Literatur aus der Enge

Nicht selten verknurrt «Der Bund», die Zeitung des bernischen Bildungsbürgertums, in den späten Sechzigerjahren einen Journalisten zum Abenddienst, wenn im Diskussionskeller an der Junkerngasse 37 wieder einer dieser Nonkonformisten das grosse Wort zu führen ankündigt. Nicht so am 19. Dezember 1969, als der junge Soziologe Walter Hollstein aus Basel anreist, um in der «Junkere 37» über «Fragen der Gegen-Gesellschaft» zu sprechen.]1] Aber wen interessiert schon eine «Gegen-Gesellschaft»? In Bern gibt es die Gesellschaft und die Waldau. Und Hollsteins Ausführungen zur Soziologie jugendlicher Protestbewegungen samt seiner These, diese Bewegungen hätten die Arbeiterklasse als revolutionäre Vorhut abgelöst, ihr Nahziel sei eine «Gegen-Gesellschaft» mit «Gegen-Geschäften» und «Gegen-Kultur», längerfristig aber gehe es ihnen um eine libertär organisierte Gesellschaft – eine solche These gehört sicher nicht nach Bern.

Das «Bund»-Feuilleton hat in diesen Tagen sowieso andere Sorgen. Am 21. Dezember lässt der Gemeinderat bekannt geben, auf Antrag seiner literarischen Kommission gleich drei jungen Aufmüpfigen Literaturpreise verleihen zu wollen: dem strubbelköpfigen Jörg Steiner für sein bisheriges Werk, das «einen Beitrag zum Verständnis unserer Zeit und unserer Eigenart» leiste; dem stadtbekannten Sozi Peter Lehner für seine ungereimte Lyrik («ein bisschen miss im kredit», 1967) – und dem neuen Rechtskonsulenten der Stadtverwaltung, Doktor Hans Peter «Mani» Matter, für seine Chansons («Us emene lääre Gigechaschte», 1969), die er jeweils nach Feierabend als einer der sechs «Berner Troubadours» in den Kellertheatern der Altstadt zur Gitarre zum Besten gibt.

Und wie wenn das noch nicht genug wäre, veröffentlicht in dieser «Bund»-Ausgabe ein vierter dieser Querköpfe, Ernst Eggimann, eine heillose Kolumne: Jesus, behauptet er, sei ein «verschrobener Sektengründer» gewesen, der schliesslich als «lächerlicher Schwärmer» am Kreuz gehangen habe, bevor die Christenheit in seinem Namen «beinahe die ganze Welt» erobert und die «Heidenvölker» versklavt oder gleich gänzlich ausgerottet habe: «Armer Jesus, bist du nicht nur in deinem Leben gescheitert, sondern auch in der Geschichte? Hoffnungslos verlorener Utopist, Messias einer Welt, an die kaum einer geglaubt hat…»

Und das direkt vor Weihnachten! Zum Glück für Berns bildungsbürgerliche Seele schaltet an diesem Tag die Genfer Firma SOFID SA im «Bund» eine ganzseitige Reklame: «Wo heute noch Gras wächst, kann schon morgen Ihr Kapital wachsen.» Doch, es gibt auch noch geschliffene Spracharbeit, die Hand und Fuss hat.[2]

Literarische Ambition statt kulturelle Enge

In diesen Wochen sitzt der Kunstgeschichtler Paul Nizon, aufgewachsen in der Länggasse, ab 1961 leitender Kunstkritiker der NZZ, seit einigen Jahren immer ausschliesslicher freier Autor, über einem grossen Essay, den er «Diskurs in der Enge» nennt und später als «eine Temperamentsnote und Streitschrift oder, anders, eine Gelegenheitsarbeit» bezeichnen wird.[3]

