Ein ganz gewöhnlicher Handwechsel

Anonym bleiben wollten die 27 neuen Besitzer des Stauffachers in Zürich, die das Areal samt den Plänen zur Neuüberbauung vom Berner Bauunternehmer Viktor Kleinert für schätzungsweise 55 bis 60 Millionen Franken übernommen haben. Begründet wurde die Anonymität vom freisinnigen Gemeinderat Walter Knabenhans mit «Terrorismus»: «Die Verunsicherung ist schon so weit fortgeschritten, dass man es nicht wagt, die Arbeitnehmer-Pensionskassen zu nennen, welche das Stauffacher-Projekt als neue Bauträger und künftige Eigentümer übernommen haben.» (NZZ, 6.9.1983) Andererseits hat ein Parteikollege von Knabenhans, der Zürcher Stadtpräsident Thomas Wagner, anlässlich der Debatte um das Vermummungsverbot bei Demonstrationen gesagt, wer anonym bleiben wolle, habe etwas zu verbergen.

Im Spätherbst des letzten Jahres entschied sich der Besitzer des Stauffacher-Areals, Viktor Kleinert, sein «zusammengetragenes Eigentum weiterzuverkaufen» wie er heute sagt. Im Dezember des letzten Jahres wurde der Emissionsprospekt an die 150 bis 200 Kunden der Kleinert-Unternehmungen verschickt. Bereits diese nicht-öffentliche Suche nach Käufern hatte Erfolg: Der Emissionsprospekt wurde «überzeichnet», es meldeten sich zu viele Käufer. Dies zur Überraschung von Kleinert, der heute sagt, nach dem «Chlapf von Bremgarten»[1] habe er befürchtet, dass es schwierig sein würde, Käufer für den Stauffacher zu finden. Die ganze Liegenschaft sei dann an jene Käufer gegangen, die sich zuerst gemeldet hätten. Zum Preis meint Kleinert, er habe mehr oder weniger zum Originalpreis verkauft, zwar habe «eine kleine Entschädigung» herausgeschaut, aber für fünf Jahre Krampf sei sie von «untergeordneter Bedeutung» gewesen.

Die Bauherrengemeinschaft

Am 18. Januar 1983 wurden die Verträge unterzeichnet. Die 27 Parteien, die sich nun in den Besitz des Stauffachers teilen, konstituierten sich in einer einfachen Gesellschaft unter dem Namen «Bauherrengemeinschaft Geschäfts- und Wohnhaus Stauffacher». Am 16. März wurden die neuen Besitzverhältnisse verurkundet. Der Eintrag ins Grundbuch verzögerte sich bis Ende Juni, weil eine Partei wegen ihrem Teilhaber ITT mit der Lex Furgler[2] in Konflikt kam. Der geschätzte Verkaufspreis des Bodens liegt, bei einem Quadratmeterpreis von 5500 bis 6000 Franken, um die 25 bis 28 Millionen Franken. Die Baukosten werden auf 30 Millionen geschätzt. Wie sich die neuen Besitzer in diese 55 bis 60 Millionen Franken teilen, in unbekannt. Einzig die Vorsorgestiftung der Ciba-Geigy AG gab zu diesem Punkt Auskunft: Von den 100 bis 150 Millionen Franken, die sie jährlich in Immobilien investiert, hat sie 5 Millionen für das Stauffacher-Projekt verwendet.

Die Anleger

Der Stauffacher ist von Kleinert an Kunden und Freunde von Kleinert übergegangen. Verschiedene Pensionskassen haben im Telefongespräch denn auch angegeben, schon verschiedentlich zu ihrer Zufriedenheit mit den Kleinert-Unternehmungen geschäftet zu haben. Bei der Pensionskasse von Cardinal etwa meint man, Kleinerts Projekte seien «sehr gut ausgerichtet für Kassen mit Streuungen». Dementsprechend sind Beteiligungen an solchen Projekten begehrt, umso mehr, als es, wie man bei der Pensionskasse der Securitas meint, für mittlere Pensionskassen schwierig sei, «solche Projekte zu kriegen».

Herr F. zum Beispiel ist Präsident einer Pensionskasse, die jährlich 30 Millionen Franken zu investieren hat und als selbständige Abteilung der Interkantonalen Gemeinschaftsstiftung für Personalvorsorge nicht namentlich im Grundbuch in Erscheinung tritt. «Was wei mer mit däm Gäut mache?», fragt er selber. Er investiere nach der Faustregel: ein Drittel Papiere, ein Drittel Hypotheken, ein Drittel Immobilien. Bei einer Mindestrendite von 4 Prozent komme man da schon ein wenig in Sachzwänge hinein, und der Stauffacher sei halt eine «problemlose Anlage». Zum politischen Widerstand im Stauffacher meint er, man wolle mit dem Geld gewiss nichts Unrechtes machen, und es tue ihm leid, wenn es jetzt am Stauffacher Probleme gebe. Im übrigen kennt er die Sache nicht so genau: «I wott mi itz de doch e chly erkundige». Auch meint er, dass die Anleger politisch neutral seien. «Die haben doch nur ein Interesse: Ihre Gelder möglichst gut anzulegen.»

Auch persönliche Freunde von Kleinert haben am Stauffacher Geld investiert. Sein privates Geld habe zum Beispiel Robert Wyser angelegt, und wenn man es nicht glauben wolle, solle man ihn doch selber fragen, sagt Kleinert. Robert Wyser ist Präsident der Paragon Precision Products in Pacoima, Kalifornien. Die Firma ist den Kleinert-Unternehmungen angeschlossen.

