Der Kunstpublizist C. A. Loosli

Januar 2008: Das Schweizerische Institut für Kunstwissenschaft (SIK) ist in der Villa Bleuler untergebracht, einer der schönsten Liegenschaften des Riesbach-Quartiers in Zürich. Im Nebengebäude, im zweiten Stock des ehemaligen Bedienstetenhauses, arbeitet das «Hodlerteam» unter der Leitung von Paul Müller an einem neuen Werkkatalog von Ferdinand Hodler. Dieser Katalog ist überfällig: Der erste und bisher einzige «Generalkatalog» ist über achtzig Jahre alt. C. A. Loosli hat ihn am 31. Dezember 1923 abgeschlossen und im Jahr darauf publiziert.[1] Zwar hat Loosli nach der Veröffentlichung bald selbst gewusst, dass dieser Katalog unvollständig und in Einzelfällen fehlerhaft ist – die Gelegenheit, seine Nachträge und Korrekturen zu publizieren, hat er aber später nie mehr erhalten. Looslis Generalkatalog von 1924 ist deshalb für den Kunsthandel bis heute eine unverzichtbare Referenz geblieben.

Vor lauter Schreibtischen, Büchergestellen und Archivschränken könnte man in den Büroräumen des Hodlerteams leicht die grauen Schachteln übersehen, in denen C. A. Looslis «Hodler-Archiv» liegt. Es ist in den letzten Jahren restauriert, von rostenden Büroklammern und Schimmel befreit und in säurefreien Couverts neu abgelegt worden. Loosli selbst hat es in kleinen und grossen Kartonschachteln, in Mappen, Ordnern, Schnellheftern und Holzkisten hinterlassen, die Papiere zusammengefasst in 137 sogenannte «Faszikel»: Stösse von Karteikarten, Manuskripten, Briefen und thematisch geordneten Zeitungsausschnitten; Hunderte von Gutachten zu Hodler-Werken, Ausstellungskataloge, Fotos, Glasplattennegative; ein Faszikel mit Dokumenten über «Fälschungen, irrtümliche Zuschreibungen und Dubiosa»; ein anderes mit Urkunden zu Hodlers Genealogie, Zivilstand und seinem Ehrendoktor-Diplom; die Unterlagen zu Looslis vierbändigem Werk über Ferdinand Hodler[2]; ganze Stösse von Hodler-Nekrologen; die Prozessakten in Sachen Rascher-Verlag gegen Looslis Verleger Rudolf Suter in den frühen zwanziger Jahren; der Briefwechsel Hodlers mit seinem Jugendfreund Marc Odier oder der Briefwechsel Looslis mit dem Neuenburger Kunstsammler Willy Russ-Young.

Archivsperrung und Archivöffnung

Aber warum ist dieses Hodler-Archiv bald fünfzig Jahre nach Looslis Tod so bemerkenswert? Weil es erst seit kurzem zugänglich ist. C. A. Loosli hat testamentarisch verfügt, dass es dem Musée d’art et d’histoire in Neuchâtel übergeben werden soll unter der Bedingung, dass dieses garantiere, das Archiv «bis 50 Jahre nach meinem Tode» versiegelt aufzubewahren.[3] Wieso das? Weil Loosli das Material, das er in über fünfzig Jahren zusammengetragen hatte, vergeblich gehoffend, es publizistisch weitergehend auswerten zu können, nicht von seinen Gegnern oder von staatlich bestellten «Nachlasshyänen» geplündert wissen wollte.

