Portrait eines ehrenwerten Spekulanten

29. November 1989. Anruf in den Geschäftssitz der «Von Kaenel Unternehmungen» an der Stationsstrasse 25E in Gwatt bei Thun. Stephan von Kaenel, Verwaltungsratspräsident der Von Kaenel Gerüstbau AG, der Von Kaenel Fassadenbau AG und der TGT Treuhand AG wird um ein Gespräch gebeten; Thema: seine Aktivitäten im Liegenschaftenhandel. Er weicht aus: «Ich handle eigentlich nicht, ich werde nur immer in der Presse verzerrt als Liegenschaftenhändler dargestellt. Ich habe zwar immer etwas Liegenschaften gekauft, aber die baue ich mit meinen Leuten und meinen Betrieben um – zum grössten Teil, muss ich sagen. Es ist klar, wir können nicht alles machen. Das ist die Situation. Von Handel spricht da niemand.» Trotzdem ist er zum Gespräch bereit, am 5. Dezember in seinem Geschäftssitz. Ich beginne, das Material zu ordnen, einen Fragenkatalog zusammenstellen.

Wimmis: «Flotti Giele»

Herr von Kaenel, sind Sie ein Spekulant? Eine Frage für gegen Schluss des Gesprächs. Die ersten Fragen würden Wimmis betreffen. Hier, am Fuss des Niesens, sind die von Kaenels eine dorfbekannte, angesehene Familie. Der Vater hat zusammen mit seinem Bruder die Wimmiser Bauunternehmung Von Kaenel AG aufgebaut, ist aber schon vor Jahrzehnten, «im Streit», wie gesagt wird, aus der Firma ausgeschieden (heute gehört sie der Walo Bertschinger AG in Zürich). Von Kaenels Söhne: «Flotti Giele, flotti Purschte». An den tragischen Unfall erinnern sich viele: In den frühen siebziger Jahren fährt Stephan mit dem Auto seinen Bruder Matthias an; dieser ist seither querschnittgelähmt. Der dritte Bruder, Hans Ulrich, lernt Kaufmann; Stephan, als Primarschüler, wird zuerst Zimmermann, dann Dachdecker. Erzählt wird: Er sei danach in der ersten Zeit als Stör-Dachdecker im Oberland den Bauernhöfen nach, ob es etwas zu flicken gebe.

Die Sache muss rentiert haben. Heute wohnt Stephan von Kaenel in der Nähe des Geschäftssitzes: In den Hang der Gwattegg hat er, als Geschenk für seine Frau, letztes Jahr eine neureich protzige Villa bauen lassen, mit videoüberwachtem Eingang und Blick auf den Thunersee. Am Fuss der Gwattegg, schräg unter dem Stockhorn, dirigiert er seine  Bauunternehmungen mit bald einmal hundert Angestellten. Auch Hans Ulrich arbeitet hier, als «graue Eminenz», wie man hört. Die Sekretärin am Telefon sagt: Das könnten hier alle bestätigen, Stephan von Kaenel sei «ein toller Chef». Andere sagen: Ein «Chrampfer», ein «einfacher Mann», einer, der gelernt habe, die Ärmel hochzukrempeln, einer der «luegt für d'Lüt». Ein Geschäftspartner sagt, er sei «ein Böser», man müsse aufpassen, was man über ihn sage.

Item, die Branche boomt, das Geschäft floriert. So oder anders ist sehr schnell viel Geld zusammengekommen. Ein steiler Aufstieg: Von Kaenel wird nächste Woche 36 Jahre alt.

Thun: «Humane Möglichkeiten»

Ende Juli 1988 geraten die Gebrüder von Kaenel zum ersten Mal in die Zeitungen: Sie kaufen in Thun an zentraler Lage die zwei Wohn- und Geschäftsgebäude Bernstrasse 1 und 1a und begehen einen Anfängerfehler: Sie stellen die gesamte Mieterschaft gleich nach dem Kauf vor die Alternative, neue Mietverträge mit bis zu 100 Prozent erhöhten Mieten zu unterschreiben oder gekündigt zu werden. Das ist dummerweise ungesetzlich. Die Mieter und Mieterinnen wehren sich,  «Thuner Tagblatt» und «Berner Zeitung» berichten, die von Kaenels krebsen zurück, bieten Miet-Erstreckungen an, bezeichnen diese öffentlich als «humane Möglichkeiten».

