Aufmunterung aus dem Jenseits

Im November 1981 hat die WoZ in der Rubrik «Apokalypse» den Text «Hoffnung für die Welt» von Anatol Jeremia Zangger publiziert. Ein gutes halbes Jahr später ging A. J. Zangger dramatisch ab: Man fand das Pseudonym erhängt im Stacheldraht des obrigkeitlich verrammelten Berner AJZ’s (Drahtzieher Nr. 23/1982). In den letzten Tagen nun hat der Verblichene – soweit man seinem Nachlassverwalter fl. glauben kann – aus dem Jenseits ein leicht verstümmeltes Postskriptum zu seinem Apokalypse-Text übermittelt. Die WoZ dokumentiert.

«(Rauschen)… habe ich dann meine private Apokalypse auf etwas undelikate Weise eingeleitet, ein diskutabler Entscheid… (Rauschen) … war damals das Zitat von Arnold Künzli der Ausgangspunkt: ‘Wenn man die Entwicklung der letzten 50 Jahre extrapoliert auf die nächsten 50 Jahre, kommt man zwingend zum Schluss, dass die Welt im Jahr 2030 nicht mehr bewohnbar ist.’ Nun bleiben euch somit noch 45 Jahre. Darüber redet ihr nicht mehr, so weit ich euch hier mitgekriegt habe. Wie doch die Zeit vergeht… (Pfeifton) … und vom Waldsterben war damals noch nicht die Rede. Die Techno-Katastrophen werden euch jetzt schon direkt vor der Nase inszeniert und ihr glaubt ihnen, wenn sie sagen, WIR seien alle dafür verantwortlich. Nichts gelernt! Vergiften SIE den Rhein, sei das UNSERE Katastrophe. Ebensogut könnte man sagen, IHR Gewinn sei UNSER Geld, IHR Gift sei UNSER… (Rauschen) … so weiter. Wenn ich mich ab und zu über eure Medien langweile, staune ich doch, wie da jetzt der gute alte Frisch nachgebetet wird – WIDERSTAND, WIDERSTAND – von solchen, die froh sein müssen, dass man nicht öffentlich mitkriegt, wenn sie im Fremdwörter-Duden nachschlagen, ob man das komische Wort nicht doch mit ‘ie’… (Rauschen) …nein bitte, so schafft ihr das Jahr 2031 auch nicht. Solange ihr ‘UNSERE Katastrophe’ sagt, wenn ihr ‘IHRE Umweltverbrechen’ meint, solange ihr ‘UNSERE Angst vor Terroristen’ mit ‘IHRER Angst vor dem bewaffneten Widerstand’ verwechselt, solange ihr ‘UNSER Land’, ‘UNSER Betrieb’ und ‘UNSERE Zukunft’ sagt, wenn ihr ‘IHREN Boden’, ‘IHRE Produktionsmittel’ und ‘IHRE Zukunft’ meint, solange… (Rauschen) …korrekter Sprachgebrauch, erst danach ist Widerstand überhaupt möglich. Früher haben wir noch diesen knalligen Jargon geredet: Die Ausgebeuteten und Vergifteten einbinden in die Verantwortung der Ausbeuter und Vergifter: Das ist die Grundidee der demagogischen Herrschaftsrhetorik… (Pfeifton) …Übrigens nennen wir hier bei uns das unkorrekte Handhaben von Pronomen die ‘sozialdemokratische Sprachseuche’. Wie reden die Sozis eigentlich bei euch? Sagt bei uns zum Beispiel einer: ‘WIR sitzen alle im gleichen Boot’, obschon er weiss, dass die grössere Hälfte am Schwimmen, Wasserschlucken und am Absaufen ist, dann… (Pfeifton) … werde ich fast ein wenig schwermütig, denn das Leben hat schon einen ganz speziellen Charme. Eigentlich wünsche ich euch, dass ihr eure Apokalypse individuell gestalten könnt, auch nach 2030. Dazu wäre allerdings nötig, dass ihr euren Feind in der Sprache präzis ortet. Erst dann werdet ihr ihn in der Welt wieder klar erkennen. Und wenn wir erst wieder wissen, wen wir fürchten und hassen müssen, dann wird es uns eher wieder möglich sein, uns untereinander… (Rauschen) … Hallo? Hallo Welt, ist da noch einer am anderen Ende? Hallo?… (Rauschen).»

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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