Städtische Theater unter Druck

«Ihr theoretisiert über modernes Theater in einer Zeit, in der modernes Theater schlichtweg abgemurkst wird», sagt Urs Bircher, Dramaturg am Berner Stadttheater, am Telefon, als ich ihn anrufe, ob wir im Rahmen der WoZ-Theaterdiskussion in nächster Zeit mit seiner grundsätzlichen Erwiderung an Mario Andreotti (vgl. WoZ Nr. 37 / 1984) rechnen könnten. Für ihn ist jetzt nicht die Zeit zu theoretisieren. Die politische Wende mache sich auch in den grossen Theatern hier in der Schweiz immer mehr bemerkbar, fortschrittliche Bestrebungen würden als «linkselitär» verschrien und zusammengeholzt. Ich solle einmal die Boswiler Resolution nachlesen.

Am letzten Oktoberwochenende fand die «3. Boswiler Tagung über Theaterkritik» statt, die sich mit der kulturpolitischen Situation in zehn Deutschschweizer Theaterstädten befasste. Dabei haben «die Teilnehmer […] in ihren Diskussionen einige aktuelle Entwicklungen festgestellt, die zu Bedenken, ja Sorge Anlass geben», wie es in der abschliessend einstimmig verabschiedeten Resolution heisst. Festgehalten wurden «drei alarmierende Symptome»:

«1. Dass der Verwaltungsrat des Stadttheaters Bern ein gut funktionierendes Direktoriumsmodell ohne einleuchtende Begründung abschaffen will, stiess auf Unverständnis.

2. Dass in Chur über die Abschaffung des eigenen Sprechtheaters respektive über dessen Ersetzung durch einen reinen Gastspielbetrieb diskutiert wird, wirkt kulturpolitisch bedenklich.

3. Dass der Zürcher Stadtrat in die laufende Spielzeit hinein Subventionskürzungen verordnet, ist skandalös.»

Zürich: Besitzstand verteidigt

Mitte Oktober kündet der Zürcher Stadtrat den grossen städtischen Kulturinstituten sofortige Kürzung der Subventionen an, und zwar beim Opernhaus und beim Schauspielhaus für die Spielzeit 1984/85 je 250’000 Franken, beim Kunsthaus für 1985 100’000 Franken und beim Theater am Neumarkt für die Saison 1984/85 50’000 Franken. In ersten Stellungnahmen befürchtet der Opernhaus-Direktor Claus Helmut Drese, dass das Niveau der Darbietungen «auf Provinzstandard» gesenkt werden solle, der Schauspielhausdirektor Gerd Heinz, es drohe seinem Institut «die Provinzialität» (TA, 18.10.1984). Weitherum erhebt sich Protest zugunsten der Geschröpften. Die Geschäftsführung des Schweizerischen Bühnenverbands stellt zum Beispiel fest, die Kürzung sei «vertragswidrig und in der Schweiz und den deutschsprachigen Nachbarländern beispiellos». Unter dem öffentlichen Druck und nachdem der Stadtrat selber festgestellt hat, dass die «Subventionsverträge tangiert worden wären» (Stadtpräsident Wagner im TA vom 1.11.1984), widerruft die Zürcher Exekutive ihren Entscheid. Der Angriff ist abgewehrt, das Schreckgespenst, Zürich müsse kulturelle Provinz werden, erfolgreich in die Flucht geschlagen.

Chur: Topf zerdeppert

Anfangs Juli wurde in Chur bekannt, dass die Theatergenossenschaft den Vertrag des seit neun Jahren amtierenden Direktors des Stadttheaters in Chur, Hans Henn, nur noch ein Jahr, bis Ende Mai 1986, verlängern wolle. Dabei konnte das Stadttheater auf eine erfolgreiche Saison zurückblicken: Bei einem Besucherzuwachs von 7,6 Prozent und einem Einspielergebnis, das zwischen 53 und 57 Prozent des Aufwands lag, wurde ein Defizit von lediglich 19'000 Franken erwirtschaftet; dies obschon das Theater mit Subventionen nicht verwöhnt wird: Das Stadttheater St. Gallen zum Beispiel wird – trotz lediglich doppelter Einwohnerzahl St. Gallens – 25mal höher subventioniert als jenes in Chur. Drei Gründe nannte die Theatergenossenschaft für den Affront gegen Henn: Im kommenden Jahr sollten die Verbesserung der finanziellen Situation des Hauses, die Einrichtung eines ausschliesslichen Gastspielbetriebes und die eventuelle Übernahme des Stadttheaters durch die Stadt Chur geprüft werden. Diese Gründe könnten aber auch nur Vorwände sein, um den Theaterdirektor loszuwerden, ohne Gründe nennen zu müssen. Bereits Anfangs Juni, mehrere Wochen vor dem Entscheid gegen Henn, hat der Churer Stadtpräsident Andrea Melchior – angeblich im Auftrag von Theatergenossenschaftspräsident Ernst Brunner – konsultative Gespräche mit dem Regisseur Jean Grädel über eine mögliche Nachfolge Henns geführt.