Im diesem «Diskurs» polemisiert er gegen die «schweizerische Enge unter kulturellem Gesichtspunkt». Er stellt der Schweiz die europäischen Kunstmetropolen – insbesondere Paris – gegenüber, die er als «geistige Heimat des Fortschritts» idealisiert. Diese Metropolen hätten insbesondere die Internationale jener Leute stets «diktatorisch» angezogen, «die gewillt waren, ‘am Puls der Zeit’ zu leben». Dagegen sei «das künstlerische Leben […] in der Schweiz zu einem guten Teil eine lokale Angelegenheit, […] weshalb die kühneren Künstler seit je auswandern.» Zu den «Grundbedingungen des Schweizer Künstlers» gehöre «die ‘Enge’ und was sie bewirkt: die Flucht». Was die moderne erzählende Literatur betrifft, konstatiert er einen «Stoffmangel», der zum «Phänomen der Weltanleihe» führe, was «besonders deutlich am Fluchtmotiv» werde, «das sich durch unsere Literatur durchzieht»: «In unserer Literatur reissen die Helden aus, um Leben unter die Füsse zu bekommen – wie in Wirklichkeit die Schriftsteller ins Ausland fliehen, um erst einmal zu leben, um Stoff zu erleben.» Für Nizon ist es so: «Handlung ergibt sich für den Menschen ja nur, wenn er sich in einer Lebenspotentialität fühlt; wenn er sich echten Möglichkeiten der Wahl und Entscheidung ausgesetzt sieht, wenn er sich inmitten eines Kräftefeldes aus sich bekämpfenden geistigen Antinomien weiss: im offenen Feld – der Zeit.»[4]

Gegen diese diagnostizierte raumzeitliche Enge wählt Nizon als Autor seinen «Weg ins Offene» via Rom, Barcelona und London nach Paris, wo er sich 1977 als bald einmal international bedeutender Suhrkamp-Autor niederlässt.[5]

Nizons Abrechnung mit der kulturellen Enge der Schweiz erscheint im Frühling 1970 im Berner Kandelaber-Verlag von Egon Ammann. Sie wird nicht zuletzt als eine etwas selbstverliebte Absage an das Banausentum jener Provinz gelesen und diskutiert, aus der Nizon selber stammt.

Kulturpolitische Ambition statt literarischer Enge

Die Zeichen stehen damals in Bern allerdings nicht auf Flucht aus der Provinz, sondern auf streitbarer kulturpolitischer Einmischung. Im September 1969 hat der Bundesrat in jede Haushaltung ein Taschenbuch mit dem Titel «Zivilverteidigung» verteilen lassen, eine Propagandaschrift zur Stärkung der antikommunistischen Widerstandskraft im Land. Der Waadtländer Schriftsteller und Journalist Franck Jotterand macht sich die Mühe, die deutsche Originalversion mit der französischen Übersetzung zu vergleichen und stellt nicht nur fest, dass in der Übersetzung «die antikommunistische Tendenz und die Diskriminierung der Linksintellektuellen als ‘Landesverräter’ noch deutlicher» hervor gehoben worden ist, sondern auch, dass für die Übersetzung ausgerechnet Maurice Zermatten verantwortlich zeichnet, der Präsident des Schweizerischen Schriftsteller-Vereins (SSV).[6]

Jotterand kontaktiert zwei seiner Deutschschweizer SSV-Kollegen, Kurt Marti und Jörg Steiner, und schlägt ihnen vor, als Protest gegen Zermatten einen Kollektivaustritt aus dem SSV zu organisieren. Drei Tage vor der ordentlichen Generalversammlung des Vereins erscheint am 24. Mai 1970 in der NZZ eine von 22 Autoren (keine Autorinnen) unterzeichnete Protest- und Austrittserklärung. Neben Marti und Steiner finden sich aus dem Umfeld der Berner Literaturszene die Namen von Friedrich Dürrenmatt, Ernst Eggimann, Peter Lehner und Walter Vogt.[7]

Nach mehreren Treffen in Olten und zwei Generalversammlungen am 25. April 1971 in Biel und am 13. Juni 1971 in Neuenburg gründen diese SSV-Dissidenten die «Gruppe Olten» (GO). Massgeblichen Anteil daran hat Mani Matter, dem es gelingt, mehrheitsfähige Vereinsstatuten zu formulieren. Zum Sekretär der neuen Organisation wird der Berner Schriftsteller Hans Mühlethaler gewählt; als Vereinspräsidenten amten in den ersten Jahren unter anderen Peter Lehner (1974) und Walter Vogt (1976). Die gesellschaftspolitische Ambition der GO ist (zumindest rhetorisch) weitreichend. An einer ausserordentlichen Generalversammlung in Bern ergänzen die Vereinsmitglieder am 7. September 1974 den statutarischen Zweckartikel der GO um den Satz: «Ihr Ziel ist eine demokratische sozialistische Gesellschaft.»[8]

