Aus einem Gefängnistagebuch

 

I

Wie die Sterne am nächtlichen Himmel

flackert zerstiebender Sinnstaub

am Sprachfirmament, selten und unstet.

Wie könnte noch jemand wissen,

was hinter dem Universum ist, seit

Sprache zum Himmelszelt wurde?

 

Aber erst hinter den Gittern der Irrlichterei

begänne die Welt, die tröstet und tötet.

Nicht sie, die Sprache ist mir unterdessen

zum Gefängnis geworden, unentrinnbar.

 

Mir wurden die Verse zum kuschligen

Rauschen im Milchstrassenwurf

aus Goldstaub, Jenseits und Schein.

Alles ist schmerzloser Glanz und

in bildloser Leere zwischen den Wörtern

erfrieren Gedanken noch im Entstehn.

 

[12. 3. 2006; 17.6.2015; 26.7.2017]

 

II

Je länger ich schreibe, desto

mehr verschwindet, was ich

unbedingt gesagt haben wollte,

hinter dem Horizont

des mir zu denken Möglichen.

 

Trotzdem schreibe ich weiter: Wozu?

 

[12.3. 2006; 26.7.2017]

 

III

Was mir zu sagen möglich ist,

haben Hunderte gesagt

und besser.

 

Die schmalterrassierten Sprachfelder,

auf denen ich säe und ernte,

sind urbar seit grauer Vorzeit,

bebaut und von Ernte zu Ernte

wertvoller gemacht von anderen,

namenlos Untergegangenen.

 

Autor sich nennen?

Wie lächerlich wäre das,

gebläht den Eigentümer zu mimen

des Bodens, zu dem man

schon morgen selber

geworden sein wird.

 

(13.4. 2009; 31.7.2017)

 

IV

Was soll’s? Ich wäre

kein Sänger für ein Publikum,

doch pfeif ich mir mein Lied

wie andere auch.

Gehört sein muss es nicht,

jedoch: Gepfiffen soll es sein,

weil ich es pfeifen wollte.

 

[10.5.2006, 26.7.2017]

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