Heller Wörterstrahl

1983 hat Kurt Aebli im Selbstverlag «Der perfekte Passagier» veröffentlicht. Im gleichen Jahr ist im Zürcher Rauhreif Verlag von ihm die Prosasammlung «Die Flucht aus den Wörtern» erschienen, deren gleichnamiger Hauptbeitrag kurze und kürzeste tagebuchartige Notizen reihte. Sie fielen auf durch die Präzision und Nüchternheit der Beobachtungen, das hohe schriftstellerische Ethos und die Sprachskepsis, die er in den reflexiven Passagen formulierte («Schreiben: Ich denke doch, dass es die einzige Möglichkeit wäre, mein Leben, das Lebendige an mir, die von Tag zu Tag nur kaum sichtbar sich verändernden Bewegungen schreibend festzuhalten. Arbeiten mit der Sprache und in der Sprache, der einzige Ort, den man Heimat nennen könnte, wäre das Wort überhaupt noch mit einer brauchbaren Vorstellung zu verbinden.»)

Fünf Jahre später, in den jetzt bei Rauhreif publizierten Erzählungen «Die Vitrine», zeigt sich: Aebli ist in der Zwischenzeit nicht aus den Wörtern, sondern in (und hinter) die Wörter geflüchtet und sein Verdikt, das er damals über das Wort «Heimat» gefällt hat, fällt er unterdessen über den ganzen Wortschatz: Die Wörter lassen sich mit keinen brauchbaren Vorstellungen mehr verbinden: «Ich mache mir endgültig meine Wörter zum Thema (…) Aufhören mit dem symbolischen Gerede, dem Gemurmel der Zeichen, Schluss, Vorhang, aus.» (47) Der Ich-Erzähler von Aeblis 46 kurzen Prosatexten ist «besessen von der Idee Wörter» (68), aber allergisch auf «übersteuerte Fälschlinge, Satzpinscher» (95). Es geht ihm nur noch um «Wörter, was sonst» (20), obsolet ist «die aufs peinlichste rekonstruierte Darbietung ‘Ausschnitt aus der Wirklichkeit’» (34 in einer «von Nachrichten und Welthaltigkeiten verpestete[n] Luft» (73). Das Abbilden von Wirklichkeiten mittels Wörtern ist ein archaisches Verfahren. Aeblis Schrift-Stellen dagegen soll die Wörter vom Zwang befreien, abbilden zu müssen, über sich selbst hinaus etwas meinen zu sollen. Die Wörter meinen nur noch sich selbst, werden vom Mittel zum Zweck: «So schnell schreiben, dachte, dass man keine Gedanken mehr hinter dem Geschriebenen vermuten kann (…) einzig das lautlose ununterbrochene Vorwärtspfeilen eines hellen Wörterstrahls.» (46) Kurt Aeblis Idee einer Écriture automatique.

Als Avantgardist einer postmodernen Schreibhaltung erledigt der scharfsinnige Aebli das, woran wir vorsintflutlichen Linken hängen mit Leib und Leben – den Inhalt –, in einer kurzen Episode: «Damals trug sich das Folgende zu. Alle Lebendigen lebten und hatten eine Wahrnehmung von ihrem jeweiligen Leben. Daneben gab es die Bewusstlosen und die Toten, und wenn man es weiss, wird man sich den Rest vorstellen können, sage ich mir, höre aber nicht auf mit der Erzählung, denn nur indem die Erzählung weitergeht, geht auch das Leben weiter.» (37) Die Erzählung geht zwar weiter, aber ohne sprechende Wörter, ohne logisches Vorher-Nachher: «Ich, Schriftsteller und Politiker, wollte die Welt vernichten, das war alles, was zu sagen war. Ich ging daran, alles aufzulösen, das war der Weg. Ich selbst löste mich auf, das war das Gefühl, das ich bei allem hatte, der Begriff, die Zeit, die Wörter.» (28) Was bleibt, ist eine in Ort und Zeit dekonstruierte Bilder-Welt: «Um Wörter ging es (…), um das Anordnen von Wörtern und Bildern, nicht mehr um das Ausdenken von irgendetwas oder um das Erklären irgendwelcher ausgedachter Vorgänge, nicht ums Beschreiben und nicht ums Konstruieren.» (43)

Aebli ist, mit anderen Worten, kein «Affe der Wahrheit» (21): «Sollte sich in diesem Augenblick ein einziges essiggetränktes Taschentuch erhängen, hätten wir es geschafft, wären wir im Preis gestiegen, hätten wir endlich das Zeug zum Silberschimmer.» (23) Und eher spiele ich als Leser «Basso continuo auf zwei vierhändigen Klavieren» (79), als dass ich entscheiden kann, was an Aeblis Geschichten absurder Kalauer, was simulierte Metapher, dadaistische Sprachkapriole oder beliebige Hermetik ist: Die Wörter sind ihr Zweck. Aeblis ist ein todernster Wörterclown, dessen Clownerie darin besteht, dass der Sprachskeptiker ausgerechnet das, was er nicht glaubt, zum Fetisch macht. Mit ausgesinnten Worthülsen jongliert er über dem toten Wörtermeer.

Damit hält er gerade auch dem Sprachbewusstsein linker Aufklärungsgläubiger einen Spiegel vor: Auf der Ebene des Sprachmaterials ist Aebli der grössere Realist als jene, die ihre «realistischen Inhalte mittels einer als naturhaft unveränderbar gesetzten Sprache zu vermitteln suchen. Sprache als öffentliche verändert sich: Sie zerfällt immer mehr zu einem kognitiv indifferenten «Rauschen» (27). Das Meinen der Wörter wuchert krebsartig und frisst ihren Sinn auf. «Was ist hinter den Wörtern?» (28) Dass Kurt Aebli mit literarischen Mitteln diese Frage dringlich gemacht hat in einer Zeit überschiessenden literarischen Sprachdurchfalls ist eine sprachphilosophische Leistung.

Kurt Aebli: Die Vitrine – Erzählungen, Zürich (Rauhreif Verlag) 1988.

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