Nur einmal brach der Konflikt in Chur offen aus: Als Mitte Juni an der Pressekonferenz zum Saisonschluss der Dramaturg Wolfram Frank das Projekt referierte, Kleists «Zerbrochenen Krug» zum Abschluss der bevorstehenden Spielzeit in einer deutsch-rätoromanischen Mischform aufzuführen, kam es zu einem Eklat. Der Genossenschaftspräsident Brunner äusserte ernsthafteste Bedenken gegenüber der Idee, Kleists hehre Dichtersprache ins Rätoromanische zu übersetzen. Mit dem an Henn gerichteten Vorwurf, man werde hier immer wieder vor faits accomplis gestellt, verliess Brunner die Pressekonferenz. Nach Auskunft von Wolfram Frank ist das Projekt, das als kulturpolitische Einmischung in Bündner Angelegenheiten verstanden worden sei, mittlerweilen auf dem kalten Weg verhindert worden. Von den im Sommer verschickten elf Subventionsgesuchen seien bis heute zwei positiv, eines negativ und acht überhaupt nicht beantwortet worden. «Der Krug ist ziemlich zerdeppert», meint Frank lakonisch.

In Chur und nicht nur dort – werden aber die inhaltlichen Aspekte der Auseinandersetzung weiterhin so gut es geht unter den Tisch gewischt. In einem Leserbrief im «Bündner Tagblatt» rechnet der Genossenschafter Max Bosshard am 3.11.1984 en détail vor, wie sehr die Theatergenossenschaft aus dem letzten Loch pfeife, um zu schliessen: «Die jüngsten in die Zeitungen getragenen Diskussionen um den Direktor bewegen sich im luftleeren Raum. Zuerst muss die Zukunft des Theaters gesichert werden.» Am Telefon fügt Frank bei, was Bosshard verschweigt: Dass die Theatergenossenschaft laut Statuten verpflichtet wäre, die Finanzierung des Theaters sicherzustellen, dass sie aber in den letzten zehn Jahren nichts unternommen und also in diesem Punkt ihren Auftrag nicht wahrgenommen habe. Die Einrichtung eines ausschliesslichen Gastspielbetriebes wäre heute für die Genossenschaft die einfachste Lösung: Man müsste nichts anderes tun, als im Rahmen eines bescheidenen Budgets jährlich einige Gastspiele einzukaufen. Ein Entscheid darüber, ob das Schauspiel in Chur kurzerhand abgeschafft und das künstlerische Ensemble (ca. zwanzig Leute) auf die Strasse gestellt werden soll, ist in Chur noch nicht gefallen: An der Genossenschaftssitzung Mitte letzter Woche sei es ausschliesslich um Finanzbeschaffung und Sanierung der Genossenschaft gegangen.

Bern: Schauspiel gefährdet

Wie in Chur endet auch in Bern die Theatersaison 1983/84 mit einem Affront der Theatergenossenschaft gegen die Theaterleitung. Das seit drei Jahren amtierende Dreierdirektorium – Edgar Kelling (Oper), Peter Borchardt (Schauspiel) und Ernst Gosteli (Verwaltung), ihre Verträge wurden in diesem Jahr für drei Jahre erneuert – sollte auf die Spielzeit 1987/88 wieder von einem Einerdirektorium abgelöst werden, obschon die drei Direktoren die beiden letzten Jahre, in denen das Stadttheater renoviert wurde, mit kaum bestrittenem Erfolg über ihre improvisierten Bühnen gebracht haben. Der Entscheid wurde am 8. Juni an einer Pressekonferenz vom seither immer mehr ins Kreuzfeuer der Kritik geratenen Präsidenten der Theatergenossenschaft, Hans Witschi, mit «gewissen in der Natur einer Kollektivführung begründeten Mängeln», die sich im einzelnen aus «nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Interna» zusammensetzten, begründet. Es zeigte sich bald, dass der Verwaltungsrat ein politisch bemerkenswert dummes Vorgehen gewählt hatte, um die Führungsstruktur seines Theaters wieder besser in den Griff zu bekommen. Er hatte sich weder innerhalb noch ausserhalb des Stadttheaters auf mehr als auf Gerüchte, Kulissengeflüster und informelle Gespräche zwischen Tür und Angel abgestützt, bevor er mit seinem Wurf an die Öffentlichkeit ging.

