[33: Titel; 34]
Bauernkrieg
Als man zählt neunzehnhundert und zweiundneunzig Jahr
ereignet sich gross Märten, s’ist kund und offenbar.
Den Bauren zu zertreten, den armen gringen Mann
schickt sich der Oberkeiten falsch Redlinsführer an.
Europas internationaler Fortschritt bringt
den Subventionsabbau der Schweizer Bauernschaft.
Nur forsches unternehmerisches Denken schafft,
was die Strukturbereinigung des Markts erzwingt.
Uns gentzlich auszurütten, verkouft ihr uns geschwindt.
Sind wir nicht treuwlich gschtanden am Rheine vor dem Findt?
Der bäuerliche Isolationismus prallt
als ökonomisch nur noch marginale Kraft
auf Interessenlagen der Gesamtwirtschaft.
Mit Knütteln lasst uns lausen die frömbde Herrengwalt!
(1992)
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kind in sarajewo
in himmelwärts fliegenden staublawinen
fahren schatten der sonne zu
ein schneemann betet: wer hilft ihnen?
der liebe gott stottert: ich nicht du
altvertraut:
schweigen und dienen
hingebaut:
kanzeln zum sühnen
angestaut:
himmelfahrtsminen
weggehaut:
die feindlichen hühnen
aber die heimat aus wanderdünen
die immer schon weitergewandert sind
treibt ihre malmenden friedenssturbinen
von krater zu krater im februarwind
(in sarajewo verhungert ein kind)
vollbeladen
mit schmerzmaschinen
stehn nachtnomaden
mit schwarzen mienen
in barrikaden
aus schattenschienen
vor wahnfassaden
und traumruinen
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gott kaut verloren an gläubigen herzen
die zerfetzten ruhn und er ruht in ihnen
der himmel schmückt sich mit brennenden erzen
über opfergeschmückten bühnen
der schneemann zerfliesst und ein kind wird nacht:
es ist schon ganz aus erde gemacht
(1993)
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frühlingserwachen
vom himmel hoch und aus dem frost der pole
weht stratosphärenstaub ins weltgesicht
ozonzersetzende chloraerosole
befrein das ultraviolette licht
das brennend durch die epidermis bricht
im weissen industrieschnee stehen kahle
kaputte kinder frierend in der nacht
liebkosen schüchtern ihre muttermale
und haben ernste briefe mitgebracht
die sie verstohlen hinter autos tauschen
dann stehn sie am gesträuch im nordwindrauschen
und fühln entzündlich ihre haut entfacht
die grössten bühnen spielen grösste dichter
und laden dringlich zu premieren ein
der müden mimen fleckige gesichter
erscheinen unter weisser schminke rein
der scharfe juckreiz reizt zu starken gesten
und formvollendet tönt ihr schmerzenslaut
in paradiesischen kulissenresten
durch die aus schwärzlich aufgeschwollner haut
das publikum ins leere jenseits schaut
im schutzraum überwachen funktionäre
am bildschirm dumpf den weitern festverlauf
sie schaun durch schwarze brilln ins ungefähre
und kratzen blutende geschwüre auf
da tritt ein menetekel aus den wänden
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und wird noch vorm bankett lebhaft begafft:
«die welt verewigt sich in unsren händen
die todesgöttin licht ist abgeschafft»
an betondecken schlafen feuermelder
ins krüppelholz und in die gelben felder
schiesst treu und giftig grün der erste saft
(1992)
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im treibhaus
das satte grün schwappt von den hügeln
wer tut uns dieses blütenwüten an?
es wird noch immer fetter kommen
doch wer sich trotzdem retten will der kann
die wurzeln tun den dienst nach vorschrift
die hänge rutschen nur diskret zu tal
der nadelteppich sorgt für alltag
die kronen thronen mächtig aber kahl
vermutlich gehts um tod und leben
schon nistet zwischen stamm und borke was
und vor dem treibhaus steht geziefer
die blockchefs suchen trost und säen hass
nicht weit vom stamm umstehn die räte
im kreis zutiefst besorgt des undanks lohn
sie sind gewarnt: man kennt die finten
der laubgetarnten revolution
(1991)
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alpenfahrt
der sanft geschwungne teer der autobahn dehnt leer
und weltverschluckend sich bis an die nebel weit
der wind trägt weich die morgenfrische vor sich her
und wirbelt staub und laub empor im dämmerlicht
fährt jetzt ein vierzigtonnenlaster ins gedicht:
kreuzt totzufahrnen raum die landschaft dehnt sich breit
und feminin in sonntagsmenschlichkeit
und gibt dem engen tal ein magisches gewicht
verwehter glockenklang ertönt von altdorf her
die wälder stehen schütterer die forschung sagt:
zwei drittel aller bäume seien nicht gesund
verlichtet sei das kronenwerk man hinterfragt
als gründe standort klima luft und spekuliert
was hier zur schlüssig justiziablen antwort führt:
die bäume leiden zwar an laub- und nadelschwund
doch hier darf jeder leiden: so der hauptbefund
weil allen freiheit und verantwortung gebührt
nicht nur dem herrn der mehr als seine knechte wagt
jetzt rauschen tausend reifen über den belag:
die strasse lebt das leben geht die erde dreht
im dunst erblaut der schroffe fels im frühlingstag
der wind entlockt dem astwerk panisch schönstes grün
und schwalbenschwärme ziehen schnell darüber hin
im tal braust wachsende transportkapazität
die tunnels locken schwarz der fahrtwind weht
das autoradio tönt die fahrer steuern kühn
europa an: wo es auch liegen mag
(1991)
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der wegweiser
für n. m., 1940-1993
sonst war das alles nach seinem geschmack
mit listen skandale vorzubereiten
zu zünden zu spotten zu poltern zu streiten
den witz aus den trockenen wörtern zu treiben
und säuberlich in die zeitung zu schreiben
staatsgäule lachend vors volk zu reiten
und auch wenn sie bockten im sattel zu bleiben
jetzt geht der narr in den plastiksack
jetzt ist er plötzlich zum sterben bereit
will nichts mehr beweisen und nichts mehr zeigen
will nur noch verschwinden und trotzig schweigen
er schreibt: «Kein Grabstein!» und beendet sein leiden
im eigenen bett: dort erstickt er bescheiden
derweil sich kokett seine feinde verneigen
haben im schatten französischer weiden
vertraute die asche ins wasser gestreut
er aber tritt aus dem sack ins all
zum standbild versteinert die welt zu verneinen
und nie mehr vor trotteln als narr zu erscheinen
der fliehenden erde nachzuschreien
was tatsächlich wahr ist und nichts zu verzeihen
o wandrer steh still und hilf ihm zu weinen
hilf ihm vom sockel sich zu befreien:
auch seine wahrheit ist nicht mehr der fall
(2003)