Walter Vogts Vattr

Der Schriftsteller Walter Vogt (1927-1988) war eine schillernde Persönlichkeit. Von Beruf war er zuerst Röntgenarzt, später Psychiater in der Klinik Waldau, ab 1972 führte er eine Privatpraxis in seinem Haus in Muri bei Bern, wo er mit Frau und drei Kindern lebte. Als nonkonformistischer Schriftsteller pflegte er eine belletristische und eine kritisch-satirische Publizistik. Und als Mensch war er ein Grenzgänger, der die Grenzen ab und zu überschritt, etwa bei seinem Umgang mit Drogen Anfang der siebziger oder seinem Coming-out als Bisexueller Anfang der achtziger Jahre.

Zwar gibt es seit 1997 in Verlag Nagel & Kimche eine zehnbändige Werkausgabe. Weitgehend unberücksichtigt bleibt darin aber die Tatsache, dass Walter Vogt zwischen 1960 und 1980 immer wieder auch berndeutsch schrieb. Vogt war es auch, der 1967 den Begriff der «modern mundart» prägte, der bis heute jene Literatur bezeichnet, die damals die Umgangssprache als Kunstsprache aus dem «bluemeten Trögli» befreite.

Mit «hani xeit» ist nun eine repräsentative Sammlung mit Vogts berndeutschen Gedichten, Prosastücken, Radiokolumnen und mit dem Dialog «Tinnkwisizioon» – einem psychiatrischen Klinikaufnahmegespräch – als Buch erschienen.

Das laientheologische Interesse

Obschon Walter Vogt ein Naturwissenschaftler war, interessierte er sich immer auch für theologische Fragen und verschiedentlich trat er als Laienprediger auf. Bemerkenswert ist, dass er als Schriftsteller bei religiösen und biblischen Themen gerne zur Mundart griff. Es gibt bereits vom Jugendlichen ein Krippenspiel auf berndeutsch und in den Radiokolumnen aus den 1970er Jahren beschäftigt er sich vor allem in jenen Beiträgen, die an Samstagen ausgestrahlt wurden, gerne mit religiösen Themen. Zudem liegen im Nachlass vier Hörspiele (zwei davon bis heute unveröffentlicht), in denen es um Propheten des Alten Testaments geht: «Amos», «Jesaja I», «Jesaja II» und «Deuterojesaja». Diese Hörspiele fehlen in «hani xeit» – sie würden allein einen zweiten Band füllen.

Auch Vogts bekanntester berndeutscher Text ist ein religiöser: die Übersetzung des Unservater-Gebets. Sie lautet:  

«Das Unservater

Ins Berndeutsche übersetzt für Kurt Marti, der sagt, das kann man nicht.

Vattr
im himu
häb zu diim imitsch soorg
üüs wäärs scho rächcht wett azz ruedr chäämsch 
und alls nach diim gringng giengng
im himel obe-n-und hie bi üüs …
gib is doch zässe
u wemr öppis uuszfrässe heij
vrgiss daas
miir vrgässes ja oo wenis eine
dr letscht näärv uusziett
hör uuf nis machche zggluschschtte
nach züüg wo-n-is nume schadtt
hiuff is liebr chli –
diir gghöört ja sowisoo scho alls wos gitt 
amen.»[1]

Die Radiodiskussion zwischen Vogt und Marti

Mit der Widmung ist klar, dass Vogt diesen Text als Beitrag zu einer Diskussion verfasste, die er in Bern mit seinem Schriftstellerkollegen und Freund, dem Pfarrer Kurt Marti geführt hat. Aber worum mag es genau gegangen?

Im Rahmen der Recherchen für den Band «hani xeit» stiess ich Im Archiv von Radio SRF auf die Sendung «Montagsstudio» vom 6. November 1972. Sie ist der Frage gewidmet, ob Radiohörspiele eher im Dialekt oder in der Hochsprache inszeniert werden sollten. In der Diskussionsrunde im Studio sitzen unter anderen Marti und Vogt. Letzterer kommt kurz vor Schluss auf sein fünf Jahre zuvor entstandenes «Unservater»-Gedicht zu sprechen:

«Vogt: Werum chame zum Bischpiu z’‘Unservater’ nid uf bärndütsch übersetze?

Marti: (lacht) En alti Stritfraag zwüschen üüs, offebar. – Jä, me cha’s scho übersetze. Aber me cha’s nid inere Form übersetze – i dänke itz da eifach als Pfarrer –, wo liturgisch bruuchbar isch, zum Bischpil i däm Sinn, das mes gmeinsam chönnti bätte. Me cha’s scho nid gmeinsam bätte, will inere Chirche äbe nid nume Bärner si, sondern ou anderi. Me cha’s scho übersetze – es git e Huufe Übersetzigsmüglechkeite –, aber es git keni, wo liturgisch bruuchbar isch.

Vogt: Däm gägenüber chönnt me itz dä Satz setze – i gloub er isch vom Martin Walser –, dass alles, was me nid uf Dialäkt cha säge, offebar e chli aarüchig isch. Werum cha me itz usgrächnet das Gebät, wo immerhin – wie seit me däm – ein Eckstein i üsere chirchleche Liturgii und i üsem chirchleche, im chrischtleche Dänke isch: Werum cham das grad usgrächnet nid übersetze?

Marti: I säge ja nid, me chönn’s nid übersetze,…

Vogt:  …doch, me cha wirklech nid, i mues dr rächt gää…

Marti: …wem e sech Müehi git, chame sicher e Form finde, wo mes uf Dialäkt cha säge, aber es isch nid bruuchbar bi üüs im Gottesdienscht, liturgisch und für gmeinsams Gebätt.

Vogt: Also git’s doch Beriiche, wo me mues e Hochschpraach ha.…

Marti: …im Sakrale het me immer Kunschtschprache gha…

Vogt: …äbe. Es analogs Bischpil isch dr Übergang zur Landesschprach vom Latinisch i dr Mäss. Das isch de Mässtägschte gar nid sehr bekommen. Es git einiges, wo uf latinisch wunderschön tönt…

Marti: …ja sicher…

Vogt: …und we me das s’erscht Mal hochdütsch ghört, erschrickt me scho chli.» (Transkription: fl.)

Übrigens war Walter Vogt der Meinung, dass Fremd- und Hochsprachen die sprechende Person ein Stück weit schützen würden – und umgekehrt: «Im Dialekt gibt man sich preis.» Unter diesem Aspekt müsste das oft umgangssprachlich vorgetragene laientheologische Engagement des Schriftstellers Walter Vogt einmal genauer untersucht werden.

[1] Walter Vogt: hani xeit. Luzern (Der gesunde Menschenversand) 2018, S. 27. 

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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