Späte Heimkehr

 

Ich gehe durch das Labyrinth, das ich schon immer war,

und finde wieder jene längst verlorne Spur des Damals,

als meine Mutter in der Tür zum Vater sagte: «Schau,

der Bub, nun sitzt er wieder da und spielt mit nichts,

sich selbst genug, ein Träumer. Was wohl aus ihm

werden mag?» Und ich, ich sitz in meinem Labyrinth,

ich höre nichts, mir selbst genug, und weiss es doch

bis heute: dass sie ratlos schauten und ich auch.

 

Es stimmt: Vertraute ich der Welt, die mir seither

begegnet ist, ich hätte mich gehütet, dieses Labyrinth

noch einmal wahrzunehmen, das – obschon stets da –

ein halbes Leben lang vergessen war. Mich blendeten

Verführungskünste, die mich dienstbar machten und

befreiten vor mir selbst mit einer wahren Illusion.

Das Labyrinth war nur noch undenkbar vorhanden,

und man schätzte rundum meinen strengen Fleiss,

mit dem ich überall mich nützlich machte in der Hoffnung,

akzeptiert zu sein als einer, der zwar nicht dazugehörte –

aber doch vergessen hatte, wo er hergekommen war.

 

Das war die Zeit der lichterlohen Selbstvergessenheit:

Ich war geblendet von der wohlgesetzten Wortartistik,

mit der die Menschen jedes Tun und Denken

flink zur Wahrheit oder ihrem Gegenteil zerredeten.

Ich aber lernte, dass in meinem Fall die eigne Rede

nicht zur Wahrheit taugte: Wer sich verlor, weiss nicht,

wozu die Wahrheit gut sein soll; sie ist ja bloss

ein Aufgesetztes, wie so vieles Andre auch.

So wurde es mein Teil, respektvoll immer wieder

Reden anzuhörn, verständnisvoll zu nicken

und zu denken: Mit Verlaub, auch das, was du sagst,

ist nicht wahr, und widersprechen werde ich

bloss deshalb nicht, weil ich keine wahre Rede kenne.

 

Nun bin ich doch zurück, nun ist das Labyrinth erneut

zu meiner Welt geworden. Den Faden der Verführung

hab ich abgeschnitten mit der Klinge jener Waffe,

die mein Leben einzig mir zur Hand gab: Ich wähnte

mich zum Knecht geboren, lernte ihn zu sein,

kam los davon allein mit meiner Waffe Nein.

Ich weiss nun, was mein Horizont in diesem Leben

mir zu sehn ermöglicht, und treffen mich noch Worte,

geht’s, wenn’s hoch kommt, darum: Es gibt uns noch,

das Licht ist mild, und bleiben wird es nicht, und feiern

will ich dieses Widersehn, als wär’s das letzte.

 

Aus freien Stücken folge ich danach dem Weg

in einen nächsten Gang des Labyrinths, in dem

die Brotvernünftigkeit des Knechts seit je

die Schächte einwarf, war ich erst hindurch.

Manchmal hör ich hinter mir das Poltern

stürzenden Gemäuers näher kommen.

Dann wolkt der Trümmerstaub an mir vorbei

und nimmt für einen Augenblick die Sicht. Egal.

Ich zwinge mich, die Freiheit auszukosten,

in meinem Schritt die Gänge abzuschreiten,

von denen einer enden wird vor jener Wand,

die wahr ist ohne wohlgesetzte Wortartistik.

 

(April-24.5.; 23.9.; 5/6.10.2014, 10.12.2014; 17.-20.8.2016; 24.+30.11.2017; 5.7.2023)

v11.5