«Ich habe einen Schoggi-Job»

Ein mehrstöckiger Flachdachkomplex zwischen Autobahn und Eisenbahn am Westende der Stadt Bern: Hier entsteht die «Toblerone», jener dreieckig-gezähnte Riegel aus Schokolade und Nougat, den der Berner Chocolatier Theodor Tobler vor exakt 102 Jahren erfunden hat. Die Tobler & Cie gibt es zwar seit 1970 nicht mehr. Hergestellt wurde die Toblerone aber trotzdem ohne Unterbruch: von Interfood, dann von Jacobs-Suchard-Tobler, von Philipp Morris und seit 2000 von Kraft Foods.

Dass work den Betrieb besichtigen darf, ist nicht selbstverständlich: Kraft Foods ist ein US-amerikanischer Lebensmittelkonzern, und da der Terror überall lauere, seien Führungen selten geworden. Wenn jedoch Peter Hostettler um eine Führung bittet, ist das etwas anderes. Immerhin ist er als Unia-Präsident der Schokoladenindustrie quasi der oberste Büezer der Branche. Er arbeitet hier in einem fünfköpfigen Schichtteam, das für die Grundfabrikation, die Herstellung der Schokoladen- und Nougatmasse, zuständig ist. «Ich lüge nicht, wenn ich sage: Ich habe einen wahren Schoggi-Job», sagt er und geht voran.

Rösten, walzen, conchieren

Während wir durch den langen unterirdischen Gang in ein Nebengebäude hinübergehen, erwähnt Hostettler, dass er im Betrieb Präsident der Unia-Gruppe Kraft sei. Dazu sei er Stiftungsrat der Personalvorsorgestiftung von Chocosuisse, dem Verband der Schweizerischen Schokoladefabrikanten, dazu Laienrichter am Arbeitsgericht, und: «Ach ja: Ich bin auch noch Einsatzleiter der Betriebssanität.» Zumeist helfe er bei Schnittwunden oder Quetschungen. Aber einmal ist er mit dem Herztod einer Kollegin konfrontiert worden. Jährlich lässt er sich seither weiterbilden. Unterdessen beherrscht er die Herzmassage und den Einsatz des Herzschockgeräts, des «Defibrillators». Nicht auszuschliessen, dass er die Kollegin heute retten könnte, deren Sterben ihm damals monatelang nachgegangen ist.

Die Rösterei: eine Halle mit hohen Maschinentürmen. So beginnt die Schokoladenproduktion: Kakaobohnen werden von Bakterien befreit («debakterisiert»), geröstet, gebrochen, geschält und gemahlen. Aus den Mühlen stiebt allerdings kein Kakaomehl: Weil die Wärme, die beim Mahlvorgang durch Druck und Reibung entsteht, die Kakaobutter in den Bohnen verflüssigt, strömt der Kakao langsam als dunkelbraune Masse aus den Mühlen.

Entlang der Leitungen, durch die diese Kakaomasse fliesst, gehen wir zurück ins Hauptproduktionsgebäude. «Rund hundert Tonnen Schokolademasse mit Nougat», das sei die Tagesproduktion des Dreischichtbetriebs hier, sagt Hostettler.

Der Walzensaal: Parallel nebeneinander bilden drei Reihen von hallenhohen Maschinen und Transportbändern Produktionsstrassen – eine für die dunkle Schokolade (ohne Milchpulver), eine für die braune Schokolade und eine für die weisse Schokolade (ohne Kakaomasse). Immer in der Paste, die hier geknetet wird, sind Kakaobutter und Zucker, später kommt noch Vanillin, der Aromastoff von Gewürzvanille, dazu.

In den Walzwerken wird die Paste anschliessend in Kleinstpartikel zerrieben und danach «conchiert»: «Conchen» sind siloartige Rührwerke, die die gewalzte Paste erwärmen, verflüssigen, von Bitterstoffen reinigen und die zuvor sandige Konsistenz in die feincremige von Schokolade verwandeln.

Das Hirn und die Küche

Ein Büroraum mit zehn Bildschirmen, die alle Grafiken und Zahlenreihen zeigen: Das ist der Kommandoraum. «Das Hirn der ganzen Fabrik», sagt Peter Hostettler. «Von hier aus überwache ich die Produktion der Schokolade.»

Kurz darauf stehen wir in der Nougat-Küche: Hier werden Mandeln, Honig, Zucker und Eiweiss zu einer zähflüssigen weissen Masse gekocht, abgekühlt, durch die Bandformanlage zu einem regelmässigen Teppich ausgewalzt, in Platten geschnitten, weiter gekühlt, dann in Stücke zerschlagen, gemahlen und schliesslich mit der Schokolade zur Toblerone-Mischung zusammengebracht.

Hostettlers Arbeitsbereich endet hier. Doch die Produktionsstrasse geht weiter: zur «Eintafelanlage», wo Toblerone-Riegel in verschiedenen Grössen und Geschmacksrichtungen gegossen, dann auf Bändern durch Kühlkanäle zu den Einpackmaschinen transportiert, verpackt, eingeschachtelt und von computergesteuerten Greifarmen zur Spedition auf Palette geschichtet werden.

Zwischen Rösterei und Nougat-Küche kann Hostettler jede Funktion einnehmen: «Die Abwechslung, die ich dadurch habe, macht die Arbeit spannend», sagt er.

Doch, er ist zufrieden: Die Löhne sind überdurchschnittlich, die Arbeitsbedingungen in Ordnung, und der Betrieb hat die Krise schadlos überstanden: Die Auftragsbücher für nächstes Jahr sind bereits fast voll. Die Welt hat noch lange nicht genug von Theodor Toblers Erfindung.

 

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Der YB-Fan

Geboren und aufgewachsen ist Peter Hostettler (* 1966) in Burgdorf (BE). Hier macht er die dreijährige Lehre als Bäcker-Konditor. Weil er nach der Rekrutenschule keine Stelle auf seinem Beruf findet, geht er für vier Jahre als Speditionsmitarbeiter zur Swisspac In Oberburg (BE). Danach arbeitet er, wiederum vier Jahre, in der Produktion von graphischen und Röntgenfilmen (Typon AG, Burgdorf).

Als er in Bern seine spätere Frau kennenlernt, sucht er sich eine Stelle in der Region und findet sie 1992 als Maschinenführer in der Schokoladenfabrik, in der er auch heute noch arbeitet. Damals hiess sie Jacobs-Suchard-Tobler, heute heisst sie Kraft Foods.

 Hostettler kam vom VHTL her zur Unia und ist Gewerkschaftspräsident der schweizerischen Schokoladenbranche. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder im Teenageralter. Seine Hobbies: Er und seine Frau sind begeisterte YB-Fans. Daneben ist er als Genussmensch ein belesener Kenner von Bieren, Whiskies – und natürlich Schokoladen.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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