1992


 

[28]

neue weltordnung

 

«Die neue Weltordung erlebt ihre Geburtswehen.
Es 
wird eine andere Welt sein als die Welt,
die wir kennen.»

(George Bush, 11. September 1991)

 

I

die sonne dreht sich um das weisse haus

vor mikrofonen wüten nachtigallen

den orient erfasst ein neues wallen

die schwerter schlagen ferngesteuert aus

 

durchs off der welt gluckst öl im lungenrest

die götter beten ihre völker nieder

fast alle knechte sind jetzt endlich brüder

der tote feind nur bläht sich auf und nässt

 

die frohe botschaft tötet schnell und blind

man zappt vom zielkreuz über wüstenpisten

vorbei am werbeblock in flammenmeere

 

piloten säubern cool das feld der ehre

und lässig grüssen pr-spezialisten

die jubelnden die neu verwaltet sind

 

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II

der sonntag steht vor schräggestellten storen

ein laserstrahl spielt laute und schalmei

die ampel spielt vorm fenster mit motoren

die zeitung bringt das ende der partei

 

die diktatur vernunftversteinter greise

durch revolution des gelds besiegt:

herr pfarrer trinkt kaffee und blättert weise

zum sporteil den er seufzend überfliegt

 

vor der gemeinde hebt er freudig an:

den seinen hat ihr herrgott wohlgetan

den sturz des feinds hat er im schlaf gegeben

 

die ketten und die netze sind zerfetzt

nun ist der himmel wieder eingesetzt

und wer zu spät kommt den bestraft das leben

 

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III

dem kommissionsmitglied vor vukovar

verschmutzt kein blutrest die gewichsten schuhe

die leichen sind von sehr ergebner ruhe

und haben ein erstauntes augenpaar

 

vereinzelt tragen trichter haut und haar

ein arm hängt unpolitisch aus ruinen:

er will den kriegsherrn nicht mehr länger dienen

und winkt den gästen deshalb sonderbar

 

die weitgereiste abgesandtenschar

nickt ernst erfreut im kreis: in diesen zonen

werden sich investitionen lohnen

 

wenn sich die noch verfeindeten parteien

zur einsicht ins notwendige befreien

stellt sich die zukunft hier wie frieden dar

 

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IV

im eingangsbereich vor der blickfangfigur

kundenbeschickung: ein stetiges gleiten

fliessbandgesteuerter kaufkrafteinheiten

hinein in die warenweltarchitektur

 

triffst du den könig so stell ihm fünf fragen:

welche macht hast du? woher hast du sie?

drittens: in wessen dienst übst du sie aus?

viertens: wem bist du verantwortlich? fünftens:

 

wie aber werden wir dich wieder los?

dies ist die wichtigste: kann er’s nicht sagen

glaub ihm auch sonst nichts: er lügt wenn er spricht

 

himmel um himmel mit künstlichen sternen:

wo liegt der ausgang der kauflustkasernen?

könige lügen und antworten nicht

 

[32]

V

im unsichtbaren döst vernetzt die weltgewalt

zum klang codiert gehn elektronische signale

durch zeit und räume von zentrale zu zentrale

als weltmusik von spurlos tötender gestalt

 

vernichtsung trifft vernichtend ganze kontinente

der ruf die welt zum menschgemässen zu verändern

west als geräusch an nie hereingebrochnen rändern

als laut der sich von menschgemässer sprache trennte

 

in den zentralen blüht die kunst und leidet

weil sie den eignen kern in widersprüche scheidet:

in das ihr menschgemässe und in massenmord

 

derweil blühn unvernünftig gräser moose flechten

wie wenn sie eine andre zukunft sich erdächten

vom gott befreit der sagt: im ende war das wort

(Zyklus: 1991-1993)

v11.5