Sind Bund und BZ in fünf Jahren am Ende?

 

 

Zum Journal B-Originalbeitrag.

 

Journal B: Ende Oktober hat Roger de Weck, der Generaldirektor von SRG SSR, an der Universität Bern gesagt, das Geschäftsmodell der Massenmedien funktioniere nicht mehr. Wörtlich: «Mit Journalismus kann man heute fast kein Geld mehr verdienen – die Zeitungen in der Schweiz vielleicht noch drei, vier, fünf Jahre lang, dann ist Schluss.» Ist das so?

Nick Lüthi: Ein Bonmot sagt: Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Was de Weck anspricht, ist die Tendenz, die man kennt: die Erosion des Geschäftsmodells der Zeitungen mit den beiden Standbeinen Inserate- und Lesermarkt. Die Einbrüche auf dem Werbemarkt sind tatsächlich dramatisch: Seit 2006 haben die Zeitungen in der Schweiz rund eine Milliarde Franken an Umsatz eingebüsst.

Und eine Trendwende ist nicht in Sicht?

Es sieht zwar nicht jedes Jahr gleich dramatisch aus, aber die Tendenz ist unverändert. Weiterhin zeigen alle Indikatoren nach unten. Ausser, dass es manchen Zeitungen allmählich gelingt, die Zahlen auf dem Nutzermarkt zu stabilisieren und bei den Leserzahlen sogar zuzulegen dank zusätzlicher Angebote im Digitalen. Bei den Abonnementen könnten die Rückgänge aus dem Printbereich zunehmend mit Neuabos für die digitale Version kompensiert werden.

Zudem betreiben Medienhäuser ja heute Onlineportale für Stellen, Wohnungen oder Autos. Dort wird doch viel Geld verdient?

Online-Stellenportale zum Beispiel setzten 2015 100 Millionen Franken um, gedruckte Stelleninserate gerade noch 65 Millionen. Vor zehn Jahren erwirtschafteten die Zeitungen mit Stelleninseraten noch 300 Millionen. Also fast das Doppelte der Erlöse von heute. Dazu kommt, dass diese Online-Portale selbständige Geschäftseinheiten sind und innerhalb der Medienkonzerne die Zeitungen nicht quersubventionieren.

Das Geschäftsmodell der Zeitungen ist also tatsächlich am Kollabieren.

Das ist so, aber ob in fünf, zehn oder fünfzig Jahren Schluss ist, weiss niemand. Wenn man die Aussage von Roger de Weck medienpolitisch einordnen will, ist sie natürlich auch Wasser auf die Mühle der SRG. De Weck plädiert für alternative Geschäftsmodelle, zum Beispiel für jenes des öffentlichen Radios und Fernsehens, das über Gebühren finanziert wird.

Stichwort Printmedienplatz Bern: Wie geht es den Tamedia-Zeitungen Bund und Berner Zeitung (BZ)?

Für beide werden die Renditeziele in Zürich festgelegt. Wie diese zu erreichen sind, ist Sache der Verlagschefs und Chefredaktoren vor Ort. Soweit geht es beiden gleich. Ansonsten muss man differenzieren.

Nämlich?

Nehmen wir den Bund. Er ist heute schon weitgehend eine lokale Splitausgabe des Tages-Anzeigers. Darum ist hier die Sparlogik abhängig von dessen Entscheidungen. Fragen sind zum Beispiel: Gibt es für den Bund noch engere Kooperationsmodelle? Kann der Bund noch weitergehend auf jene beiden Kernbereiche reduziert werden, die der Tages-Anzeiger nicht bieten kann – nämlich auf das Lokalressort und die Bundeshausredaktion, die heute die beiden Zeitungen gemeinsam betreiben?

Bei der Berner Zeitung ist es anders: Sie hat es geschafft, eine eigenständige, heute rund 150-köpfige Vollredaktion aufrechtzuerhalten. Ausser im kleinen Bereich der kurzen Online-Nachrichten ist die BZ innerhalb und ausserhalb des Konzerns Leistungserbringerin, nicht Leistungsempfängerin. Die Berner Redaktion liefert die Mantelressorts der Freiburger Nachrichten, des Bieler Tagblatts und des Thuner Tagblatts, sie beliefert die regionalen Splitausgaben der BZ – und seit drei Jahren liefert sie auch die Mäntel des Winterthurer Landboten, des Zürcher Oberländers, des Zürcher Unterländers und der Zürichsee-Zeitung. Dieser BZ-Verbund erreicht heute ein grösseres Publikum als der Verbund Tages-Anzeiger/Bund. 

Was in Bern wie zwei vollständige Zeitungen aussieht, ist konzernintern demnach von unterschiedlicher Bedeutung.