Aber wenn Loosli «50 Jahre» festsetzte, warum liegt das Material dann im Winter 2007/08 zugänglich in einer Zürcher Villa, statt bis zu Looslis fünfzigstem Todestag am 22. Mai 2009 versiegelt in Neuenburg? Die Initiative zur vorzeitigen Öffnung kam von zwei Forschern: Erwin Marti als Loosli-Biograph und Paul Müller als Leiter des «Hodlerteams» am SIK waren am Inhalt der gesperrten Dokumente dringend interessiert. Nachdem sich Kurt und Peter Loosli, C. A. Looslis Grosssöhne und Nachlassverwalter, bereit erklärt hatten, über eine vorzeitige Öffnung des Archivs zu verhandeln, nahmen deshalb die Forscher mit Walter Tschopp, dem Konservator des Musée d’art et d’histoire, Kontakt auf und baten ihn darum mitzuhelfen, nach einem Weg zur vorzeitigen Archivöffnung zu suchen, der «für alle Beteiligten zufriedenstellend» sei. Denn: «Die ursprünglichen Gründe, die C. A. Loosli zur Sequestrierung des Archivs veranlassten, sind nicht mehr gegeben: Die alten Feindschaften und Frontstellungen haben sich alle längst aufgelöst.»[4]

Zur Klärung der rechtlichen Situation zieht man in der Folge den Notar Peter Gurtner bei. Dieser gibt beim Erbrechtsspezialisten Bruno Huwiler, Professor an der Universität Bern, ein Rechtsgutachten in Auftrag mit der Frage, ob es möglich sei, das Hodler-Archiv vor 2009 zu öffnen, ohne Looslis Testament zu missachten. Huwiler kommt zum Schluss, es gebe tatsächlich Gründe, die eine vorzeitige Öffnung möglich machen könnten: der Zeitdruck, unter dem die wissenschaftliche Arbeit am neuen Werkkatalog Hodlers steht; die zugesagten Nationalfonds-Gelder; die von aussen sichtbare, fortschreitende Zerstörung des Archivs durch Schimmel. Diese Gründe genügten aber nur dann, wenn es zusätzlich gelinge, das schriftliche Einverständnis zur Archivöffnung von sämtlichen noch lebenden Erben C. A. Looslis einzuholen. Dieser Arbeit unterzieht sich Gurtner mit Briefwechseln bis in die USA, wo die Nachkommen einer Tochter C. A. Looslis leben.[5]

Am 13. Januar 2004 ist es soweit: Im Beisein von Kurt und Peter Loosli wird das Hodler-Archiv in den Räumen des Musée d’art et d’histoire eröffnet. Einige der Faszikel sind merkwürdigerweise leer, verschiedene mussten seither wegen Schimmel- und Rostschäden restauriert, eines «wegen Totalverlust durch Schimmel» entsorgt werden.

1920 hat Loosli weitsichtig geschrieben, beim damals in Arbeit befindlichen Generalkatalog Hodlers gehe es nicht darum, «etwas Abschliessendes über ihn und sein Schaffen zu sagen. Wichtig war und ist mir, so viel als möglich einwandfreien und urkundlichen Stoff zur ferneren Forschung ordnend zusammenzutragen, damit andere daraus schöpfen und darauf bauen können, was zu bauen mir wohl versagt bleiben wird.»[6] Mit seiner testamentarischen Verfügung hat er durchgesetzt, dass jene «anderen» nicht seine Gegner geworden sind, sondern von den damaligen Auseinandersetzungen unbelastete Nachgeborene.

Die kunstgeschichtliche Bedeutung des Archivs

Das «Hodlerteam» arbeitet mit Looslis Material zielgerichtet im Hinblick auf den neuen Werkkatalog. Darum nimmt Paul Müller für sich nicht in Anspruch, Looslis Archiv vollständig zu überblicken: «Wir müssen leider punktuell vorgehen», sagt er, «man könnte sich darin verweilen. Sicher ist, dass das Archiv eine grosse kunstgeschichtliche Bedeutung hat.» Allein die vorhandene Korrespondenz, zum Teil in Originalen, zum Teil in von Loosli angefertigten Transkriptionen, sei ausserordentlich wertvoll. Weil die Briefe an Hodler, die sich nach dessen Tod in seiner Wohnung in Genf befunden haben, als verloren gelten, stammen heute rund neunzig Prozent der Briefe an Hodler, die man überhaupt kennt, aus Looslis Archiv. Hier findet man Hodlers Briefwechsel mit Albert Trachsel, mit Cuno Amiet, mit dem Sammler Oscar Miller oder mit Loosli selber.