Sonst gibt der brüderliche Thuner Besitz im amtlichen Wert von gut 6 Millionen Franken nicht zu reden: Weder der Neubau an der Wartbodenstrasse 13a (mit Seesicht), noch das Wohn- und Gewerbehaus an der Gurnigelstrasse 21 (Parzelle 135), weder die mehreren unbebauten Parzellen im Gwattmoos, noch das grosse Geschäftshaus an der Oberen Hauptgasse 78 mit dem amtlichen Wert von 1,61 Millionen, das sie zusammen mit Niklaus Haug besitzen. Das ist firmenübergreifende Zusammenarbeit: Haug ist Verwaltungsratspräsident der Konkurrenz der von Kaenels, der Schwarzenbach Gerüstbau AG in Spiez. Darüberhinaus betreiben Stephan von Kaenel und Haug, zusammen mit dem Spiezer Immobilienhändler Peter Wiedmer als Präsident die Soviny Immobilien AG: Zu zweien oder zu dritt haben die drei jungdynamischen Oberländer Stützpunkte zum Beispiel in den Gemeinden Biel, Sigriswil, Spiez, Wangen a.A. und Thun.

Die Soviny AG ist bei der Wiedmer Immobilien und Verwaltungen AG untergebracht, die im Coop-Neubau an der Oberlandstrasse 6 in Spiez ein lustiges Schaufenster unterhält: Darin sind, neben Farbfotos käuflicher Liegenschaften, gleich auch die Mietzinseinnahmen vermerkt: Abgebildet ist zum Beispiel  der Betonklotz Ecke Hohlstrasse/Brauerstrasse im Zürcher Aussersihlquartier, der Ersatz für das legendäre «Efeuhüsli»: «Wohneinheiten 64, Einnahmen 923040.-»

Bernbiet: Rege Geschäftsttätigkeit

Um das Gespräch mit Stephan von Kaenel aufzulockern, würde ich erzählen, wie langweilig es gewesen sei, tagelang auf Gemeindeverwaltungen, Steuer- und Grundbuchämtern herumzutelefonieren, um seinen Liegenschaftenbesitz im Bernbiet auch nur ungefähr zu rekonstruieren. Am spannendsten sei noch die Recherche in Biel gewesen. Dort habe er ja zu Beginn der letzten Steuerperiode dreizehn Parzellen besessen, vier davon als Einzelbesitzer: Die Logengasse 22, den Mettlenweg 11 (beide unterdessen weiterverkauft), die Parzelle 4598 mit der Orpundstrasse 15+17 und dem Geyisriedweg 1, sowie die Länggasse 50, inklusive Garage und Parkplatzüberdeckung. Mit Wiedmer und Haug zusammen besitze er die Korngasse 3+5, die Zentralstrasse 48 und die Kanalgasse 4; mit anderen zusammen die Zentralstrasse 88, 90 + 90a (hier hat, wie er sich erinnern werde, vor allem der Kreuzplatzladen unter seiner Kündigung zum frühstmöglichen Termin zu leiden gehabt), die Bühlstrasse 49, 51 + 53 und die Reuchenettestrasse 20, 22 + 24. Dieses Objekt sei, zusammen mit der dazugehörenden, unbebauten Parzelle 7697 weiterverkauft worden (wie auch die General-Dufour-Strasse 89).

