Sprache macht frei

 

So wie Verlorne in den Hüften schaukeln

und ratlos staunen, dass sich was bewegt,

so schaukeln diese Wörter durch die Verse,

erstaunt, dass noch ein Rhythmus schlägt.

 

Der Automatentakt quadriert die Leere.

Was sagt die Sprache, wenn sie nichts mehr sagt?

Wenn vor der schwarzen Wand der Wirklichkeit

die Zeichen schweigen und der Laut versagt?

 

Was tat das Herz des Muselmanns im Lager,

der an die Zäune wankte in den Tod?

Es schlug. – So schlägt der Takt in jedem Wort,

das wie ein spätes Abendlicht verloht.

 

(4.+8.11.2009; 19.2.2016)

 

Der 2009 gesetzte Begriff «Muselmann» in diesem Gedicht könnte heute vor dem Hintergrund der Flüchtlinge, die aus dem Nahen Osten nach Europa kommen, missverständlich sein. In der Bedeutung, die hier gemeint ist, bin ich dem Begriff zuerst im März 1979 begegnet bei der Lektüre von: Eugen Kogon: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager. München (Kindler) 1974 (9. Auflage). Kogon spricht darin auch von jenen Häftlingen, «die schon längst den echten Lebenswillen verloren hatten, […] also Leute von bedingungslosem Fatalismus», und erwähnt, sie seien in den Lagern als «Muselmänner» bezeichnet worden (S. 380).

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