[169]
fabel
scheren in kampfanzug kappen
flatternde flügel: fliegen
ist ein böses gerücht
schnippschnapp
(komische vögel werden zur schnecke
gemacht und auf national
strassen aus
gesetzt)
scherenschleuderer schreien:
schwebendes wird abge
schossen flipp
flab
in ferngeheizten kästen geniessen
kücken nestwärme: schon früh
schneiden sie entzückende
scherenschnitte aus
ihren flügeln
(2.1981)
[170]
zollabfertigung
sie haben hiermit betreten was leuchtet
als vaterland: ihre dank
barkeit wird vor
ausgesetzt
zur verhinderung von nestbeschmutzung
werden träger eigener meinungen
chemisch gereinigt und
sterilisiert
hier herrscht zivilisation: der stärkere
hat das faustrecht eingeschränkt
aus furcht um seine verfein
erten handgelenke
den zustand der mehrheit nennen wir
glücklich: anderslautenden be
hauptungen wird ärztliche
betreuung zugesichert
der mund dient zur nahrungsaufnahme
allfällig vorhandene augen
und ohren sind am ein
gang zu deponieren
(25.5.1981)
[171]
über mein land
über mein land ist eine glocke
gestülpt: darunter lässt
sich gut leben: lebt
einer nicht gut
wie er soll:
erstickt er
atemnot blüht auf den feldern
schweigende heben wissend
die schultern: dem zahn
los geöffneten mund
entströmt
schnee
aufgegangen wurde vor menschengedenken eine sonne
aus marzipan: ikarusse schwangen sich
auf flogen zur sonne schrieen
betrug: wurden zerquetscht
noch im flug: mein land
wehrt sich für seinen
frieden: in der
kuppel abend
rot aus ver
einzeltem
blut
die glockenhellen aber grinsen mit
menschlich: ob jenen die mit
blossen händen ihren schrei
suchen: heute ringen sol
che gegen die marzip
ansonne: morgen
um luft
öfter fällt schweigen nun
als atemloser schnee:
blinde väter ziehen
weinende kinder
auf schlitten
darüber
hin
(6.12.1980)
[172]
aufruf zur endlösung
schweizerinnen und schweizer: wer die bürger
rechte dieses landes geniesst: der
har auch die ihm auferlegten
pflichten ernst
zu nehmen
indirekt proportional zur familien- und milieubedingten
lebenserwartung: und unter voraussetzung und berück
sichtigung der einsicht in die atomaren anforder
ungen an jeden von uns: wird jeder demokrat
isch gesinnte bürger aufgefordert: den
ihm zufallenden teil hochradioaktiven
atommülls bis ende des monats auf
der gemeindeverwaltung abzu
holen (bürozeiten
beachten)
bei der endlagerung in kellern estrichen und
privaten gärten ist das merkblatt des bun
desamtes für strahlende schutzlosigkeit
zu beachten: atommüll kann ihre
gesundheit gefährden! nicht ein
nehmen! haut- und augenkon
takt vermeiden! wenn mögl.
von kindern fernhalten!
giftklasse ist dem
müllpaket auf
gedruckt
SIE ERHALTEN DEN BEFEHL VOLLSTÄNDIG auf unserem
gemeinsamen boden freiheitlich-demokratischer
d.h. freiwilliger übereinkunft: obigem auf
ruf strikte folge zu leisten zu
widerhandlungen usw.
es grüsst freundlich: IHRE eidgenössische
korporation der rechtstaatlichen
stromproduzenten in kamerad
schaftl. zusammenarbeit
mit den zuständigen
behörden
(6.11.1981)
[173]
die heimat bewohnen
I
vor dem haus stehen und im recht sein: sich
bücken: sich ducken: verstummen:
mit wachsendem zahltag recht
erhalten: proportional:
sich selbst belügen
zu hause sein:
heimat
II
vor den wänden: vor den mauern: vor den zäunen
und gittern: vor den erblindeten fenstern:
vor der gepanzerten festung: die sich
mit allen mitteln verteidigt: ge
gen sich selber: vor dem
stein der unweisen:
heilige gosse:
heimat
III
wurzeln in den boden schlagen: wurzeln in den
eigenen grund und boden anderer schlagen:
landfriedensbruch begehen: sich die
wurzeln abschlagen lassen: ent
wurzelt werden: wurzellos
gezwungen werden: die
wurzeln anderer
zu schützen:
heimat
IV
sich ein haus einverleiben: sich in ein haus ver
beissen: sich an einem haus festkrallen:
sich mit häusern vollstopfen:
sich in häuser hineinwühl
en: häuserfluchten raf
fen und schlucken:
städte würgen:
dienen: der
heimat
[174]
V
in die häuser gehen: sie zugänglich machen: sie
ihrer bestimmung zuführen: sie gebrauchen:
sie besetzen: sie instandbesetzen: sie be
wohnen: sie verteidigen: sich wehr
en: gezwungen werden: sie zu
verlassen: aus den häusern
gehen: vor den häus
ern stehen:
heimat
VI
sich selber zu hassen beginnen: den «wohnungsmarkt»
im anzeiger studieren: bewerbungen schreiben:
die absagen zur kenntnis nehmen als
freiheit des geldes: auf meine
miete zu verzichten:
heimat
VII
vor den häusern stehen und im recht sein:
tränengas schlucken und im recht sein:
im recht sein: doch nicht recht
haben wollen: im recht
rechtlos sein: ausser
halb des geldes
sein: schutz
los sein:
heimat
(7.10.1981)
[175]
freiheit kommt vor dem fall
zum gruss wird augenkontakt hergestellt:
laut gedacht wird hinter zusammen
gepressten lippen
ertönt ein ruf: wird präventiv der arsch
verkniffen: zornrote adern deuten
auf verquetschtes lachen
nach dem befehl der achtungsstellung
an die seele: wird vorsichtig ein
verschämter traum versucht
der körper wird zucklos ohne tränen vom
alltag nach und nach zum trauer
nden geschwür versteint
in diesem land wird stumm geliebt: beim
langersehnten koitus wird auf
die zähne gebissen
wir werden von uns als
«tapferes volk»
bezeichnet
(28.10.1981)
[176]
wohlfahrt
tagsüber streuen sozialarbeiter auf strassen
und in einschlägigen lokalen
merkblätter an suizid
verdächtige
RECHTSFREIE RÄUME KÖNNEN AUCH
SELBSTMÖRDERN NICHT ZUGESTAN-
DEN WERDEN (PRÄZEDENZWIRKUNG)
VERRICHTEN SIE IHR GESCHÄFT
DESHALB IN DEN DAFÜR VORGE-
SEHENEN ÖFFENTLICHEN ANLAGEN
gezielt eingesetzte streetworkerinnen
verführen rasierklingensudelnde
chaoten zum aufschiebenden
beischlaf bis zur abend
dämmerung
WER SEINEN SUIZID EIGENMÄCHTIG AN EI-
NEM NICHT DAFÜR VORGESEHENEN ORT
DURCHFÜHRT, GEHT BEIM BEGRÄBNIS JEGLI-
CHEN CHRISTLICHEN BEISTANDS VERLUSTIG.
abends von neun bis elf geben an dunklen
parkeingängen securitasleute
reissfeste kälber
stricke gratis
ab
UM FLURSCHÄDEN ZU VERMEI-
DEN BITTE NUR MARKIERTE
ÄSTE VERWENDEN. DANKE.
auf angrenzenden hauptstrassen patroullieren
blechmusiken zum amusement der be
sucher von strassencafés
bis nach mitter
nacht
[177]
WÜRGEGERÄUSCHE SIND ZU UNTERDRÜCKEN.
wie nächtliche schmetterlinge huschen
gelbe und rote rollschuhfahrer
vorbei und beleben
das stadtbild
UNSCHLÜSSIGE HABEN DAS AREAL BIS
SPÄTESTENS UM 03.00 UHR ZU VERLAS-
SEN. IN DIESEM FALL SIND DIE STRICKE
AM AUSGANG ZU DEPONIEREN.
ENTWENDUNG VON KÄLBERSTRIK-
KEN WIRD ALS DIEBSTAHL GEAHNDET.
im schattigen morgennebel hasten (akkord) fremd
arbeiter der städtischen müllabfuhr durch
die öffentlichen (frühschicht) an
lagen von baum zu baum
schneiden herunter
packen in särge:
säubern
DER PARK IST FÜR DAS PUBLIKUM
VON 07.00-20.00 UHR GEÖFFNET.
vor dem offenen parktor warten sie
später rauchend auf ihren müll
kipper starren schleim
spuckend in den end
losen morgen
verkehr
HUNDE SIND AN DER
LEINE ZU FÜHREN.
(24.6.1981; 28.12.1981)
[178/179: Illustration; 180]
verharrende leben
rostende kotflügel blühn blühn empor blühn empor
aus verfaulenden polstern verbogenem blech
langsam von auge zu auge schwenkt
die mündung des rechts ge
walt ist gewalt
im durchbrochenen kofferraum träumt die schule
des lebens empor blüht der goldene prinz
der prinz der träumt über verfaulenden
polstern im handschuhfach liegt er
träumt zäune entlang seiner
freiheit umstellt mit der
mündung des rechts
das herz liegt zerfetzt durchbohrt vom abgebro
chenen steuerrad zwischen verbogenem blech
überträumend die abgeblätterten farben
der goldene prinz blüht blüht em
por durch zersplitternde
scheiben empor
draussen verharrende fliehen die schwenkende mündung
im verbogenen blech liegt liegt die freiheit
träumend das ghetto hinter den zaun
im handschuhfach hortet der gol
dene prinz die zerrissenen
herzen freiheit umstellt
von rostendem kot ver
faulenden polstern
verbogenem blech
langsam von auge zu auge träumend der prinz
die mündung des rechts zersplitternde
scheiben die freiheit ist einge
zäunt draussen verharrende
leben im ghetto rostende
kotflügel blühn ist ge
walt blühn empor
(1.7.1981)