Nach dieser schwungvollen Aufzählung würde ich fragen: Herr von Kaenel, haben Sie wirklich nichts mit Liegenschaftenhandel zu tun? um dann sofort von Kaenels restliches Bernbiet herunterzuleiern: In Interlaken besitze er die Florastrasse 14 zur Hälfte; in Meiringen und Münsingen sei er mit mehreren hunderttausend Franken an Baugesellschaften beteiligt; in Merligen habe er, zusammen mit Wiedmer, das Hotel «Du Lac» und das Wohnhaus «Im Mätteli» mit Garage; in Spiez besitze er zu einem Zehntel das Restaurant Sea-Star, zu je einem Drittel die Neumattstrasse 12, Parkplätze und eine Einstellhalle daselbst, dazu die Simmentalstrasse 40 und den unbebauten Rütirain; in Steffisburg die Parzelle 3556 (amtlicher Wert 56670.-); in Studen das Mehrfamilienhaus an der Büetigenstrasse 36; in Unterseen seit dem Dezember 1988 das Hotel «Drei Schweizer»; in Uttigen habe er einen kleinen «Miteigentumsanteil»; in Wangen a. A. zusammen mit anderen Bauland; in Wimmis das Wohnhaus «Hofit», dazu Land an der Kreuzgasse und im Burgholz. Verkauft habe er in den letzten zwei Jahren seinen Parkplatz in Adelboden/Ausserschwand, die Thunstettenstrasse 48, 50+ 52 in Langenthal (amtlicher Wert 1,91 Millionen), seine Anteile an Stockwerkeigentum in Thierachern und Uetendorf, sowie den Block am Kugelweg 13 in Zwingen. Hier hätte ich mir die Frage erlaubt, ob diese Aufzählung korrekt und vollständig sei. Dass sie es nicht sein kann, wüssten wir beide. (Zum Beispiel hat Stephan von Kaenel als Verwaltungsratspräsident der neugegründeten Jakobs Biscuits AG mit Sitz in Zug am 7. Juli 1989 die «Jakob & Co. Biscuits-Waffelnfabrik» in Zollbrück/BE übernommen.)

Basel: Reihenkündigungen

In den Jahren 1987/88 hat sich Stephan von Kaenel in Basel Häuser an folgenden Adressen zusammengekauft: Claragraben 6, Horburgstrasse 84, Müllheimerstrasse 50, Vogesenstrasse 150; dazu als Meistbietender im Februar 1989 das Paket Schönaustrasse 50, Mülhauserstrasse 156, Hebelstrasse 65 und Laufenstrasse 25. In die Zeitungen ist er gekommen, weil er die Zürcher Piatti Verwaltungen beauftragte, den Mietern und Mieterinnen dieser vier Liegenschaften mit der Begründung Totalrenovation sofort zu kündigen. Während die «Basler Zeitung» damals fragte: «Mit Reihenkündigungen zu höheren Mietzinsen?», verzog sich von Kaenel ferienhalber ins Ausland. Vor Mietgericht erreichte die Bewohnerschaft seiner Häuser dann Mieterstreckung, nicht zuletzt deshalb, weil bekannt wurde, dass sie auf dem Liegenschaftsmarkt bereits zum Weiterverkauf angeboten worden waren. Ob das stimme? Und wenn ja, ob er sein Vorgehen in Basel nicht auch als spekulative Machenschaft bezeichnen würde? In der Rückhand behielte ich in diesem Disput vorerst noch die Matthäusstrasse 6, die seit dem 16. März 1987 dreimal weiterverkauft worden ist und zwischenzeitlich schnell einmal, bis zum 7. Juni 1989, von Kaenel und Wiedmer gehört hat. Vor-vor-Besitzerinnen waren übrigens Sania Fisch-Siis und Parand Clavadetscher-Keshvari. Deren Gatten, Cino Fisch und Hermann Clavadetscher, gehören zu Stephan von Kaenels Zürcher Connection.

