Die Geschichte des Christus-Malers Tex

Clemens Klopfenstein ist auch im Alter von 68 Jahren noch ein Multitalent. Er ist nicht nur Filmregisseur («Das Schweigen der Männer»), Filmproduzent, Drehbuchautor, Kameramann, Cutter und zwischenhinein Schauspieler, sondern als gelernter Zeichnungslehrer und Kunstpädagoge auch Kunstmaler. Und all das mit «fidelem Aktivismus» und «enormer Produktivität», wie das «Director’s Portrait» von «Swissfilms» hervorhebt.

Nun hat sich Klopfenstein daran erinnert, dass er auch Kriminalautor ist  – 1978 schrieb er zusammen mit Marcus P. Nester «Die Migros-Erpressung» – und hat, so die Verlagsanzeige, einen «drastischen Schelmenroman» geschrieben. Tatsächlich ist «Schwein gehabt» ein lebenssprühender Text und eine Reverenz an seine Wahlheimat südöstlich von Perugia, wo er seit 1976 lebt.

Schreibwut in Beugehaft

Der Protagonist seines Romans nennt sich Tex, heisst aber eigentlich Hans-Peter Grumbach. Wie Jean-Pierre Grumbach, der unter dem Künstlernamen Jean-Pierre Melville als Filmregisseur Klopfensteins erklärtes Vorbild ist. Man darf also in Tex ein Alter ego des Verfassers sehen, umso mehr als auch Tex Kunstmaler ist, der gerne fliegende Christusse malt, von denen man einige – aus Klopfensteins Pinsel – unter www.klopfenstein.net besichtigen kann.

Tex also. Er sitzt in der Festung von Spoleto in Beugehaft, weil er endlich zugeben soll, im Convento di San Gerardo zu Pozzorotto den franziskanischen Ordensbruder Fra Filippo die Treppe zum Weinkeller hinuntergestossen und so getötet zu haben. Statt zu gestehen verlangt er Bleistift, Spitzer und einen Stapel Papier und beginnt zu schreiben.

Eine wilde Geschichte: von vormittäglichem Weisswein in der Bar und Rotem und Brot, wenn es ans Geschichtenerzählen geht; von Bauskandalen zulasten von doofen Nordländern; vom Kidnapping eines Bankdirektors durch zwei Bergbäuerinnen zwecks Schwängerung einer geistig Behinderten; vom Aufregendsten aus Berlusconien, insbesondere vom Leben und Sterben der Contessa Vacca Agusta; von der altehrwürdigen Zia Italia, die Tex aus Versehen kremiert; von Prostitution in einem Nonnenkloster mit singhalesischem Jungfrauenimport; oder von deftigen Episoden aus Tex’ Sexleben, insbesondere mit «Evalein, dem geliebten Gestell», einer Liegenschaftenhändlerin aus Florenz. Und selbstverständlich erfährt man allmählich die Wahrheit darüber, warum im Klösterchen oben am Berg Fra Filippo als völlig vereinsamter Schwuler zu Tode gekommen ist.

Ein Bärendienst für den Autor

Tex erzählt nicht nur eine wilde Geschichte, Klopfenstein lässt ihn auch einen wilden Text schreiben; farbig und oft witzig, mit einer gewissen Schwäche für plumpe Pointen (zum Beispiel wenn «Touris» «beleidigte Brote» essen). Tex ist aber auch ein ambitionierter Monteur seines Plots, mit einer Rahmengeschichte in der Rahmengeschichte und, wenn er dann nach fast achtzig Seiten allmählich auf Fra Filippos Ableben zu sprechen kommt, mit Zeitsprüngen quasi in alle Richtungen. 

Tex verzeiht man das gern, er wird ja als sympathischer Chaot geschildert. Aber dem Autor schaut man mit wachsender Sorge zu, wie seine Konstruktion des kriminalistischen Plots, die man eine Zeit lang als raffiniert zu verstehen bereit ist, allmählich eindeutig wirr wird.

Mag sein, Klopfensteins Buch wäre tatsächlich ein raffiniertes Buch, wenn es seriös lektoriert worden wäre. Klar: Kleinverlage arbeiten unter prekären Arbeitsbedingungen. Und reklamiert der Rezensent bloss wegen einem «Bescuher», oder zwei Kapiteln 27 bei fehlendem Kapitel 28, so darf man sagen: «So ein Querulan!» (S. 249) Aber wenn beim Lesen den Eindruck entsteht, das Lektorat sei vor der Hälfte des Textes einfach abgebrochen worden, wenn eine Figur auf Seite 165 an Herzversagen stirbt und auf Seite 176 in hochdramatischer Schilderung erhängt aufgefunden wird, dann gibt es ein Problem. Die Verlagsleiterin, die im Impressum als Lektorin zeichnet, hat ihrem Autor einen Bärendienst erwiesen. Wegen ihres Pfuschs glaubt man nicht mehr, Klopfensteins Roman sei gut gemacht. Und gut gemeint ist nicht nur in der Belletristik das Gegenteil davon.

Clemens Klopfenstein: Schwein gehabt. Roman, Köln-Wesseling (Margarete Berg Verlag) 2011.

Die Titel im «Kleinen Bund» lautete: «Dieser Tex erzählt eine etwas gar wilde Geschichte». 

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