Vorschlag zur Unversöhnlichkeit

Am Anfang der so genannten «Realismusdebatte Winter 1983/84» in der WochenZeitung WoZ standen im Herbst 1983 zwei wohlwollende Kritiken über einen Spielfilm und über einen Roman: Alois Bischof schrieb über Otto F. Walters Roman «Das Staunen der Schlafwandler am Ende der Nacht», Corinne Schelbert über Thomas Koerfers Film «Glut». Auch aus Ärger über die Freundlichkeiten schrieb Niklaus Meienberg daraufhin eine Kritik, die Roman und Film unter dem Begriff des «Subrealismus» sezierte. Subrealistisch, definierte er, seien Fiktionen, die «der Wirklichkeit nicht zuerst aufs Maul geschaut und sie erst dann überhöht haben, sondern willkürlich ins Blaue hinaus fiktioniert sind». Um im Sinn einer Fiktion «exemplarisch werden zu können, müsste das Dokumentarische aber präzis» recherchiert sein, schrieb er, und nicht «die Raffinesse eines Baumeisters» aufweisen, «der mit den Lego-Bauklötzchen […] hantiert». 

Ausgehend von Meienbergs Kritik entschied die WoZ-Redaktion, eine Debatte mit LiteratInnen als Filmemachenden zu organisieren. Während letztere aus geschäftlichen Rücksichten kaum etwas gesagt haben wollten, engagierte sich eine ganze Reihe von Autorinnen und Autoren mit eigenen Beiträgen: Mario Andreotti, Christoph Bauer, Rudolf Bussmann, Rahel Hutmacher, Mariella Mehr, Rolf Niederhauser, Isolde Schaad und Beat Sterchi. Dazu kamen die Stimmen von jungen Filmemachern, Leserbriefschreibenden und WoZ-Redaktorinnen und -Redaktoren. 

Abschluss und Höhepunkt der Debatte bildete ein Gespräch zwischen Walter und Meienberg auf der WoZ-Redaktion, das Lotta Suter und ich moderierten. Debatte und Schlussgespräch wurden nach dem Zeitungsabdruck in einer unterdessen längst vergriffenen Broschüre zusammengefasst (greifbar zum Beispiel in der Schweizerischen Nationalbibliothek unter der Signatur Nbq 10044).

Zum schriftlichen Material, das während dieser Debatte auf der Zeitungsredaktion zusammenkam, heisst es in der «Hausmitteilung» der WoZ Nr. 16 vom 22. April 1999 unter anderem: «Letzthin erhielt die WoZ eine Anfrage des Schweizerischen Literaturarchivs in Bern: Gefragt war ungedrucktes Material zur ‘Realismusdebatte Winter 1983/84’. […] Unterdessen erhielt das Literaturarchiv einen Stoss Papier: Briefe, Presseartikel und Originaltyposkripte, die die damalige Debatte dokumentieren. Das Archiv hat sich bedankt: ‘Ihre Schenkung bildet eine wertvolle Ergänzung der Nachlässe von Niklaus Meienberg und Otto F. Walter, die sich ja bereits im Literaturarchiv befinden.’»

Dieses damals überreichte Material liegt heute in Meienbergs Nachlass unter den Signaturen D-6/10-14 – mein persönliches, ziemlich umfangreiches Meienberg-Dossier liegt ebenda unter D-6/23.

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Hier wird das Gespräch zwischen Meienberg und Walter als seltenes Beispiel öffentlicher ästhetischer Selbstverständigung unter linken Kulturschaffenden der Schweiz integral wiederveröffentlicht. Zudem dokumentiert werden meine eigenen Beiträge zur Debatte: das Broschürenvorwort; einige Gedanken zu Peter Weiss’ «Ästhetik des Widerstands» und das Protokoll eines Gesprächs mit dem Medienpädagogen und Publizisten Stephan Portmann (1933-2003).

Vorwort.

«…als sei das künstlich Erzeugte zu meinem einzigen Leben geworden». Zum Realismus in «Die Ästhetik des Widerstands» von Peter Weiss.

Hohe Zeit der Autisten und Illusionisten. Ein Gespräch mit Stephan Portmann über Stand und Tendenzen des aktuellen Schweizer Films.

Vorschlag zur Unversöhnlichkeit. Das Gespräch zwischen Niklaus Meienberg und Otto F. Walter vom 27. April 1984. (Der gleiche Beitrag als PDF.)

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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