Allerdings. Innerhalb des Tamedia-Konzerns ist die BZ unterdessen so etwas wie der heimliche Riese. Wobei auch bei der BZ gespart wird, allerdings teilweise clever, wie ich finde. Als Sparmassnahmen werden in der Öffentlichkeit ja stets vor allem die Personalentscheide diskutiert. Und im Moment geht es bei der BZ tatsächlich um die Einsparung von 340 Stellenprozenten, was erstmals seit Jahren Entlassungen nötig macht – konkret fünf. Aber Sparrunden bestehen gewöhnlich aus einer Vielzahl von Einzelmassnahmen: Die BZ hat zum Beispiel die externen Kolumnisten abgeschafft, eine verschmerzbare Einsparung. Oder sie hat den Drucktermin der Zeitung um einige Minuten nach vorn vorverschoben, um bei der Druckerei in einem billigeren Zeitfenster drucken zu können. Ecetera.

Allerdings ist clever zu sparen eine ziemlich defensive Geschäftsstrategie.

Es wird nicht nur gespart: So hat die Berner Zeitung in den letzten Jahren stark in den Online-Bereich investiert. Heute hat er eine zehnköpfige Redaktion, in dem unter anderem auch eine Multimediaspezialistin mitarbeitet. Da läuft Spannendes. Ich denke zum Beispiel an die grosse Multimedia-Serie zur Geschichte des AKWs Mühleberg von letzthin. Recherchiert hat sie Stefan von Bergen, der langjährige Redaktor der Samstagsrubrik «Zeitpunkt». Zwar wird der «Zeitpunkt» auf Ende Jahr eingestellt; von Bergen, der weiterhin Printredaktor bleibt, hat Online ein neues, spannendes Arbeitsfeld gefunden. Ausserdem will die BZ die Hintergrundstoffe auch unter der Woche und nicht mehr nur am Samstag bringen.

Und wie läuft’s beim Bund?

Zwischen den beiden Zeitungen gibt’s mindestens zwei Unterschiede. Der eine betrifft die publizistische Ambition der Chefredaktoren: Bei der BZ versteht sich Peter Jost als Organisator, Koordinator und Ermöglicher, beim Bund erfüllt Patrick Feuz eher die traditionelle Rolle des Chefredaktors als erster Journalist am Blatt. Der andere Unterschied betrifft den Spielraum, den die Zeitungen haben: Die BZ kann über die Ressourcen einer vollständigen Redaktion verfügen, der Bund nicht. Im Moment bin ich mit Blick auf die BZ zuversichtlicher als mit Blick auf den Bund.

Gibt es beim Bund denn auch Entlassungen?

Zurzeit ist mir nichts bekannt. Aber im Zusammenhang mit den aktuellen Sparmassnahmen bei den Westschweizer Tamedia-Zeitungen wurde auch gesagt, bei Tages-Anzeiger und Bund werde bei nächster Gelegenheit wieder gespart. 

Wenn ich zusammenfasse: In der Tendenz hat Roger de Weck recht. Also wird Tamedia früher oder später in Bern einschneidende Massnahmen treffen müssen. Wird dann der Bund eingestellt? Oder werden die beiden Zeitungen fusioniert? Oder haben sie doch beide längerfristig eine Chance?

Ich bin der Meinung, dass zurzeit beide Zeitungen aus Konzernsicht Sinn machen. Sie sprechen unterschiedliche Publika an, und solange man in Bern beide Zeitungen gelesen haben muss, um komplett informiert zu sein, solange haben beide ihre Berechtigung. Das ist im Moment noch weitgehend der Fall, meine ich. Kommt dazu, dass die beiden weiterhin über die Werbung verbunden sind. Auf dem Inseratemarkt treten Bund und Berner Zeitung als Paket auf, das nur gemeinsam gebucht werden kann. Zudem sind beide Werbeträger für grosse Beilagen, haben also auch unter diesem kommerziellen Aspekt noch ihre Bedeutung.

Zum Schluss zum Medientausch-Gerücht von Anfang August. Folgender Handel sei geplant gewesen: Christoph Blocher gibt Tamedia die Basler Zeitung und kriegt dafür die Berner Zeitung und die Zürcher Regionalzeitungen. Zwar dementierten beide Seiten, aber wäre ein solcher Deal nicht möglich?

Auf dem Reissbrett sieht der Handel tatsächlich denkbar aus: Die Rechte will eigenständige Medien, die Basler Zeitung BaZ hat seit der Übernahme durch Blocher 40 Prozent der Auflage verloren. Mit den Zürcher Regionalzeitungen und der BZ, die teilweise SVP-Stammland bedienen, wäre für Blocher vielleicht mehr zu erreichen. Aber wenn ich sehe, wie stark die Stellung ist, die sich die BZ konzernintern erarbeitet hat, kann Tamedia an einem solchen Handel zurzeit kein Interesse haben. 

 

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Nick Lüthi

Nick Lüthi ist Redaktor des digitalen Medienmagazins Medienwoche. Daneben unterrichtet er Journalismus an der Schweizer Journalistenschule MAZ und an der Schule für Gestaltung Bern. Er arbeitet seit 1995 als Journalist für Print, Radio und Online und war unter anderem Chefredaktor des Medienmagazins Klartext.

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Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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