Was der Entscheid überhaupt bedeuten soll, begreift erst, wer folgendes weiss: «Das Schauspiel allein kann man nicht verbieten, das gäbe Krach, wohl aber kann man auf administrativem Weg den Schauspieldirektor abschaffen, indem man das Dreierdirektorium auflöst. Denn […] sowohl der Musikdirektor wie der Verwaltungsdirektor haben Anschlussverträge […]. Über die Klinge springt lediglich der Schauspieldirektor, der keinen Anschlussvertrag hat» (Urs Bircher in einem Interview in der Poch-Zeitung 37/1984).

In der Tat weist vieles darauf hin, dass Schauspieldirektor Peter Borchardt abgeschossen werden soll. Man akzeptiert seine und die Arbeit seiner beiden Dramaturgen Martin Kreutzberg und Urs Bircher nicht. Der Präsident der «Freunde des Stadttheaters Bern», Klaus Leuenberger, sagt, mit dem Musiktheater sei die Gesellschaft zufrieden, mit dem Schauspiel nicht, und zwar, weil «die Qualität der SchauspielerInnen und der Inszenierungen den Erwartungen des konservativen Publikums, das wir vertreten, nicht entspricht». «Bis jetzt» habe die Gesellschaft keinen Einfluss auf den Verwaltungsrat der Theatergenossenschaft oder ihren Präsidenten zu nehmen versucht. Aber natürlich unterstützten sie als Mäzenengesellschaft nach dem Motto: «Das passt üs, das zale mer, das passt üs nid, da zale mehr nüt.» Die 90'000 Franken, die 1984 zur Verteilung gelangten, seien deshalb zum «Hauptteil» ans Musiktheater gegangen.

«Was die Verantwortlichen des Schauspieles den Zuschauern bis heute geboten haben, verdient mit wenigen Ausnahmen zu Recht Herrn Birchers eigene Worte: Verblödung, Verdummung und Verdrängung», schreibt Christian Hubler, in einem Leserbrief in der «Berner Zeitung», auf das bereits erwähnte Interview Birchers in der Poch-Zeitung anspielend. Am Telefon stellt sich Hubler als Mitglied der «Gesellschaft der Freunde des Stadttheaters Bern», der «Ballettfreunde», des «Berner Theatervereins» und als Verwaltungsrat der Genossenschaft vor und wird bereitwillig deutlicher: Borchardts Arbeit seit drei Jahren sei eine «völlige Fehlleistung»: «Borchardt muss gehen.» Was unter Borchardt inszeniert worden sei, sei «bis auf zwei, drei Ausnahmen alles grosser Mist» gewesen. Im übrigen meint Hubler, er sei die Stimme des Publikums und gewiss achtzig Prozent der Zuschauer würden seine Meinung teilen.

Trotz dieser Hinweise, dass das Schauspiel in Bern von den Bildungsbürgern nicht goutiert wird (Hubler: «Bern will das nicht») und dass hinter vorgehaltener Hand nicht nur von den Mehbesseren zümpftig gehetzt wird, weiss Verwaltungsratspräsident Hans Witschi im Gespräch nichts von einem Druck von dieser Seite auf den Verwaltungsrat. Der Verwaltungsrat habe schon vor ungefähr einem Jahr einen Ausschuss gegründet, um nach neuen Lösungen zu suchen und er, Witschi, sei «für sich selber, persönlich» zur Idee gekommen, «das beste wäre, wenn man das beibehalten könnte, was man bisher hatte: zwei autonom geführte künstlerische Sparten, aber dazu ‘öpper obedranne’, der gewisse Aufgaben übernimmt.» Ihm schwebt da ein liberaler Manager-PR-Mann-Schauspiel-und-Musiktheaterkenner vor, «wo dä Lade cha füere», der die Spartenleiter gegen aussen vertrete, verteidige. Lieber als ein «Typ mit einer total konservativen Kunst- und Kulturauffassung» wäre ihm aber immer noch das Dreiermodell, allenfalls mit gewissen Verbesserungen.

