Vor leeren Rängen

 

Über die staubigen Klappsitze weht ein Wind durchs

Amphitheater. Buntflüglig schweben die Popcorn-Tüten.

Unter den Stühlen Bierdosen, klackend. Zeitungsfetzen

zwischen den Reihen melden am Rissrand: Die Seuche

ist da, aber wo. Vergessene Wimpel mit knickenden

Stielen, vergilbte Glut: War’s nicht das wärmende Feuer

in der Hölle des Scheins, dank opferndem Jammern

und Schaudern noch einmal davongekommen zu sein?

Es riecht hier nach dem Morgen danach.

Aus halb abgebauten Kulissen wächst irgendwie

plötzlich das Mittelalter mit Sense und Kot, vor Unbill

geschützt unter dem Feinstaub exakteren Wissens.

Am Bühnenrand liegt erlegt und erledigt ein Ich,

und sein Du verliert sich fortwährend im Flüstern

des flabbrigen Zugwinds. Da klatscht aus dem Himmel

ein Gänsesäger tot aufs Parkett. Exakter ist nichts.

 

(26.2.-1.3.2006)

 

Vor zehn Jahren – im Frühjahr 2006 – beschäftigte die Vogelgrippe über viele Wochen die Medien, nachdem am 26. Februar im Genfer Bootshafen bei einem toten Gänsesäger das Vogelgrippe-Virus nachgewiesen worden war. Ich habe damals versucht, auf die Meldung mit einem Gedicht zu reagieren. Es wurde zum ersten Stück des Konvoluts «Gedichte 3», das den Fundus für die hier nach und nach präsentierten Texte bildet.

v11.5