Ein zweiter Schwerpunkt des Archivs ist die thematisch geordnete Sammlung von Pressestimmen, zum Beispiel zu Hodlers Banknotenstreit 1906-1912 oder zur sogenannten «Kunsthetze» gegen die «Hodlerclique» zwischen 1909 und 1914. Für Müllers Team besonders wichtig sind alle Unterlagen zu Looslis Generalkatalog. Sie bestehen nicht nur aus den Materialien zu den 1924 publizierten 2337 Nummern, sondern zusätzlich aus denjenigen zu rund sechshundert Nachträgen. Dazu kommen die Expertisen Looslis zu Einzelwerken von Ferdinand Hodler. Müller: «Jede Expertise umfasst ein zwei- bis dreiseitiges Typoskript. Zwar ist die kunstwissenschaftlich präzise Beschreibung der Werke nicht Looslis Stärke, dazu hat ihm das Vokabular gefehlt. Er war als Schriftsteller Biograph, nicht Kunstkritiker, seine Fähigkeit bestand vor allem darin, Hodlers Ideenwelt zu vermitteln. Allerdings sind seine Expertisen stets faktenreich und deshalb zur Identifizierung und genauen Charakterisierung der Bilder doch häufig unentbehrlich. Jeder Nebensatz von Loosli kann für die Forschung oder für Echtheitsbestätigungen, die das SIK abfasst, von grosser Bedeutung sein.»

Looslis Archiv als Tor zu Hodlers Welt

C. A. Looslis Hodler-Archiv ist nicht nur für die Hodler-Forschung und für den Kunstmarkt von Bedeutung. Es ist ein unübersehbarer Wegweiser, der auf einen weitgehend versunkenen Kontinent verweist: auf Hodlers Welt. Einer Welt nota bene, in der Loosli «als Anwalt, Verteidiger, Impresario und Führer»[7] insbesondere in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg eine wichtige Rolle gespielt hat.

Kaum hat Loosli um 1897 den Kunstmaler Ferdinand Hodler kennengelernt, wird er dessen bewundernder Kampfgefährte und Jahr für Jahr mehr dessen Freund. Hodler ist damals nicht nur die zentrale Figur der Kunsterneuerung im Land. In der «Hodlerclique» geht es um die Umwälzung der Anschauungen in vielen Bereichen – und wenn um die Schönheit, dann nicht nur um jene in der Kunst, sondern auch in Landschaft und Natur oder in der Architektur: «Die Kunsterneuerung war mit einem Geltungsanspruch verbunden, den die Politik und die Öffentlichkeit beunruhigt zur Kenntnis nahmen.»[8]

In diesen konfliktreichen Jahren stellt sich Loosli bedingungslos in Hodlers Dienste und verficht als Publizist Hodlers Sache, wo immer man ihm dazu Gelegenheit bietet.[9] Er wird zu Hodlers Biograf, der ihn auch als Person zu würdigen weiss. Zudem gelingt es ihm, seine beiden geistigen Väter in Kontakt und Hodler dazu zu bringen, Carl Spitteler zu malen. Dank dieser Vermittlung und Looslis Bericht darüber ist der Tag des ersten Zusammentreffens der beiden, der 18. April 1915, zu einem Datum in der schweizerischen Kulturgeschichte geworden.[10]

