweils schwierig, Ersatz zu finden. Wer arbeitet schon gern täglich zwischen 18 und 20.45 Uhr für einen Stundenlohn von knapp 17 Franken brutto? Dafür stimme das Arbeitsklima: Die «Honegger AG» – mit dem Hauptsitz in Gümligen bei Bern, 17 Filialen und rund 5000 Mitarbeitenden in der ganzen Schweiz eine der grossen Firmen der Branche – kannte das Putzteam allerdings nur dem Namen nach: Fernandez organisierte fehlendes Personal so gut wie fehlendes Material, und Arbeitsverträge gab es keine.

«Das änderte im letzten Dezember», erzählt Teresa Fernandez. Statt der Gratifikation von 100 bis 200 Franken wie in anderen Jahren habe jedes Mitglied der Gruppe per Post einen Arbeitsvertrag zum Unterschreiben erhalten: «Wir sollten darin eine Stundenreduktion und die Streichung der Fahrspesen von 30 Franken pro Monat akzeptieren.» Das Team war sich einig: Man wollte gerne weiter zusammen arbeiten, aber nicht zu noch schlechteren Bedingungen. Anfang Januar wurde der Vertrag zum zweiten Mal zugeschickt. Wieder unterschrieb niemand. Und auch beim dritten Versuch nicht. Am 25. Januar kamen die Kündigungen. Als Grund dafür wurde neben dem nicht unterzeichneten Vertrag die Tatsache erwähnt, dass man zusätzlich die Arbeitszeitreduktion abgelehnt habe, die «aus Umstrukturierungsgründen auf Wunsch des Kunden» erfolgt sei. Letzteres stimmt nicht. Denise Tschamper, Pressesprecherin des Agroscope sagt: «Einen solchen Wunsch haben wir nie geäussert.»

Teresa Fernandez: «Die ‘Honegger’-Leute konnten uns nicht sagen, aus welchem Grund die Arbeitszeitreduktion nötig ist.» Sie hat aber einen einleuchtenden Verdacht: Nur wer mindestens 12,5 Stunden pro Woche arbeitet, hat das Recht, in die Krankentaggeldversicherung aufgenommen zu werden. So steht es im Artikel 13 des Gesamtarbeitsvertrags (GAV) der Reinigungsbranche. Seit diesem Jahr hat die «Honegger AG» jedem einzelnen des Teams ein bisschen Arbeitszeit gestrichen, dafür zweimal pro Woche eine weitere Person angestellt. So ist die Gesamtarbeitszeit des Teams gleich geblieben, aber in jedem einzelnen Fall unter 12,5 Stunden pro Woche gesunken.

Protest und Solidarität

Das Putzteam schaltete die Unia-Sektion Zürich ein. Deren Geschäftsleiter Roman Burger schrieb der «Honegger Reinigungen AG»: «Wir betrachten die ausgesprochenen Kündigungen als missbräuchlich und sind nicht bereit, diese zu akzeptieren.»

Am Abend des 22. März schritt das Team selber zur Tat und führte einen Warnstreik durch: Sie verzierten die Eingangshalle des Agroscopes mit grossen Ballonen, schrieben eine Wandzeitung («Denkt bitte auch an uns Arbeiter»), und hängten fotografische Selbstporträts auf. Sie zeigten Nedzbedin und Ismije, Antonio, Teresa und Francisco, Sadri und Nurane, Lirije, Alije und Azbi. Am nächsten Morgen lernten die Forscher und Forscherinnen, dass Sauberkeit nicht vom Himmel fällt und zeigten, dass sie verstanden hatten: Innert einer Stunde unterzeichneten knapp 140 von ihnen für das Putzteam eine Solidaritätserklärung. Und Agroscope-Direktor Paul Steffen schrieb per Mail an seine Mitarbeitenden: «Es ist mir ein persönliches Anliegen, dass die Sachlage geklärt wird. Ich werde daher bei der Firma Honegger vorstellig werden, um Näheres zu erfahren. Zugleich werde ich zum Ausdruck bringen, dass wir mit der Leistung der Reinigungsequipe stets zufrieden waren. In diesem Sinne habe ich die Aktion der Unia auch unterstützt.»

Zurzeit sitzt die «Honegger AG» an der Antwort auf den Brief der Gewerkschaft. Die Unia wartet ab. In einer «Solidaritätserklärung» schreibt die VPOD-Sektion Zürich des eidgenössischen Personals, man müsse sich grundsätzlich fragen, «ob, warum und in welchem Umfang Dienstleistungen ausgelagert werden»: «Im vorliegenden Fall wäre es sinnvoll, das Reinigungspersonal direkt bei der Forschungsanstalt anzustellen.» Und Teresa Fernandez sagt: «Wir hoffen, dass die Honegger AG die Kündigungen zurücknimmt. Wir unterschreiben den Vertrag, wenn uns die gleichen Arbeitsbedingungen wie bisher geboten werden.»

 

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Galicische Bauerntochter

In die Schweiz gekommen ist Teresa Fernandez 1969 als 18jährige. Eine Schwester, die bereits in der Schweiz arbeitete, hatte ihr einen Arbeitsvertrag mit der Lingerie des Hotels Plattenhof in Zürich vermittelt. Nach zwei Jahre wechselte sie in das Hotel Europa, danach für vier Jahre als Verkäuferin zu ABM. 1976, nach der Heirat und der Geburt des ersten Sohns, arbeitete sie nur noch aushilfsweise ausser Haus, nach der Geburt des zweiten Sohns 1979 wurde sie ganz Hausfrau. Mitte der neunziger Jahre hat sie wieder begonnen, auswärts zu arbeiten.

Aufgewachsen ist sie mit fünf Geschwistern auf einem kleinen Bauernhof am Meer bei La Coruña in Galicien: Ihr Vater baute Reben, Getreide und Kartoffeln an. Dazwischen fuhr er als Thunfischer zur See. Nach seinem Tod hat sie 1987 ihre Mutter zu sich in die Schweiz geholt. Sie betreut die unterdessen 94jährige bis heute in ihrer Wohnung in Zürich-Seebach.

Teresa Fernandez ist Unia-Mitglied. Vormittags putzt sie bei einem anderen Arbeitgeber – übrigens für 25 Franken brutto pro Stunde. Bei Honegger verdient sie als Aushilfe je nach Arbeitsanfall pro Monat höchstens einige Hundert Franken.

Der Beitrag erschien unter dem Titel «Frau Fernamdez’ Verdacht». 

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