Zürich: Üble Spekulation

Jetzt würde ich mir das erste und letzte Mal ein Witzchen erlauben und von seinem Liegenschaftentotomat in Zürich sprechen, der sozusagen täglich neue Ergebnisse zeige, um anschliessend meinen Tip für die aktuelle Gewinnkolonne aufzusagen: Albisriederstrasse 377, Freihofstrasse 38 + 40, Heinrichstrasse 137, Hellmutstrasse 12, Josefstrasse 153, Langgrütstrasse 52, Limmatstrasse 217, Mattengasse 11, Püntstrasse 8, Starengasse 10 + 12, Zschokkestrasse 10. Weiterverkauft habe er in allerletzter Zeit die drei Liegenschaften Müllerstrasse 63 + 65 und die Geibelstrasse 33.

In Zürich hat von Kaenel den Sprung in die Medien geschafft, als er im März 1989 das Angebot des Drogenhilfs-Vereins «Arche» um 100000 Franken überbot und für 3,6 Millionen die Hellmutstrasse 12 kaufte. In bewährter Art liess er sofort die Kündigungen verschicken: Er gab den dreissig sozial schlecht gestellten Bewohnern und Bewohnerinnen der möblierten Zimmer eine Frist von sechs Wochen; Begründung: Totalumbau. Für die «Schweizer Illustrierte» war's «Das grosse Rausschmeissen», für die «Mieter-Zeitung» «Üble Spekulation».

Im Zürcher Liegenschaftengeschäft hat von Kaenel ortskundige Helfer: Die kürzlich verkaufte Geibelstrasse 33 zum Beispiel besass er zusammen mit Cino Fisch. Eingemietet in diese Liegenschaft ist neben den Piatti Verwaltungen, die für von Kaenel in Basel die Dreckarbeit machte, auch die Clavag AG. Hier ist Hermann Clavadetscher, der Vater seines Göttibubs, der starke Mann. Ihm und Fisch hat die «Züri Woche» bereits am 21. Juni 1986 eine Recherche gewidmet: Mit dem «faulen Trick vom angeblichen Eigenbedarf» erzwangen die beiden damals den «totalen Mieterwechsel» in einem 7-Familienhaus in Höngg. Im Geschäft ist von Kaenel auch mit Rudolf Kobel, den die Hausbesetzer und Hausbesetzerinnen der Limmatstrasse 217 in einer Pressemitteilung als «immobilienfressenden Vertreter des Zürcher Milieus» bezeichnen; ihm hat von Kaenel die Heinrichstrasse 137 und die Mattengasse 11 abgekauft.

Daneben taucht der Name Faustin Huber auf: Einer der drei Bodygards, die von Kaenel zur ersten Verhandlung an die Limmatstrasse 217 begleiteten, fuhr in einem Wagen Hubers vor (ZH 193 556). Huber «kennt sich im Vergnügungswurstkessel aus» («Züri Woche»): Er ist Besitzer des Strip-Lokals «Red Lips». Er kam im Oktober 1981 in die Schlagzeilen, als die «Erklärung von Bern» gegen ihn aufgrund von Aussagen einer Philippina Strafanzeige einreichte. Es ging um Wucher, Betrug, schwere Körperverletzung, Nötigung, Freiheitsberaubung, sowie «möglicherweise um Frauen- und Kinderhandel». Bekannt ist weiter, dass Hubers «Star Unterhaltungsbetriebe AG» an der Müllerstrasse 63 – bis vor kurzem in von Kaenels Besitz – einen Zweitsitz aufgemacht hat und dass dort hinter anonymisierten Klingeln Einzelzimmer zu 1200 Franken pro Monat (inklusive Bettwäsche) angeboten werden. Weiter, dass sich im von Kaenel-Haus an der Mattengasse 11 das «Sawasdee», «eine Gogogirl-Bar mit Absteigen» («Basler Zeitung») befindet. Nach der Rapportierung dieser Anhaltspunkte würde ich mir die Frage erlauben: Herr von Kaenel, wie haben Sie's mit dem Zürcher Milieu? Und eine zweite, etwas unhöfliche: Woher er seinen Reichtum in den letzten paar Jahren eigentlich habe? Vorbezogenes Erbe? Gerüstbau-Boom und Fassadenbau-Hausse? Werfen ihm die Versicherungen und Banken das Geld nach? Alles zusammen? Oder etwas ganz anderes? Geht die Geschichte im Tessin weiter?