1908 wird Hodler zum Präsidenten seiner Berufsorganisation gewählt, der Gesellschaft der Maler, Bildhauer und Architekten (GSMBA). Hodler macht Loosli zum Zentralsekretär und zum Redaktor der GSMBA-Zeitung «Schweizerkunst». Damit wird Loosli zum Kunstpolitiker[11], der sich mit Künstlerrechtsfragen, mit Missständen im Wettbewerbswesen oder – besonders intensiv – mit Urheberrechtsfragen zu beschäftigen hat. Im Zentrum steht in jenen Jahren aber der Kampf der GSMBA gegen die kunstreaktionäre Innerschweizer «Sezession», die von konservativen Politikern unterstützt und instrumentalisiert wird. Einer der Höhepunkte dieser Auseinandersetzung ist der von Loosli verfasste und veröffentlichte «Offene Brief an die eidgenössischen Räte», den Hodler Anfang Juni 1914 angeregt und unterzeichnet hat. Später hat Loosli als Kunstpolitiker verschiedene Reformvorschläge für die Besserstellung des Kunst- (und Literatur-)schaffens in der Schweiz formuliert: Er schlägt «Verkaufsgenossenschaften für künstlerische und literarische Erzeugnisse» vor, eine Zentralstelle «zur Hebung und Förderung des schweizerischen Kunstschaffens» oder –als bald Siebenundsiebzigjähriger – ein «Arbeitsprogramm der Schweizerischen Gewerkschaften» zur Kulturförderung.

Seit der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre versucht Loosli, der durch den Ersten Weltkrieg 1914-1918 und durch Hodlers Tod am 19. Mai 1918 abgebrochenen «Kunstrenaissance» ein publizistisches Denkmal zu setzen. Aufgrund seiner Erfahrungen, seiner weitläufigen persönlichen Kontakte und seines laufend erweiterten Archivs wäre er zweifellos der richtige Chronist gewesen.[12] Doch längst stehen dem Kunstschriftsteller Loosli der Gesellschaftskritiker, der Sozialkritiker und der «Gotthelfhandel»-Loosli im Weg. Eingaben um Werkunterstützung werden abgelehnt, fertig geschriebene Buchtyposkripte bleiben liegen, sogar wenn ihre Veröffentlichung schon angekündigt ist. Die grosse Geschichte des schweizerischen Kunstaufbruchs um die Wende zum 20. Jahrhundert bleibt ungeschrieben. Einblick in diese verlorene Chronik geben – neben dem in dieser Hinsicht noch nicht ausgewerteten Hodler-Archiv – zum Beispiel Looslis Referat zur zeitgenössischen Malerei von 1929[13] und seine Porträt-Skizzen der wichtigsten Mitglieder des Hodler-Kreises.[14]

Vielleicht gerade weil Loosli kein akademisch geschulter Kunstwissenschaftler gewesen ist, sind seine ästhetischen und kunstsoziologischen Aufsätze lesenswert geblieben.[15] Ob er für den Mut zur eigenen Anschauung als der Fähigkeit, «kritisch zu sehen», plädiert; ob er mit bis heute aktuellen Argumenten bestreitet, dass es so etwas wie eine «schweizerische Nationalkunst» geben könne; ob er die von ihm leidenschaftlich bekämpfte deduktive Ästhetik satirisch ad absurdum führt; ob er unter dem Begriff der «Malsekten» die damals neusten Tendenzen Kubismus und Futurismus kritisch würdigt; ob er Aufbruch und Niedergang der für ihn ästhetisch inspirierten Heimatschutzbewegung mit Ereignissen und Figuren der französischen Revolution parallel schaltet; ob er in späteren Jahren den Kunsthandel thematisiert und dabei das Kunstwerk als «markt- und spekulationsfähige Ware» anspricht – immer sieht er Kunst als Teil der menschlichen Kultur, die mehr und anderes umfasst als das, was in den damaligen akademischen Sandkästen der Ästhetik Platz gefunden hat.

