«Unbestritten eine gute Sendung»

Fast eine Wegwerfgeschichte[1]: Franz Hohler, der Kabarettist, produziert für das Fernsehen seine 38. «Denkpause». Thema: Dienstverweigerung. Roy Oppenheim, Ressortleiter Kultur beim Fernsehen DRS visioniert Hohlers Beitrag am Tag der Ausstrahlung, am 7. Oktober 1983, gleich mit dem SRG-Rechtsberater Wolfgang Larese. Immerhin weiss man von Hohler, dass er, obschon er sonst ein Netter ist, eigene Gedanken hat. Prompt muss Larese Kraft seines Amtes darauf hinweisen, dass Hohlers Beitrag zu Lämpen führen könnte, resp. sei eine Klage wegen Verletzung der SRG-Konzession zu befürchten. Ergo wird die Sendung abgesetzt und Hohler verzichtet darauf, im nächsten Jahr weitere «Denkpausen» zu machen. Wenn die schon das «Denk» nicht mehr wollen, können sie auch gleich selber für die Pausen sorgen, sagt sich Hohler, und damit wäre diese Geschichte dann langsam zu Ende. Immerhin kann man über sie noch ein wenig plaudern. Zum Beispiel mit Hohler, Larese und Oppenheim.

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Der Zürcher Rechtsanwalt Wolfgang Larese findet Hohlers «Denkpause» «unbestritten eine gute Sendung, mir hat sie gefallen». Aber natürlich geht es nicht darum. Auch wie Hohler «die Pointen holt», wie er von den Schlachten der alten Eidgenossen ausgehend, über das martialische Liedgut der Schweiz das «einseitig negative Bild einer Armee» entwickelt, um dann in seiner Mundartfassung von Boris Vians «Le déserteur» zu gipfeln, das hat Larese formal absolut eingeleuchtet. Eigentlich hat ihn auch nicht gestört, dass es nach seiner Einschätzung Hohler nicht so sehr um die Satire, als um «eine ernste Botschaft», um «eine klare Absage an den Militarismus und eine Stellungnahme für den Zivildienst» gegangen sei. Aber trotzdem geht das natürlich heute nicht mehr. Denn dagegen steht die «nicht total gesicherte, aber sich seit Jahren verschärfende Praxis in Bezug auf die Programmrichtlinien der SRG-Konzession». Bedenklich ist auch für Larese, dass sich die von privaten Interessengruppen[2] via Kommission Reck[3] und Departement Schlumpf[4] durchgebrachten Beschwerden langsam zu einer «Progammgesetzgebung» fürs Fernsehen verdichten.

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Roy Oppenheim findet Hohlers «Denkpause» eine «sehr gute Sendung»: «Er baut sie unerhört auf.» Aber darum geht es ja eben gerade nicht. Für Oppenheim geht es um «einen ganz normalen redaktionellen Entscheid». – Aber immerhin brauche nicht jeder Redaktor einen Juristen, um sich entscheiden zu können. – Eine Konzessionsverletzung, entgegnet Oppenheim, sei ein «Verstoss gegen geltendes Recht, da kann man gar nichts anderes machen» als Hohler abzusetzen. Ob man von «präventiver Zensur» reden könne? Dagegen Oppenheim: Eine Zensur komme immer von aussen: Wenn sich jetzt da der Bundesrat einmischen wollte, das wäre Zensur. Aber der Entscheid gegen diese «Denkpause» sei ja von der Direktion gefällt worden. – Das heisst: Die Direktion hat sich selber zensuriert, indem sie Hohler präventiv zensuriert hat, aus dem einzigen Grund, eine Beschwerde zu vermeiden, die als Bestandteil einer «Programmgesetzgebung» zur Zensurierung des Fernsehen führen müsste.

