Doch Boykott

«Die Generalversammlung der Schweizer Autorinnen und Autoren Gruppe Olten protestiert dagegen, dass Kulturschaffende einerseits aufgefordert werden, sich unter dem Stichwort ‘Utopie’ zum Jubiläum der Eidgenossenschaft zu Wort zu melden, andererseits zusammen mit Hunderttausenden von Bürgerinnen und Bürgern von der politischen Polizei registriert wurden und offensichtlich auch in Zukunft observiert werden sollen. Sie unterstützt den Kulturboykott 700 und die laufende Volksinitiative zur Abschaffung der politischen Polizei.» So der Resolutionstext, der in Burgdorf letzten Sonntag mit 22:17 Stimmen bei fünf Enthaltungen verabschiedet worden ist.

Zum Traktandum 6, «700-Jahr-Feier: Weiteres Vorgehen», hätten die einen am liebsten ganz auf eine Stellungnahme verzichtet, obschon man sich in der Einschätzung der Lage weitgehend einig war. Alex Gfeller: «Wir befinden uns mitten in einem Monster, das sich mit Demokratie tarnt.» Otto F. Walter: «Heute, da der Sieg der Marktwirtschaft über die Demokratie vollkommen ist, kommen wir nicht um eine Stellungnahme herum.» Der Grundsatzentscheid für eine Resolution fiel mit 20:8 Stimmen.

Nicht unbestritten war aber der Kulturboykott. Seine Gefahr liege darin, dass er den Konflikt zwischen den Kulturschaffenden und dem Staat zum Konflikt unter den Kulturschaffenden mache und sogar in die einzelnen Leute hineinverlagere. Rolf Niederhauser: «Auch wenn der moralische Imperativ des Boykotts akzeptiert wird, bleibt der ökonomische Konflikt. Meinungsfreiheit muss man sich leisten können. Über die Tragweite dieses Problems hat sich das Boykottkomitee zu wenig Rechenschaft gegeben.»

In der durchwegs kritisch-solidarisch geführten Debatte sind Beispiele für diesen ökonomischen Konflikt genannt worden. Die nicht boykottierende Claudia Storz zum Beispiel hat ihre Arbeit bereits Ende 1989 abliefern müssen, das Honorar – es wird drei Viertel eines Jahreseinkommens ausmachen – kriegt sie aber erst 1991. Oder: Der boykottierende Gerold Späth, der mit dem Rückzug seines Hörspiels die Initialzündung für die Kulturboykott-Diskussion gegeben hat, kann die Ausstrahlung seiner Arbeit im Radio DRS juristisch nur dann verhindern, wenn er für die gesamten Produktionskosten aufkommt (ungefähr 20'000.-).

Am Schluss der dreistündigen Debatte war nicht nur der bereinigte Resolutionstext beschlossen, sondern für November  auch eine ausserordentliche GV. Sie soll ausschliesslich dem Verhältnis der AutorInnen zum Staat gewidmet sein. Weiter angeregt wurden «Gegenfeiern» als Stellungnahme «mit den Mitteln der Kreativität» (Klaus Merz), respektive «Projekte ausserhalb» für die nach «Infrastruktur und autonomen Geldquellen» gesucht werden müsse (Franz Hohler).

Die AutorInnen haben darüber hinaus zwei weitere Resolutionen verabschiedet. der bundesrätliche Entwurf zum Urheberrecht ist für die AutorInnen unannehmbar (z.B. fehlende Bibliothekstantieme). Und: Der Schweizerische Buchhändler- und Verlegerverband weigert sich seit mehr als einem Jahr, die Verhandlungen um einen Modellvertrag zum Abschluss von Buchverträgen im belletristischen Bereich weiterzuführen.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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