Lugano: Amministratore unico

Am 19. Mai 1988 findet in Lugano eine ausserordentliche Generalversammlung der Bardolina S.A. statt. Traktandum 1: Demission des bisherigen Geschäftsführers. Traktandum 2: Wahl eines neuen. Der abtretende «amministratore unico», der Zürcher Immobilienhändler Rudolf Schnieper, mit  drei Dutzend einschlägigen Verwaltungsratsmandaten einer der Grossen der Branche, lässt sich durch Cino Fisch vertreten. Dieser informiert die drei anwesenden, im Protokoll nicht namentlich genannten Aktionäre, dass es Schnieper unmöglich sei, sein Amt weiter auszuüben. «Propone pertanto», hält das Protokoll fest, «che venga sostituito dal Signor Stephan von Kaenel». Bereits Ende 1988 ist von Kaenel auch zum «amministratore unico» der damals noch in Chiasso domizilierten Kerosel AG gemacht worden. Firmenzweck der Bardolina S.A.: «La compera e vendita di immobili (...)»; jener der  Kerosel AG: «La partecipazione finanziaria ad altre società (...)».

Heute sind die beiden Firmen an gleicher Adresse zu finden: an der Via besso 42A in Lugano. Dort, in einem grossen Gebäude oberhalb des Bahnhofs, auf dem gleichen Stock und mit gemeinsamem Eingang mit der Lineaverde Textil, hinter einer Seitentür ohne Klingel, residiert die «Eredi Viglezio S.a.g.l., Amministrazioni»: So diskret führt von Kaenel seine Tessiner Geschäfte. Über seine hiesigen Aktivitäten ist nichts bekannt.

Ob auch sie zur Bildung von Arbeitsreserve für seine Gwatter Baufirmen notwendig seien, würde ich fragen und dann zu einem versöhnlichen  Schluss des Gesprächs überleiten: Ich behaupte ja gar nicht, würde ich sagen, er, Stephan von Kaenel, sei ein grosser Spekulant, es genüge, wenn er einsehe, dass er ein kleiner sei. Mir sei ja so gut wie ihm bekannt, dass er für die Veranlagungsperiode 1987/88 definitiv lediglich ein steuerbares Einkommen von 190000 Franken und ein steuerbares Vermögen von 0 Franken habe angeben können. Mit diesem Geld sei der Liegenschaftenhandel in der Tat eine brotlose Kunst, wenn man nicht gelernt habe, die Ärmel hochzukrempeln.

*

4. Dezember. Anruf aus dem Geschäftssitz der Von Kaenel Unternehmungen. Stephan von Kaenels Sekretärin teilt mit, dass der Chef den «Interviewtermin platzen» lasse. Er habe es sich anders überlegt. Er habe der Presse nichts mitzuteilen als: «No comment.»

Die Recherchen für diese Reportage unterstützt haben: Lisa Inglin, Martina Köhler, Lukas Lehmann, Mieterladen Basel, Christian Schmid, Andrea Vögeli, Patrick Walder u. a. [Redaktionelle Bearbeitung der vorliegenden Version: 1994.]

 

[Kasten]

«Schpekulante sy Vagante»

 

Seit der Bundesrat in diesem Jahr Sofortmassnahmen gegen die «auf dem Bodenmarkt herrschenden Spekulations- und Inflationstendenzen» (NZZ) beschlossen hat, ist der Begriff «Bodenspekulation» endgültig salonfähig geworden. Heikel wird’s, wenn öffentlich darauf bestanden wird, dass spekulierende Personen im konkreten Fall Namen haben.