Um 1940 – Loosli ist unterdessen über sechzig Jahre alt und führt in der Öffentlichkeit den für ihn zermürbenden Kampf gegen die «Administrativjustiz»[16] – muss er sich eingestehen, dass er keine Chance mehr erhalten wird, seine Arbeit als Chronist und Vermittler von Hodlers Welt zu Ende zu führen.[17] In den gleichen Jahren wird er Zeuge, wie sein Freund, der von Carl Spitteler mandatierte Nachlassverwalter und Philologe Jonas Fränkel, durch ein bundesrätlich mitgetragenes, antisemitisches Komplott um alle Früchte seiner Arbeit gebracht wird.[18] In diesen Jahren wird Loosli bitter. Dass ihn die wissenschaftliche Akademie von Coimbra in Portugal 1940 wegen seiner Verdienste um Ferdinand Hodler zum korrespondierenden Mitglied ernennt, kann ihn mit seinem eigenen Land nicht versöhnen. Er entschliesst sich – und begründet den Entschluss öffentlich –, dafür zu sorgen, dass nach seinem Tod das Hodler-Archiv nicht in falsche Hände gerät. In mehreren Testament-Versionen ringt er um die richtige Lösung.[19] Sicher ist er sich dabei von Anfang an darin, dass das Archiv nach seinem Tod für 50 Jahre gesperrt bleiben soll.

Am Anfang war die Berner Enge

C. A. Loosli war kein Kunstwissenschaftler. Er war Publizist und Schriftsteller, dem die zwanzig Jahre der Bekanntschaft mit Ferdinand Hodler das Kunststudium ersetzt haben. Seine ästhetischen Postulate und seine kunstgeschichtlichen Einschätzungen sind deshalb stark von Hodler mitgeprägt worden.

Aber als Schriftsteller konnte Loosli formulieren. Sein kunstpublizistisches Werk ist deshalb heute eine unverzichtbare Quelle für den Zugang zu Hodlers Welt. Dieses Werk und das Hodler-Archiv sind als Ganzes nichts weniger als das vermutlich bedeutendste Zeugnis zum heute kaum mehr bekannten kulturpolitischen Aufbruch in der Schweiz vor dem Ersten Weltkrieg. Dieser Aufbruch ist ein Teil der schweizerischen Geschichte der Kunstmoderne. Diese Geschichte wird ohne Looslis Stimme nicht abschliessend zu schreiben sein. Der vorliegende Band gibt einen Einblick, worum es aus C. A. Looslis Sicht damals gegangen ist.

Merkwürdig bleibt, dass sich der 24 Jahre ältere Hodler um 1897 auf den gerade zwanzigjährigen, bevormundeten Loosli eingelassen hat, der damals mehr und Genaueres zu erzählen gewusst haben wird über die miserablen Zustände in der Zwangserziehungsanstalt Trachselwald als über Kunst.[20] Sicher haben Hodler damals an Loosli nicht vorab dessen Ansichten zur Kunst interessiert. Der Kern ihrer Freundschaft findet sich eher in der vergleichbaren Vergangenheit der beiden. Auch Hodler kam aus armen Verhältnissen und kannte den Staat Bern von unten. Auch er hatte sich aus der Enge seiner Herkunft herausarbeiten müssen. An Loosli muss Hodler der Wille beeindruckt haben, sich aus Zwang und Unterdrückung von Herkunft und Bevormundung befreien zu wollen. Hodlers väterliche Freundschaft ist Loosli zur Aufmunterung und Hilfe geworden auf dem Weg zur Entvogtung und zur Publizistik.

Schon bald einmal hat Hodler Grund, dem Publizisten Loosli dankbar zu sein für dessen Engagement: «Endlich sende ich Ihnen Ihren Artikel zurück, Ihr Meisterwerk. Es ist ganz famos, gut durchdacht und geschrieben. Sie haben sich in der Kürze sehr glücklich ausgedrückt betreffs des Parallelismus. Ich glaube, dass mich bald einer verstanden hat.»[21] Später, während der gemeinsamen GSMBA-Jahre würzt Hodler den nun fast täglich gewordenen kollegialen Umgang nicht selten mit Humor – etwa wenn er 1911 dem fleissig berndeutsch publizierenden Loosli schreibt: «Mein lieber Loosli / Warum zwängst du üs nach Bümpliz z’cho, i sprenge nid gern so umenand, fürigi Zyt han i o nid, de chöntisch du eim o säge, um weli Zyt me bi dir sy sötti. U de no eis, du chöntisch eim o frage, ob dr Tag eim passt. Jetz weisi no nit, ob i a di Sitzig cho cha. / Grüess di u leb wohl / Hodler».[22]