Und Borchardt? – «Die Leute vom Schauspielhaus machen es sich zu einfach. Alle, die ihr Schauspiel nicht mögen, sind einfach Bürgerliche und lehnen es aus politischen Gründen ab. Dem ist nicht so. Man hört mehr, die Qualität sei schlecht.» Von den drei Direktoren sei allerdings «ganz klar» Borchardt am umstrittensten.

Peter Borchardt hat bereits am 14. Juni, kurz nach der Pressekonferenz in Bern, in der «Basler Zeitung» Stellung genommen: «Ich habe mich nie gegen eine Fortführung des jetzigen Direktionsmodells ausgesprochen. […] Wohl gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, das bisher praktizierte Leitungsmodell zu verbessern […], aber es existiert kein zwingender Grund, es aufzugeben.» Verwaltungsdirektor Gosteli gibt am Telefon freundlich und zuvorkommend Auskunft, sagt aber zum Schluss, ich solle ausser «no comment» nichts in die Zeitung schreiben und er wisse, dass dies auch im Sinne des Musikdirektors Kelling sei, Er macht den Eindruck eines Mannes, der lieber verwaltet, als sich darüber Rechenschaft abzugeben, dass er Direktor des Berner Stadttheaters ist. Immerhin soviel: Für ihn ist der ganze Streit um das Direktionsmodell eine Auseinandersetzung auf der Linken. Tatsache ist, dass Bircher von Witschi im Interview in der Poch-Zeitung gesagt hat, Witschi sei «ein Sozi, der selber einmal für das Dreierdirektorium gekämpft habe» und jetzt «in einsichtiger Sünderpose den Bürgerlichen die Arbeit erledigt… ach, es ist doch immer die gleiche opportunistische Scheisse.» Dagegen Witschi im Gespräch: «Manchmal habe ich bei gewissen Leuten in der Linken das Gefühl, sie bewiesen lieber zehnmal, wie unmöglich es ist, in diesem bürgerlichen Staat etwas zu machen, als dass sie wirklich probieren, Schrittchen für Schrittchen etwas aufzubauen.»

Vorderhand ist auch in Bern noch nichts endgültig entschieden. Die Stelle des supermännischen Oberdirektors ist noch nicht ausgeschrieben. Der Verwaltungsrat will in einer Woche noch einmal zusammensitzen und aufgrund der neuen Einsichten, die ein letzthin hinter verschlossenen Türen durchgeführtes Hearing gebracht haben sollen, einen Entscheid treffen. Witschi: «Ich kann nichts vorausnehmen, aber ich hoffe, der Verwaltungsrat wird irgendeine Zwischenlösung finden.»

 

[Kommentar]

Da wären noch zwei, drei Fragen, meine Herren

Ob in Zürich versucht wird, Subventionen zu kürzen, ob in Chur versucht wird, das Schauspiel abzuschaffen, ob in Bern versucht wird, die Schauspielleitung zu säubern; ob dies über ökonomische oder strukturelle – immer formale, die Rahmenbedingungen betreffende, nie direkt inhaltliche – Massnahmen zu erreichen versucht wird: Immer ist aus diesen Konflikten auch der Links-rechts-Konflikt herauszudestillieren. Es gibt aber andere Konflikte und Fragestellungen, die mir während der Recherche aufgingen und die, ob der Darstellung all der todernsten Stellungskämpfe in den Institutionen, wie selbstverständlich unter den Tisch gefallen sind.

– (an Witschi u. a.:) Warum sollten Linke sich für die gross- und bildungsbürgerliche Kunstfolklore einsetzen, die mit den aufwendigsten technischen Mitteln nach wir vor ein Weltbild bestätigen soll, das mit dem 19. Jahrhundert untergegangen ist?

– (an Bircher:) Ist es richtig, sich als linker Kulturschaffender dafür einzusetzen, dass neue «Marktsegmente», Linke, Jugendliche, Randständige aller Art in die grossen Theater gelockt werden? Wozu soll eine derart integrative Kunst dienen, wo doch jede kulturelle Äusserung, die nicht weiss, wogegen sie sich richtet, heutzutage zu nichts mehr taugt als zum Mitmachen?

