XVIII

 

 

Im Wind das Grab von Friedrich und Rosa Lerch.

Der Dorffestlärm verweht überm offnen Feld:

Musik und Kinderschreie, eine

Lautsprecherstimme. Die Wolken, niedrig

 

Und regendunkel, streifen den Kirchturmspitz.

Die Herkunft ist ein saubergekämmtes Dorf.

Die Gräberreihen ausgerichtet:

Ordentlich, immergrün, demokratisch.

 

Den Stein ziert, grobgehauen, ein Lebensbaum.

Kastanien rauschen auf. Durch den Thuja geht

Die Leere windbewegt und achtlos.

Hier wartet niemand auf Argumente.

 

Hier gibt es kein Gehör, kein Gedächtnis und

Kein Schweigen, nur die Stille aus Laub und Wind.

Die Scham der Armut ist aufgehoben

Unter dem Schatten des Weltvergessens.

 

Wie hätte ich Euch je überzeugt davon,

Dass kleiner Leute Leben nicht wertlos sei?

Dass unsere Geschichte eine

Sprache verdiene so gut wie andre?

 

Dass uns das Leben Grosser nicht scheren soll?

Dass die sich Hofnarrn halten wie ehedem,

Die ihnen Lobgesänge singen?

Dass wir dagegen die eignen Lieder

 

Erfinden sollen, weil niemand sonst sie schreibt?

Weil eigne Lieder wirken durch alle Zeit,

Noch wenn sie niemand hören würde?

Dies hätte ich Euch noch sagen wollen

 

Als Dank für jenen Rat, unser Eignes zu

Verschwiegen. Dadurch sah ich den Weg zuerst,

Der Reichen Taten abzubilden

Machtlosgemachten die Sprache leihend.

 

Zurück ins Dorf: der «Bären», der Scheibenstand.

Im Regen Jahrmarktstände, die Festwirtschaft.

Die grussgewohnten Kindheitsschemen,

Tragen verlorne Gesichter festwärts.

 

Im gelben Ölzeug jubelt allein das Kind

Auf einer Disney-Ente des Rösselspiels.

Der Zug fährt pünktlich hier. Ich schlendre

Langsam zum Bahnhöfchen, plötzlich fröstelnd.

 

[3.-12.10.1998; 11.4.2001]

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