Bewährte Literatur statt neomarxistischer Ideen

Neben dem SSV gibt es in Bern seit 1941 den eigenständigen Berner Schriftsteller-Verein (BSV), wobei Doppelmitgliedschaften üblich sind. Nach der Historikerin Madeleine Burri ist der BSV vor allem deshalb als selbständiger Verein (und nicht als Sektion des SSV) konstituiert worden, um «das ‘Berner Schrifttum’ und seine Vertreter selber definieren» zu können. Erster Zweck dieses Vereins bleibt denn auch stets die «Förderung des heimischen Schrifttums».[9]

1969 wechselt das BSV-Präsidium von Erwin Heimann zu Paul Eggenberg, der im Rückblick festhält, es habe seit Mitte der sechziger Jahre im Verein ein zunehmendes Generationenproblem gegeben: «Neomarxistische Ideen, besonders vehement von intellektuellen Kollegen vertreten, wirkten zum Teil provokativ und verschärften die Spaltungserscheinungen. […] Unter den Nonkonformisten und den sogenannten Engagierten gab es Leute, die hemmungs- und bedenkenlos alles in Frage stellten, was bis dahin als Norm und als Massstab Gültigkeit gehabt hat. Und das sowohl in politischer und gesellschaftlicher als auch in literarischer Richtung.»

Weil es nach der SSV-Spaltung im BSV «Mitglieder beider Gruppierungen gegeben habe» sei dem Verein ab und zu «ungesucht eine neue Mittlerrolle» zugefallen. Aber alles in allem sei es so gewesen: «Exodus der ‘Gruppe Olten’ – der BSV ist nicht betroffen».[10] Dieser Einschätzung pflichtet Burri bei: «Der Verein schien sich eher als Beobachter des Geschehens denn als Beteiligter zu betrachten.» Immerhin vermerkt das Protokoll der Generalversammlung von 1971, das «Gruppe Olten»-Mitglied Walter Vogt sei aus dem BSV ausgetreten, «da er nicht beiden Organisationen angehören möchte.»[11] Andere Gründungsmitglieder der GO sind aber auch knapp zwanzig Jahre später noch Mitglieder des BSV, insbesondere Eggimann und Marti.[12]

Freilich besteht die Literaturszene in Bern Anfang der Siebzigerjahre nicht nur aus verbandspolitischen Auseinandersetzungen und Nizons apodiktischem Nein zur Literarizität der Provinz. Zwar hatte man im Herbst 1968 in Deutschland den «Tod der Literatur» diskutiert, verstanden worden ist dieses Diktum aber, wie überall, auch in Bern nicht als Aufforderung zur rein propagandistischen Publizistik oder zum Verstummen, sondern als Aufforderung, die Literatur zu erneuern oder gar neu zu erfinden.

Die Neuentdeckung der eigenen Sprache

Bereits seit Mitte der Sechzigerjahre wird der eigene Dialekt, das Berndeutsche, gegen die ideologische Vereinnahmung durch konservative Folklore und Geistige Landesverteidigung als vollwertige literarische Sprache neu entdeckt. Am 22. Mai 1967 etwa findet im «theater am zytglogge» unter dem Titel «modern mundart. Ein Experiment» eine Lesung mit Ernst Eggimann, Sergius Golowin, Peter Lehner, Kurt Marti, Walter Vogt und Gertrud Wilker statt[13]; im Herbst erscheint Martis epochemachendes Bändchen «rosa loui. vierzg gedicht ir bärner umgangsschprach»; im Dezember bietet das «apero», Berns «politerarisches Aperiodikum», unter dem Titel «modern mundart» eine Anthologie von berndeutschen Texten im neuen Ton.

