Drei Feldvermessungen

 

I   Fruchthülse

 

Geschichten, das sind die andern.

Ein Ich gibt es nicht.

Erzählen ist depersonal:

Es spricht.

 

Als Fremder sitzt man am Text.

Was als Eignes erscheint,

ist im Sinnraum der Wörter

immer nur mitgemeint

und ohne Gewicht.

 

Wie lang hat mir Narr doch die Sprache

Ein Eignes verbürgt:

Die Hülse weiss nichts von der Frucht,

die sie birgt

oder nicht.

 

So spricht es mir weiter:

Ein ichloses Medium

rührt mechanisch den Wortbrei

und redet sich stumm.

 

(19. [Binn], 23.+27.12.2009; 4.1.2015)

 

II   Im Winkel

 

Der Mensch wird aus dem Vers gestellt.

Was sich als Subjekt verhält,

entfällt: Im Winkel stehen überall

Objekte vor dem Machtzerfall

aus Fleisch und Blut. Auf jeden Fall

gebaut und nicht geworden. Fällt

das Ding, wird es zu Geld und Geist,

das stets die rechten Winkel preist.

 

(Juli/5.8.2013; 4.1.2015)

 

III   Kurze Realismusdebatte

 

Für Maurizio Ferraris,
den Verfasser des «Manifesto del nuovo realismo»

 

Die Wörterreihe, die ich hier entwerfe,

erschafft den materialen Korpus des Gedichts.

Sie bildet eine autonome, kleine Welt

in einem undenkbaren, grossen Nichts.

 

So formen postmoderne Angelesenheiten

ein philosophisch dräuendes Verhandlungsfeld.

Doch dräut nur Schein. Denn hinter allen Wörtern

befindet kein Nichts: Dort schweigt die Welt.

 

(2./5.1.2015)

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