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Echsenzeit
Arbeitspause
Sperrig und fremd
suchen die Verse im Kopf
das Eigne erneut.
Blicke ich auf,
seh ich im Fenster
den Steilhang jenseits des Tals:
Baumwand unter Spätsommerblau.
Wie vor hundert Jahren,
wie in hundert Jahren.
Hier ändert nichts
als hinter dem Fenster
die Augen.
Bei Costa
Träumend geh ich
auf dem Plattenweg
drei Schritte hinter dir.
Plötzlich
hellbraun schwarz gefleckt
liegt vor mir eine Schlange,
entknäuelt sich träge, gleitet
den Steilhang hinab,
verschwindet
unter Wurzeln.
Wie aber kam
wasserschlauchdick
dieses Tier zwischen uns?
[139]
Mittagsnachrichten
Auf dem Holztisch verstaubt
in der niedrigen Küche
steht ein Transistorradio.
Das Drehrad rechts
schafft klickend Kontakt
zum Ölfilm über der Welt.
Es wackelt: Vorsicht,
sonst fällt es ab.
Waldweg
Im alten Säumerweg bei Vosa
liegt zwischen lauter groben Quadern
eine Platte von geschwungner Form.
Drauf eingehauen ist in grossen Lettern
die Jahrzahl 1912. Und
unterhalb des Wegs fällt steil
der Wald in Stufen ab: Terrassen
längst verwachsnen Ackerlands.
Leerer werden die Zeichen,
bald verstummen sie ganz:
Das nächste ist noch Geschichte,
das übrige wieder Natur.
[140]
Sommerflieder
Verklammert in die Trockenmauer
breitet der Strauch
die wippenden Zweige ins Licht:
ein hergewehter Neophyt.
Auf seiner ersten
violetten Blütendolde
balanciert ein Schmetterling.
Monte Calascio
Der Übergang jenseits des Tals,
«Weiden, Trockenmauern im Geviert
und Wald mit Lichtungen»,
von Gletschern flachgeschliffen:
Das ist der Passo della Garina.
Darüber flüchtete Herr Geiser,
darüber floh er zurück ins Tal.
Und unten links das Dorf,
das klebt am Hang: Berzona.
Dort wirbelte durchs Holozän,
dem keiner je entkommt,
die Asche jenes Manns,
der Geisers Flucht ersann.
[141]
Nach dem Gewitter
Im Tal tost seewärts
das Gewitterwasser.
Auf dem Steintisch liegt
ein weggerissnes Rosenblatt.
Drauf steht im Sonnenlicht
ein Tropfen Wasser,
geformt zu einer Perle,
die vibriert im Wind.
Ihr Glanz vergeht der Wärme zu:
ungebraucht und nicht getauscht.
Das Rosenblatt fliegt
mit dem Wind.
Rückkehr
Jetzt liegen erste Kastanien
im Laub und unwirklich nun:
die Gneisplattenruhe des Wegs.
Unwirklich schon:
die überstürzte Abreise letzthin,
die Tage am Krankenbett,
das Warten auf ein nächstes Wort,
immer vergeblicher.
Jetzt sind alle Koffern gepackt,
auf dem Tisch liegt das Handy:
Solange es schweigt,
atmet jenseits der Alpen
die Mutter.
[142]
Die Eidechse
Immer der Sonne zugewandt
blickt auf dem Steintisch
die Eidechse reglos ins Licht.
Selten ruckt ihr Kopf nach links
oder rechts. Ihr Maul klammert
den Rumpf des Engerlings,
der sich vor dem Echsenkopf windet.
Ab und zu mahlen die Kiefer.
Der Stummel zuckt schwächer,
und langsam wird er kürzer.
(Zyklus: 2004)