«Manchmal ist die Arbeit hier heftig»

Mit dem gemeinsamen Bau einer Mauer aus Kartonkisten haben letzte Woche in der Altstadt von Schaffhausen 120 Demonstrantinnen und Demonstranten einen «Mindestlohn jetzt!» gefordert. Der Unia-Sekretär Roman Burger hat über die schlechten Arbeitsbedingungen gesprochen, begrüsst hat zuvor der Sprecher der Unia-Gartenbaugruppe Schaffhausen, der Landschaftsgärtner Simon Wunderli.

Die neue Arbeit in der Biogärtnerei

Schneegestöber über der psychiaterischen Klinik Breitenau. Am Rand des Areals setzt auf den Treibhausdächern der Biogärtnerei Neubrunn nasser Märzenschnee an. Simon Wunderli führt durch die Räume. Seit Oktober 2012 ist er hier. Zur Hälfte bildet er psychisch labile Lehrlinge aus, zur Hälfte arbeitet er mit Patientinnen und Patienten der benachbarten Klinik. Aus einer Gartenbaufirma hierher gewechselt hat er wegen hartnäckiger Rückenschmerzen und weil ihn die Arbeit mit Menschen interessiert.

Vieles ist neu für ihn. Es geht hier nicht nur darum, bei Privatkunden im Sommer den Rasen zu mähen und im Winter Sträucher und Bäume zu schneiden oder öffentliche Parks zu pflegen. Wunderli soll in der Biogärtnerei den Bereich Gartenbau aufbauen, Kundenkontakte pflegen und Aufträge für Sitzplätze, Natursteinmauern, Treppenbauten oder Teiche akquirieren. Er schreibt Offerten, Rechnungen und Materialbestellungen. Abends berichtet er den sozialpädagogischen Bezugspersonen seiner Mitarbeitenden, wie der Arbeitstag verlaufen ist.

«Die Projekte mit den Leuten auszuführen, die jeweils gerade zur Verfügung stehen, ist eine Herausforderung», sagt er. «Sie sind ja nicht einfach Berufsleute, sondern auch Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung.» Manchmal sei die Arbeit hier «heftig», sagt er: «Aber sie hat mich gepackt.»

Die Landschaftsgärtner wollen einen GAV

Bis letzten Sommer stand Simon Wunderli im Dienst einer Gartenbaufirma: «Auf den Baustellen haben wir häufig neben den Maurern gearbeitet. Wir pflästerten Strassen, verlegten Leitungen und Kanalisationen, setzten Schächte und Randsteine, zogen Mauern hoch.» Arbeiten, wie sie auch die Kollegen im Bauhauptgewerbe machen. Mit dem Unterschied, dass Landschaftsgärtner bis zu 1500 Franken weniger verdienen; weniger Ferien und eine entsprechend höhere Jahresarbeitszeit haben und statt mit 60 mit 65 pensioniert werden.

Formell werden die Landschaftsgärtner vom Arbeitnehmerverband «Grüne Berufe Schweiz» vertreten. «Bloss», sagt Wunderli, «habe ich als Gärtner nie etwas von denen gehört.» Als er vor einem guten Jahr beim Bier mit Florian Keller, dem Co-Sektionsleiter der Unia Schaffhausen, über die Misere in seinem Beruf gesprochen hat, hat der zu ihm gesagt: «Wir unternehmen etwas, wenn du die Leute bringst. Ich bringe die Gewerkschaft.»

Wunderli hat Kollegen organisiert. Zur ersten Sitzung der Unia-Gartenbaugruppe Schaffhausen sind im März 2012 zehn Leute gekommen. Man beschloss, vom Branchenverband der Arbeitgeber, «Jardin Suisse», einen allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsvertrag  (GAV) für den Kanton Schaffhausen zu fordern. Eckdaten für die Verhandlung: Reallohnerhöhung um 200 Franken; fünf statt vier Wochen Ferien; faire Mindestlöhne auf allen Stufen (statt wie heute 3450 Franken für ungelernte Gärtner).  Ein GAV wie der im Kanton Genf ist möglich. Dort verdient ein Ungelernter zu Beginn 4432 Franken.

Seither hat die Gartenbaugruppe Schaffhausen mehrmals öffentlich auf ihre Branche aufmerksam gemacht: Einmal baute man auf dem zentralen Fronwagplatz eine Minigolfanlage samt Mäuerchen und Bepflanzung auf, einmal eine überdimensionierte Murmelbahn, an der auch die Kinder ihren Spass hatten. Und einmal trug man im Demonstrationszug mit Fackeln und Musik einen überdimensionierten Brief mit den Forderungen an «Jardin Suisse» vor die Hauptpost.

«Ich habe die Sache angefangen»

Zwar arbeitet Simon Wunderli weiterhin als Landschaftsgärtner, aber seine Arbeitgeberin ist unterdessen nicht mehr eine Gartenbaufirma, sondern eine sozial engagierte Stiftung. Eigentlich wäre das eine andere Welt. Trotzdem engagiert er sich weiter im Kampf um den Gartenbau-GAV:  «Ich habe die Sache angefangen. Ich möchte sie auch zu Ende bringen.» In den Verhandlungen mit «Jardin Suisse», die in dieser Woche begonnen haben, sitzt er in der Unia-Delegation. Seit der Demonstration von letzter Woche hängt ein riesiges Transparent mit dem Schriftzug «Achtung Tieflohnzone Gartenbau» an der Fassade des Schaffhauser Unia-Hauses. Bis zum Abschluss der Verhandlungen bleibt es als Mahnung hängen.

 

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Der Obergärtner

Simon Wunderli kam 1986 in Ecuador zur Welt, wohin seine Eltern zuvor ausgewandert waren. 1991 kehrt er nach Schaffhausen zurück, besucht die Schulen hier und absolviert anschliessend ein zehntes Schuljahr in England, wo er das «First Certificate in English» erwirbt. Zwischen 2004 bis 2007 macht er die Lehre als Landschaftsgärtner. Im Herbst 2008 steigt er bei der Gartenbau GmbH Schraff & Müller in Beringen (SH) ein. 2009/10 macht er berufsbegleitend die Obergärtnerschule und ist nun für die Lehrlingsausbildung zuständig.

Seit Oktober 2012 arbeitet er als Gruppenleiter und Ausbildner im Bereich Grünflächenpflege und Gartenbau in der Biogärtnerei Neubrunn. Angestellt ist er von der Stiftung Altra Schaffhausen, die sich für Menschen mit Beeinträchtigungen einsetzt. Er plant die Weiterbildung zum diplomierten Arbeitsagogen (Arbeitsagogik: Begleiten, Unterstützen und Fördern von Menschen bei der Arbeit).

Wunderli ist Initiator der Uniagruppe Gartenbau Schaffhausen. Er wohnt in einer Wohngemeinschaft und verpasst als Fan des FC Schaffhausen wenn möglich auch kein Auswärtsspiel. Daneben sammelt er alte Vinyl-Schallplatten (insbesondere Sixties Reggae und Punk) und organisiert im Musikraum Taptab Konzerte und Parties.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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