Henzi: rehabilitieren statt totschweigen

Zum Journal B-Originalbeitrag.

«Der geköpfte Bernburger Samuel Henzi». Unter diesem Titel veröffentlichte Journal B in seiner Sommerserie 2019 zum Thema «Strassen, Wege, Plätze» einen Beitrag, der der Frage nachging, warum es in Bern keinen «Henzi-Weg» gebe. Immerhin war Henzi (1701-1749) nicht nur einer der Rebellen des «Burgerlärms» von 1749, er ist auch in die Geschichte eingegangen als Dichter und Gelehrter, der im Netzwerk der europäischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts – mit spitzer Feder – mitgeredet hat.

Der Journal B-Bericht wies darauf hin, dass in der Burgerbibliothek Bern eine bis heute unveröffentlichte, über 500-seitige Handschrift des Regierungsrats Bernhard Rudolf Fetscherin (1796-1855) liege mit dem Titel «Der Burgerlärm oder die sogenannte Verschwörung von 1749», dass in jenem Manuskript die Seiten 356 bis 412 mit «Henzi» überschrieben seien und dass es interessant wäre, genauer hinschauen, ob es sich bei diesen knapp 60 Seiten um die «möglicherweise detaillierteste biografische Skizze» handle, die es von Henzi gebe.

Die Hamburger Initiative

Elektronische Medien haben den Vorteil, dass sie überall gelesen werden können. Den Henzi-Beitrag von Journal B las zum Beispiel Till Jurek Spieker in Hamburg. Er war im Zusammenhang mit seinen Recherchen zu Samuel Henzi, einem «Onkel von mir 8 Generationen zurück», auf ihn gestossen, wie er am 20. Dezember 2020 nach Bern schrieb. In der Folge wandte sich Spieker – selber Mitglied der Gesellschaft zu Pfistern, einer der burgerlichen Zünfte Berns – an die Burgerbibliothek und bat um Scans des Fetscherin-Manuskripts.

Ein halbes Jahr später, am 10. Juni 2021, meldete er: «Ich habe eine grossartige Neuigkeit und hoffe doch, dass diese Sie genauso freut wie mich. Wie erwähnt ist ja in Sachen Henziverschwörung die wichtigste Quelle das Fetscherin-Manuskript, welches nur handschriftlich und dazu in Sütterlin verfasst in der Burgerbibliothek liegt. Ich habe eine ehrenamtliche Sütterlin-Stube in Hamburg gefunden, die tatsächlich in der Lage war, Teile des Manuskripts zu übertragen. Und siehe da, sie haben das Henzi-Kapitel übertragen! […] Nach erstem Anschein ist es eine hervorragende Übertragung. Sie ist buchstabengetreu, enthält also auch alle Fußnoten und Randnotizen, sowie die Paginierung des Originals.» Unterdessen gibt es im elektronischen Katalog der Burgerbibliothek einen neuen Eintrag: «Transkription von Mss.h.h.XIX.28, S. 356-413, betreffend Samuel Henzi und die Henzi-Verschwörung, 2021».

Was bringt Fetscherins Henzi-Kapitel?

Der nun transkribiert vorliegende Ausschnitt aus Fetscherins Manuskript folgt nach Kapiteln über Niklaus Wernier und Emanuel Fueter. Diese waren die beiden anderen Angeklagten, die am 17. Juli 1749 hingerichtet wurden. Diese drei Kapitel sind biografische Skizzen und stehen weit hinten in Fetscherins Manuskript. Die Geschichte des «Burgerlärms» wird zuvor detailliert rekonstruiert – von der Vorgeschichte über die Verschwörung, die Entdeckung, die Verhaftungen, die Urteile und die Hinrichtungen. Entsprechend bringt Fetscherins Henzi-Kapitel kaum Hinweise auf die Ereignisse im Juni und Juli 1749 und zu Henzis Rolle dabei.