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Franz Hohler ist bei seiner «Denkpause» von der fälschlichen Annahme ausgegangen, er müsse den Zuschauern die Diskussion nicht abnehmen, weil sie mündig seien und demnach zuhause miteinander über seine Darstellungen reden könnten. Für ihn war immer entscheidend: «Kann ich die Sendung so machen, wie ich will, oder nicht?» Wenn er nicht mehr kann, geht er. Aber das haut ihn nicht um. Für einen wie ihn gebe es immer wieder eine «ökologische Nische, ein Biotop, in dem ich überleben kann». Und eigentlich sind sich alle drei einig: Die Praxis verschärfe sich seit Jahren, meint Larese. Oppenheim sagt, das Fernsehen sei «heute viel mehr im Blickfeld als noch vor zehn oder fünfzehn Jahren». Und Hohler: In den vier Jahren, in denen er nun «Denkpause» gemacht habe, habe er das selber beobachten können, dass der «Druck zunehmend» sei. Er erwähnt den Hofer-Club, die Wirtschaftsförderung. Als ich mit Hohler über Ausgewogenheit und Objektivität beim Fernsehen rede, kommen wir darauf, dass im Fernsehen innerhalb einer Sendung die Summe aller geäusserten Meinungen immer Null ergeben müsse. Wir lachen, weil wir das einen Moment lang lustig finden.

[1] «Wegwerfgeschichten» ist ein Buchtitel von Franz Hohler (Zytglogge Verlag 1974).

[2] Angespielt wird hier in erster Linie auf die Initiativen des «Hofer-Clubs» um den Historiker Walther Hofer (1920-2013), die sich im antikommunistischen Geist des Kalten Kriegs insbesondere für eine stärkere Kontrolle des aus seiner Sicht von linkslastigen Medienschaffenden produzierten Fernsehens einsetzte.

[3] Die «Kommission Reck» war die Vorgängerorganisation der kurz darauf, 1984, ins Leben gerufenen «Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen» (UBI).

[4] Gemeint ist Bundesrat Leon Schlumpf (1925-2012), der damals dem zuständigen Eidgenössischen Verkehrs- und Energiedepartement vorstand.

 

[WoZ Nr. 47 / 1983, 25. 11. 1983]

«Medienkritik» an Franz Hohlers Denkpause Nr. 38

«Hoppla, eine Konzessionsverletzung»

 

Man denke: ein mutiger Entscheid beim Fernsehen DRS! Über Franz Hohlers abgesetzte «Denkpause» Nr. 38, in der er öffentlich die Wörter «Zivildienstinitiative» und «Bührle resp. Oerlikon» sprach, war für Dienstagabend (22.11.1983, fl.] eine medienkritische Fernsehsendung angekündigt. Ein noch mutigerer Entscheid: Die Sendung wurde tatsächlich ausgestrahlt, und zwar in Form einer abendfüllenden Politsatire. Am mutigsten aber die zwei Fernsehfunktionäre, die sich als Laiendarsteller zur Verfügung stellten, um die einzige Tugend des Funktionärs, die notorische Feigheit, lebensnah zu mimen. Und wie ihnen das gelang!

Mit schon fast kalauernder Treffsicherheit nannte sich der Oberfunktionär «Kündig» und markierte seine Unschuld gleich zu Beginn: «Ich war gerade in den Ferien», aber kaum sei er zurückgewesen, habe auch er sofort gedacht: «Hoppla, eine Konzessionsverletzung.» Nach diesem offenen und freien Wort war die Diskussion auch für den Unterfunktionär, der nicht minder verwirrend «Oppenheim» hiess, lanciert: Er stellte klar, dass die Unfähigkeit, einen redaktionellen Entscheid zu fällen, für ihn ein normaler redaktioneller Entscheid sei. Zudem habe der beigezogene Rechtsberater ja dann bestätigt, dass die vorliegende Satire, weil eine unausgewogene Satire, möglicherweise konzessionsverletzend gewesen sein würde, hätte man sie ausgestrahlt. Dem hatte der unverfängliche «Larese», so hiess der Opportjurist, nur beizufügen, dass die Verantwortung für den redaktionellen Entscheid, den er fällte, natürlich bei seinem Auftraggeber gelegen habe und der sei gerade in den Ferien gewesen und der Stellvertreter habe darum einen normalen redaktionellen Entscheid gefällt und so weiter.