1981 hat in Bern die Aktionsgruppe Wohnungsnot in ihrer Broschüre «Spekulation in Bern» den Begriff «Spekulant» so definiert: «Der Spekulant pokert mit Häusern und Grundstücken. Er zieht daraus Gewinne, die in keiner Weise durch geleistete Arbeiten gedeckt sind, die aber das Wohnen verteuern.» Und: «Der Spekulant missbraucht seine Verfügungsgewalt über ein Gut, das der Deckung menschlicher Grundbedürfnisse dient.» In dieser Broschüre wurde dann konkret der Notar Ludwig Meyer als «ungekrönter König der Spekulanten» bezeichnet. Meyer setzte daraufhin juristisch die Zensurierung dieser Formulierung in der zweiten Auflage der Broschüre durch. Bereits ein Jahr früher hatte Meyer die «Berner Tagwacht» erfolgreich in einen Gerichtshandel verwickelt, weil diese ihn und seinen Sohn als «die mächtigsten Grundstückmakler in der Stadt Bern» bezeichnet hatte.

1986 warf der Radio-DRS-Redaktor Rudolf Burger dem Worber Architekten Heinz Blaser «Spekulation» vor; dieser klagte auf üble Nachrede. Burger bekam vor Gericht recht, weil Blaser eine «Gewinnmarge von mindestens 12 Prozent» habe erzielen wollen, was «das Doppelte eines angemessenen Gewinns» sei. Damals kommentierte die WoZ (siehe Nr. 13/1986): «Spekulation zu sagen ist dort erlaubt, wo der Einzelfall als Einzelfall verurteilt werden kann, ohne dass das System in Frage gestellt wird; und am liebsten dann, wenn bloss ein vergleichsweise kleiner Fisch über die Klinge springen muss, der bestraft wird dafür, dass er überdurchschnittlich ungeschickt ist.»

Zur Tatsache, dass der Journalist Beat Leuthardt den Basler Optikermeister Roland Zeender mit «Wohnungsspekulant» bezeichnet hat (siehe WoZ 26/1987) hat sich mittlerweile das Bundesgericht mit Entscheid vom 9. März 1989 schriftlich geäussert: Spekulation entstehe dadurch, «dass Mietshäuser gekauft werden, den bisherigen Mietern gekündigt wird und diw Wohnungen anschliessend unter Erzielung einer wesentlich höheren Rendite […] weitervermietet werden.» Die Titulierung «Spekulant» ist aber laut Bundesgericht nicht ehrenrührig: «Der Vorwurf, ein Spekulant zu sein, betrifft […] ausschliesslich die Geltung als Berufs- und Geschäftsmann und damit nicht den strafrechtlich geschützten Persönlichkeitsbereich.» Das heisst: Wer professionell mit Liegenschaften dealt, ist ein Spekulant.

 

[Nachzug in WoZ 22/1991 vom 31.5.1991]

Der ehrenwerte Spekulant Stephan von Kaenel vor dem Ende

Abgestürzter Konjunkturritter

 

Der Thuner Bauunternehmer und Dachdecker Stephan von Kaenel hätte gewarnt sein müssen. Denn schon 1911 hat Jakob von Hoddis unter dem Titel «Weltende» visionär gedichtet: «Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei». Aber von Kaenel wollte partout mit Liegenschaften, nicht mit Versen spekulieren.

Am 16. Mai hat in Gwatt bei Thun Stephan von Kaenel als Verwaltungsratspräsident der daselbst domizilierten Fassadenbau AG und der Gerüstbau AG seine knapp fünfzig Angestellten auf Ende Monat entlassen: Die Arbeit ist sofort eingestellt worden. Dem 36jährigen ehrenwerten Spekulanten von Kaenel (siehe WoZ Nr. 50/1989) ist das Geld ausgegangen. Grund einerseits: Die sinkende Auftragslage im Gerüstbausektor; andererseits, so von Kaenel zur WoZ: «Die hohen Hypothekarzinsen und die restriktive Geldmengenpolitik der Nationalbank, der zusammenbrechende Liegenschaftsmarkt und die Sperrfrist von fünf Jahren für den Weiterverkauf von Liegenschaften laut dringlichem Bundesbeschluss 1989.»