Der Generalunternehmer

Am Stauffacher selber zu bauen ist für die Anleger zu teuer. Herr F. beispielsweise meint, dazu brauche es heutzutage einfach ein professionelles Management. Kleinert selber gibt an, er habe der Bauherrengemeinschaft als seinen Nachfolger die Oerlikon-Bührle Immobilien AG vorgeschlagen, weil Bührle bereits die Fernmeldekreisdirektion an der Müllerstrasse, ganz in der Nähe des Stauffachers, gebaut habe. Bührle kenne also die Baugrundverhältnisse. Dies sei wichtig, weil beim Bau von der Sihl her mit Wasser zu rechnen sei. Dazu, dass Kleinert bei seinem Vorschlag vom Zürcher freisinnigen Nationalrat und Anwalt Hans Georg Lüchinger beraten worden sei, will Lüchinger selber, indem er sich auf das Anwaltsgeheimnis beruft, nicht Stellung nehmen. Lüchinger ist unter anderem Sekretär des «Komitees sicheres Zürich», das anfangs August für die Aufklärung verschiedener Sprengstoff- und Brandanschläge 20'000 Franken ausgesetzt hat.

Da am Tor zum Aussersihl doch eher mit Widerstand als mit Wasser zu rechnen ist, könnten beim Vorschlag, Bührle als Generalunternehmer einzusetzen, vor allem auch Argumente der politischen Durchsetzbarkeit des Stauffacher-Projektes: das Bestehen eines hauseigenen Betriebsschutzes, die Unangreifbarkeit der anonymen Konzernstrukturen oder die rigoros abblockende Informationspolitik den Ausschlag gegeben haben.

Bei der Oerlikon-Bührle Immobilien AG existiert nach Auskunft des Zuständigen für das Stauffacher-Projekt, Peter Fankhauser, noch kein konkreter Zeitplan, wann die Arbeiten aufgenommen werden sollen. Dies sei noch von zu vielen Faktoren, auf die Bührle keinen Einfluss habe, abhängig. Er nennt hängige Bewilligungen und vertragliche Bereinigungen. Keine Auskunft mag er darüber geben, wer zur Zeit für ihn bei der Bauherrengemeinschaft Anlaufstelle ist. Dass zwischen Bührle und Kleinert auch betreffend Stauffacher noch Kontakte bestehen, trifft allerdings nach Fankhauser zu.

Der politische Exponent

Sicher ist, dass die Bauherrengemeinschaft sich im Augenblick darum bemüht, einen politischen Exponenten zu finden, der das Stauffacher-Projekt in der Öffentlichkeit vertreten soll. Für diese heikle Aufgabe sind im Moment zwei Namen im Gespräch: Einerseits Hans Georg Lüchinger, der, zu diesem Punkt befragt, die WoZ strikt an den Generalunternehmer Bührle verweist, andererseits der Berner SVP-alt-Nationalrat und Präsident einer Pensionskasse, die am Stauffacher investiert, Erwin Freiburghaus, der am Telefon allerdings sagt: «Ich weiss nichts davon.» Zu den beiden Namen Lüchinger und Freiburghaus meint Fankhauser von der Oerlikon-Bührle Immobilien AG lakonisch, er habe diese beiden Namen auch schon gehört. Im Augenblick ist also offen, wer die Bauherrengemeinschaft an jener Pressekonferenz vertreten wird, die sie selber Mitte November zum Stauffacher-Projekt durchführen will.

[1] Gemeint ist ein Sprengstoffanschlag auf das Schloss Bremgarten bei Bern, wo Viktor Kleinert (1913-1990), Besitzer der Immobilienfirma «Viktor Kleinert Gruppe», lebte.

[2] Eine unter Bundesrat Kurt Furgler eingeführte gesetzliche Beschränkung der Erwerbsmöglichkeiten von Schweizer Liegenschaften durch AusländerInnen, später: Lex Friedrich; noch später: Lex Koller.

Meinem Bericht war ein Kasten mit der Liste der «27 Bauherren» und ein zweiter mit einer Stellungnahme der «Gruppe Stauffacher» beigegeben. Das Areal wurde später besetzt: «1984 wurde ein grösseres Haus am ‘Tor zu Aussersihl’ besetzt, an dem Ort, der in Zürich kurz ‘der Stauffacher’ genannt wird. Nach anderthalb Jahren wurde die Liegenschaft polizeilich geräumt, um danach jahrelang leer zu stehen, bis 1990 der Abbruch erfolgte. Während dieser Zeit war der Stauffacher Zankapfel in einem facettenreichen Streit zwischen Behörden und Besitzern auf der einen Seite und den WohnaktivistInnen auf der anderen. Gleichzeitig wurde er zur Projektionsfläche für Sozialutopien und Wohnträume […] Die Idee eines Zürcher Karthagos tauchte 1985 unter den ehemaligen Besetzern des Stauffachers auf. Auf Anregung des Schriftstellers p. m. hin begannen sie sich für die Idee eines Grosshaushaltes zu begeistern. Es war auch p. m., Autor der Stadt- und Sozialutopie ‘bolo’bolo’, der den Namen Karthago einbrachte. […] Im September 1991 wurde die Genossenschaft Karthago gegründet.» (http://www.karthago.ch/about_us/history)

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