Zu lesen ist vielmehr, wie Henzi, Pfarrerssohn aus einer Burgerfamilie, als junger Mann in der städtischen Salzkammer zum stellvertretenden Buchhalter wird und bald merkt, dass «in jener Zeit in diesem Verwaltungszweig unter unfähigen oder ungetreuen Beamten große Unordnung eingerißen war». Bald einmal ist Henzi auch Associé des Handelshauses Zäslin in Basel, das «die ausnehmende Tüchtigkeit und den unermüdlichen Fleiss Henzi’s besser zu schätzen» wusste als man dies «im engern Vaterland» tat. Henzi erweist sich als fähiger Geschäftsmann und in Bern «scheint auch […] um seiner glüklichen Geschäfte willen Neid aufzutauchen». Überhaupt erhält man beim Lesen von Fetscherins Darstellung den Eindruck, dass der zunehmend ungerechte Umgang der Berner Obrigkeit mit Henzi viel mit Missgunst gegenüber einem Vielbegabten zu tun hatte. Er wurde ungerecht gebüsst, wegen einer politischen Stellungnahme verbannt, «sein steinernes Haus an der Keßlergasse» wurde während seiner Verbannung zwangsversteigert. Fetscherin: «Man kann also nicht eben wohl von Wohlthaten sprechen, welche Henzi von seinen Obern empfangen.» Nach vierjähriger Verbannung und Begnadigung wurde ihm schliesslich das Amt «eines Bibliothekars» vorenthalten, obschon er sich «vortrefflich hiefür eignete». Fetscherin resümiert: «Begreiflich ist es wohl wenn Henzi nach manch anderer früherer Hintansetzung nach der Ausschließung von der militärischen Laufbahn, so vielen Kränkungen und Verlusten nun auf diese letzte demüthigende Zurücksetzung die schmerzliche Aeußerung (in seinem Verhöre) kund giebt: ‘Er habe von da an wohl gesehen, daß er in seinem Vaterlande keine Hoffnung mehr haben dürfe.»

Daneben schildert Fetscherin Henzi als einen Intellektuellen, auf den «Bodmers, Breitingers u. Albrecht von Hallers Geist gewirkt», der französisch, deutsch, lateinisch und griechisch schrieb, ausserordentlich belesen war und von dem «bei seinem Tode bei hundert Bände Auszüge aller Art von eigener Hand geschrieben» vorgelegen hätten. Darüber hinaus war Henzi ein Autor, den Karl Heinrich Flögel 1794 als «der erste travestirende Dichter unter den Deutschen» und als «vortreflicher, witziger, aber sehr heftiger und satirischer Schriftsteller» gewürdigt hat (hier, S. 216). Henzi selber sagte 1745 über sich, er gehöre zum Katalog der bösen Schriftsteller und mache sich darin nicht schlecht: «Eh, bien! me voilà immatriculé dans le Catalogue des Méchans Ecrivains: Qui plus est je prétens de n’y pas mal figurer» (hier, S. 25). War Henzi am Ende ein Niklaus Meienberg des 18. Jahrhunderts?

Jetzt braucht es eine Berner Initiative

Nur weitergehende historische Forschung könnte klären, ob man am 17. Juli 1749 in Bern tatsächlich meinte, einen gefährlichen «Verschwörer» exekutieren zu müssen oder ob die damalige Obrigkeit die Gelegenheit genutzt hat, unter einem Vorwand den unbequemen Publizisten ein für alle Mal zum Schweigen zu bringen.

Die Direktorin der Burgerbibliothek, Claudia Engler, sagt: «Uns hat Herr Spiekers Initiative sehr gefreut. Es ist einfach so, dass die Burgerbibliothek das Fetscherinmanuskript weder selber fertig transkribieren noch mit solchen Quellen Geschichtsschreibung betreiben kann. Wir verstehen uns als Archiv und als neutral, unsere Aufgabe ist es, die Dokumente zugänglich und verfügbar zu machen. Aber Interessierte sind selbstverständlich herzlich eingeladen, mit unserem archivierten Material zu arbeiten. Das Fetscherin-Manuskript haben wir digitalisiert, es ist auf unserem Online-Archivkatalog veröffentlicht.» (hier Rubrik «Link: Digitalisat DFG-Viewer» öffnen)

Sicher ist: Von Fetscherins Manuskript liegt nun dank der Hamburger Initiative genug transkribiertes Material vor, um sagen zu können: Einerseits hat der alt Regierungsrat zwar nur eine erste Fassung, keinen druckfertigen Text hinterlassen, aber andererseits hat er mit derart exakt ausgewiesenen Quellen gearbeitet, dass der vollständig transkribierte Text zur Rekonstruktion des Burgerlärms von 1749 sicher zu neuen Einsichten führen würde. Und wer weiss, ob sich dann nicht auch die Rehabilitierung Henzis aufdrängen würde (die Stadt Bern muss ja nicht gleich die Gerechtigkeitsgasse in Avenue Henzi umtaufen).

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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