Für Hodler, schreibt Loosli verschiedentlich, sei Kunst nie «l’art pour l’art», sondern stets «l’art pour l’homme et pour la vie» gewesen. Nicht auszuschliessen ist, dass für Hodler das Engagement, einem aufgeweckten «Schwererziehbaren» aus dem Sumpf der Herkunft zu helfen, etwas mit seiner Kunst zu tun gehabt hat. Loosli hat es ihm gedankt, indem er Hodlers Umschreibung einer ethisch fundierten Ästhetik ins Zentrum stellte – nicht nur seiner Kunstpublizistik, sondern seines Lebenswerks überhaupt.

Fredi Lerch und Erwin Marti (Februar 2008)

[1] C. A. Loosli: Ferdinand Hodler. Leben, Werk, Nachlass, Band 4. Bern (Rudolf Suter & Cie) 1924, S. 37ff.

[2] C. A. Loosli: Ferdinand Hodler. Leben, Werk, Nachlass, Bände 1­–4, Bern (Rudolf Suter & Cie) 1921-1924.

[3] C. A. Loosli: Hodlers Welt. Zürich (Rotpunktverlag) 2008, S. 465.

[4] Erwin Marti an Walter Tschopp, 2.11.2000 (Archiv Erwin Marti).

[5] Im einzelnen seien bei diesem Fall die juristischen Details und Hintergründe «ziemlich komplex und für Laien nicht unbedingt ohne weiteres verständlich» gewesen (Peter Gurtner, mündlich, 18.1.2008).

[6] C. A. Loosli: «Meine Stellung zu Hodler», in: Sonntagsblatt der Basler Nachrichten, Nr. 28. 11.7.1920.

[7] Schweizerische Bodenseezeitung, Romanshorn, 20.9.1912.

[8] Erwin Marti: Carl Albert Loosli 1877-1959, Biographie, Band 2. Zürich (Chronos Verlag) 1999, S. 153.

[9] C. A. Loosli: Hodlers Welt, a.a.O., S. 17ff.

[10] C. A. Loosli: Hodlers Welt, a.a.O., S. 92f.

[11] C. A. Loosli: Hodlers Welt, a.a.O., S. 131ff.

[12] C. A. Loosli: Hodlers Welt, a.a.O., S. 233ff.

[13] C. A. Loosli: Hodlers Welt, a.a.O., S. 251ff.

[14] C. A. Loosli: Hodlers Welt, a.a.O., S. 274ff.

[15] C. A. Loosli: Hodlers Welt, a.a.O., S. 325ff.

[16] C. A. Loosli: Administrativjustiz. Zürich (Rotpunktverlag) 2007, S. 285ff.

[17] C. A. Loosli: Hodlers Welt, a.a.O., S. 423ff.

[18] C. A. Loosli: Gotthelfhandel. Zürich (Rotpunktverlag) 2007, S. 363ff.

[19] C. A. Loosli: Hodlers Welt, a.a.O., S. 463ff.

[20] C. A. Loosli: Anstaltsleben. Zürich (Rotpunktverlag) 2006, S. 21ff.

[21] Ferdinand Hodler an C. A. Loosli, 10.10.1907 (Musée d’art et d’histoire de Neuchâtel).

[22] Ferdinand Hodler an C. A. Loosli, 28.1.1911 (Musée d’art et d’histoire de Neuchâtel).

Ich bedanke mich beim Rotpunktverlag/Andreas Simmen und beim Mitherausgeber des Buches, Erwin Marti, für ihr Einverständnis zur Zweitveröffentlichung an dieser Stelle.

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Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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