Der Konjunkturritter von Kaenel hat in den letzten Jahren Dutzende von Liegenschaften aufgekauft (inklusive Beteiligungen sollen sich bis maximal 120 gleichzeitig in seinem Besitz befunden haben). Er hat sie von seinen eigenen Firmen renovieren lassen und danach sofort und mit Gewinn weiterverkauft. Wegen der Sperrfrist und der Zinsentwicklung ist er nun auf seinen Liegenschaften sitzengeblieben. Das Geld ging rasch aus. Den gewerkschaftlich nur schlecht organisierten Angestellten hat von Kaenel Mitte Monat die Mailöhne und den 13. Monatslohn pro rata bis und mit Juni ausbezahlt und sie danach sofort «freigestellt».

Den Konkurs hat von Kaenel bis heute nicht angemeldet. Aber die Hoffnung, mit den Banken kurzfristig einen Sanierungsplan auszuarbeiten und innert ein paar Tagen den Betrieb wieder aufnehmen zu können (so von Kaenel Mitte Monat), hat sich zerschlagen. Es wird nach wie vor nicht gearbeitet, und wie’s weitergeht, kann der Chef, der neuerdings das Telefon selber abnehmen muss, «frühestens in zehn Tagen» sagen. Allerdings ist bereits vor dem Eklat eine neue Firma gegründet worden: Die STG Steildach AG mit dem Verwaltungsratspräsidenten Ulrich Erb, dem bisherigen Chef von von Kaenels Einzelfirma «Von Kaenel Bedachungen». Die Steildach AG beschäftigt einige der Angestellten von Kaenels weiter und führt zur Zeit dessen angefangene Aufträge zu Ende.

Bereits Ende letzten Jahres hat Hans-Ulrich von Kaenel, Stephans Bruder und in den zwei Gwatter Betrieben zweiter Mann, das sinkende Schiff verlassen; wie er sagt, «wegen persönlicher Differenzen». Gleichzeitig hat er alle vier Verwaltungsratsmandate, die ihn geschäftlich mit seinem Bruder verbunden haben, abgegeben. Dafür gibt es, mit Sitz in Hilterfingen, neuerdings die Bau- und Projektfirma BPR AG, Besitzerin: Brigitte von Kaenel. Zum «Geschäftsführer mit Einzelunterschrift» hat sie ihren Ehemann Hans-Ulrich ernannt. Firmennebenzweck (wie bei allen von Kaenel-Firmen): Liegenschaftshandel.

 

[Nachzug in WoZ 43/1991 vom 25.10.1991]

Von Kaenel: Nachlassstundung

 

Thun/Zürich. Ungefähr 120 Millionen Franken hat die abgestürzte Spar- und Leihkasse Thun dem ehrenwerten Spekulanten Stephan von Kaenel (siehe WoZ 50/1989) an Hypotheken gewährt. Für von Kaenel war das zu wenig. Er musste, das meldete das Zürcher Lokalradio LoRa, beim Betreibungs- und Konkursamt Thun ein Gesuch um Nachlassstundung einreichen. Vom drohenden Konkurs ist sowohl von Kaenel privat als auch seine Einzelfirma «Von Kaenel Bedachungen» betroffen. Bis zum 6. Januar 1992 wird nun die Berner Treuhandfirma von Graffenried von Kaenels Vermögen, die Liegenschaften und sonstigen Anlagewerte einschätzen und mit den offenen Forderungen vergleichen. Dass seine Liegenschaften danach verkauft werden, ist anzunehmen. Die BesetzerInnen von von Kaenels Haus an der Heinrichstrasse 137 in Zürich fordern nun die Rückführung der Anlageobjekte in «normalen, preisgünstigen Wohnraum»: «Wir werden uns dagegen wehren, dass noch einmal über die Köpfe hinweg das Dach verspekuliert wird.»

Diese Kurzmeldung wurde in der WoZ nicht namentlich gezeichnet; ob ich sie formuliert habe, weiss ich nicht mehr. – Das Verfahren um die Nachlassliquidation von von Kaenels Firmen wurde am 25. März 1999 für abgeschlossen erklärt.

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Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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