– (an Kreutzberg:) «Es wäre wünschenswert, dass die Linke die pädagogische Position gegenüber den Bürgern räumt, die gewichtigen Umbruchsprozesse im Bewusstsein und zuweilen auch im Handeln eben dieser Bürger endlich zur Kenntnis nimmt […]» (Thomas Schmid in: Die Linke neu denken, WAT 112, 1984, S. 68 f.). Was bedeutet eine solche Formulierung für das Theater als «moralische Anstalt»?

– (an Drese/Heinz:) Gott schütze Ihre Institute vor der Provinzialität und Ihre Hebebühnen davor, dass sie auf halber Höhe stecken bleiben, weil Ihnen wegen Geldmangels die Städtischen Elektrizitätswerke den Strom abstellen. Was wird bei Geldknappheit eher «provinziell», die Form oder der Inhalt Ihrer Bemühungen?

– (an Andreotti:) Um den Terminus des «modernen Theaters» aufzugreifen: Wer soll – unter den heutigen kulturpolitischen Bedingungen! – wessen modernes Theater für wen resp. wozu machen?

– (an alle:) Was legitimiert die grossen städtischen Theater, sich als «moralische Anstalten» oder als nicht provinziell zu verstehen, wenn in ihnen Frauen bestenfalls als Hausautorinnen – Maja Beutler in Bern, Ingeborg Kaiser in Chur – temporär geduldet werden?

– (an alle:) Natürlich finde ich es ganz in Ordnung, dass die städtischen Theater sich für die öffentlichen Gelder wehren, die sie brauchen. Und würde damit der grösste Quark veranstaltet, sinnvoller als für noch einen neuen Panzer wird es allemal eingesetzt. Aber überseht ihr nicht allzu oft, dass Eure Geldforderungen in Konkurrenz stehen zu denjenigen der nicht-institutionellen, neuen Kulturformen (freie Theatergruppen, Jazz, Rock, Pop etc.?)

– (an alle:) «Über das Existenzrecht unserer Bühnen sollte nicht diskutiert werden müssen», schliesst die Boswiler Resolution. Natürlich nicht. Und wenn Leute mit linker Intelligenz ihre Pfründen in den Institutionen zu verteidigen haben, dann ist meine Solidarität gefragt, das ist mir schon klar. Aber Dein Zahltag bestimmt nicht mein Bewusstsein. Welche Bühnen, bitte schon, sind «unsere» Bühnen?

 

[Anriss Seite 1]

Was soll Theater?

Theaterdiskussion – neuer Anlauf

An der Wiedereröffnung des Berner Stadttheaters am 19. Oktober sagte der Präsident der Theatergenossenschaft, Hans Witschi, der sich selber als «Kulturdemokrat» bezeichnet, unter anderem: «Die Perfektion des renovierten Hauses macht es uns nicht unbedingt leichter, an ‘alle’ heranzukommen, unser Publikumsspektrum möglichst bunt zu halten. […] Wir müssen dafür sorgen, dass […] hier eine lockere, freundliche Atmosphäre herrscht, in der sich möglichst viele Menschen möglichst frei fühlen.» In einem Diskussionsbetrag schrieb der Dramaturg Martin Kreutzberg letzte Woche in der «Berner Zeitung»: «In unserer heutigen Zeit, der Zeit allgemeiner Orientierungslosigkeit, der Zeit des Suchens nach neuen Werten, gewinnt die alte Aufgabe des Theaters, ‘moralische Anstalt’ zu sein, eine vorrangige Bedeutung.» In Bern steht Witschis Konsumismus gegen Kreutzbergs Aufklärungsanspruch, steht ein populistisch-versöhnlerisches einem pädagogisch-unversöhnlichen Kunstverständnis gegenüber. – Auseinandersetzungen an städtischen Theatern werden aber selten auf inhaltlicher Ebene ausgetragen. Die Druckversuche auf die Theatermacher laufen über das Geld und über die Strukturen.

Dieser Beitrag war der dritte Teil einer Serie, die unter dem Titel «Die WoZ-Theaterdiskussion» veröffentlicht wurde. Als erster Beitrag war erschienen: «Der Mythos vom ganzen Menschen» von Mario Andreotti (WoZ Nr. 37/1984), als zweiter ein Wortwechsel zwischen Peter Schweiger und Dieter Bachmann. Schweigers Beitrag trug den Titel «Unding», Bachmanns Replik «Unantwort» (WoZ Nr. 41/1984). – Der vorliegende Beitrag trug in der Zeitung den Titel: «Kürzen, streichen, intrigieren – städtische Theater unter Druck».

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


v11.5