Den Kompetenzenhinundherschiebern sass der Ketzer Franz Hohler, assistiert vom Ketzer a. D. César Keiser, gegenüber. Die beiden taten gerade so, wie wenn sie selber noch daran glaubten, sie dürften am Fernsehen etwas Kritisches sagen. Der Keiser sagte sogar, es gebe so etwas wie «politische Satire», und die müsse «provozieren», stellen Sie sich das einmal vor. Diese vorlaute Bemerkung wurde mit Ignoranz übergangen, denn: Auch «Satire hat ihre Grenzen». Das sagte kurz darauf der Grossinquisitor von Fall zu Fall, der «Gut» hiess und auch sonst ein netter Mensch zu sein schien. Seit Menschengedenken lässt er in der Beschwerdekommission Reck zugunsten der Pressefreiheit allzufreie Köpfe rollen. Ihm war es vorbehalten, in einem kleinen Exkurs öffentlich klarzustellen, dass die Schweiz im Zweiten Weltkrieg den Faschisten Waffen liefern musste, wenn sie überhaupt noch Geschäfte machen wollte, damals. Und weil Hohler in der «Denkpause» auf diesen Punkt hinzuweisen gewagt hatte, und weil der Hohler seine Sendung so kunstvoll aufzubauen gewagt hatte, und weil der Hohler es überhaupt gewagt hatte, vermutete auch er mal unverbindlich eine Konzessionsverletzung.

Und plötzlich der überraschende Regieeinfall: Eingespielt wurde eine Aufzeichnung, die auf eindrückliche Art spontanes Reagieren bei einem Divisionär und bei einem Nationalrat (SVP) dokumentierte: Den beiden Freaks war die «Denkpause» vorgespielt worden und nun brach es urschreiartig aus den beiden hervor: Der Divisionär, der aussah, als ob er Müller heisse, war ganz ausser sich, sagte immer wieder «Ich als Soldat» und «Ich als Bürger» und hub dann übersprudelnd mit jenem Verslein an, das er schon seit zehn Jahren immer dann aufsagt, wenn’s ganz spontan wirken soll. Und erst der Nationalrat! Er verstand nichts von Satire und begehrte auch nichts darüber zu wissen. Dafür enthüllte er, dass die ganze Armee zusammengerechnet voraussichtlich stärker wäre als der Franz Hohler. (Nun verstehe ich endlich, was die meinen, wenn sie «Dissuasion» sagen.)

Dann war man wieder live dabei. An der Reihe war jetzt der von Berufs wegen Konzessionsverletzte, nennen wir ihn «Mathüs». Der sagte, er habe im Duden nachgelesen, was das sei, «Sathüre»: Witzig müsse das sein, wie beim Emil oder beim Walter Roderer, und überhaupt sei er für junge Talente. Mit seiner netten Art wurde Mathüs zum eigentlichen Tüpfchen auf dem «I» dieser medienkritischen Sathüre.

Das zweitletzte Wort hatte der Oberfunktionär. Er kündigte an, er wolle mit dem Ketzer nichts mehr zu tun haben. Das letzte Wort hatte der Ketzer: Es war ihm schon vorher vergangen, und aus seinem Bart tropften nur noch die Wörter «Lustprinzip» und «nach Hause gehen».

Zum Trost für alle sensibleren Gemüter kam dann die Ansagerin und verstrahlte die lang vermisste ausgewogene Objektivität: Bereits habe man für den nun glücklich verheizten Ketzer Nachfolger gefunden, berichtete sie. Der Divisionär (der aussieht, als ob er Müller hiesse) bestreite liebenswürdigerweise die nächste «Denkpause»: «Im Felde, da zählt noch der Mannfallera» (Skript: Strasser/Kurth[1]). Für die übernächste Folge habe sich der Herr Mathüs zur Verfügung gestellt. Er wolle etwas Intelligentes machen zum Thema: «Wie ich dem Hofer-Club Sathür und Tor öffnete.»

Und dann war Feierabend.

[1] Der Informationschef des damaligen Eidgenössischen Militärdepartements (EMD) hiess Hans-Rudolf Strasser. Er wurde später, 1990, als Mitglied der geheimen Kaderorganisation zur Aufrechterhaltung des Widerstandswillens in der besetzten Schweiz (P-26) enttarnt. – Christian Kurth war als EMD-Sprecher ein Untergebener Strassers. 

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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