Literarisch bedeutende Erscheinungen sind in diesen Jahren Eggimanns Gedichtbände «Henusode» (1968) und «Heikermänt» (1971) oder Ernst Burrens erste Bücher «Derfür und derwider» (1970) und «Scho wider Sunntig» (1971). 1973 gibt Marti mit «Undereinisch» seinen zweiten und gleichzeitig letzten Lyrikband in der Umgangssprache heraus, weil ihm die unterdessen zur Mode gewordene Mundartwelle suspekt wird. Nicht nur die Literaten, sondern auch die Liedermacher entwickeln die strophische, rhythmisch geverste Dialektsprache weiter: neben den «Berner Troubadours» um Mani Matter gibt es unterdessen die «Berner Trouvères» und die «Berner Chansonniers» und im Bereich der Rockmusik insbesondere Polo Hofer mit seiner Band «Rumpelstilz» (ab 1971).

Ende der Siebzigerjahre meldet sich dann mit Martin Frank die Stimme einer neuen Generation zu Wort: «ter fögi ische souhung»[14] erzählt die Liebesgeschichte des Roadies Benjamin mit Fögi, dem Leadsänger der Rockband Minks. Dieser Roman ist sowohl inhaltlich wie formal ein Text jenseits des Horizonts der Dialektpublizistik zehn Jahre zuvor.

Walter Vogt: Jede Kunst ist schizophren

Im Bereich der hochdeutschen Literatur, in der bisher gereimte Verse und auktorial erzählte Fiktion dominierte, wird um 1970 in verschiedene Richtungen experimentiert. Neu erscheinende Bücher behaupten, Literatur könne auch eine Rede, ein lyrisches Underground-Palimpsest oder ein politisches Tagebuch sein.

1971 veröffentlicht Walter Vogt vier Reden, deren eine, «Schizophrenie der Kunst», dem Bändchen den Titel gibt. Diese Rede hat er am 28. September 1969 am VI. Internationalen Kolloquium der Société Internationale de la Psychopathologie de l’Expression in Linz gehalten, und dieser Text sei, wie er in einer Nachbemerkung ironisch schreibt, «der einzige hochwissenschaftliche Vortrag», den es von ihm bisher gebe.[15]

Wie eine Rede liest sich der Text freilich nicht, sondern eher wie ein mäandernder Essay, der den Raum zwischen den Phänomenen der realen Welt (significatum) und den Phänomenen der Zeichen, die sie bedeuten (significans) ergründet. Seine These: «In der Leere zwischen Significans und Significatum lebt nicht bloss die ‘Sprache’, sondern in einer unerhörten Weise erst recht das, was man Dichtung nennt, und der Wahn.» Er führt das Adjektiv «metapsychotisch» ein, um zu signalisieren, dass Wahn und Kunst im gleichen Raum wurzeln: «Auf die Frage, warum der eine Dichtung produziert, der andere Musik, der dritte Schizophrenie, darauf gibt es bekanntlich keine Antwort.» Darum sei es so, dass eine Zivilisation, die «die Auseinandersetzung mit dem Wahn nicht mehr in der Freiheit» ermögliche, «mit dem Wahn auch die Kunst» sequestriere (also: wegschliesse).[16]

Unter Bezugnahme auf die (Anti-)Psychiater Ronald D. Laing und Leo Navratil und den Philosophen Michel Foucault führt Vogt eine Diskussion weiter, die in Bern Harald Szeemann mit der Ausstellung «Bildnerei der Geisteskranken» in der Kunsthalle bereits 1963 angestossen hat. Zeigte Szeemann damals, dass Menschen mit psychiatrischer Diagnose zu voll gültiger Kunst fähig sind, radikalisiert Vogt diesen Gedanken am Schluss seines Vortrags so: «Gibt es also so etwas wie eine Schizophrenie der Kunst? Es gibt nichts anderes.» Ein Jahr später, 1972, wird Szeemann als Kurator der «documenta 5» in Kassel Adolf Wölfli, Waldau-Insasse zwischen 1895 und 1930, als Künstler international bekannt machen.

Peter Lehner: Politische Lyrik und Zerzählungen

Im Oktober 1971 erscheint Peter Lehners neue Lyriksammlung unter dem Titel «sakralitäten-blätterbuch»[17], die später so beschrieben worden ist: «Eine Art ‘Gesamtkunstwerk’ aus Wortmaterial, Photographien, Zeitungsausschnitten, Comicstrips, Reklamebildern, Schalt- und Bauplänen u. a. m. Über diese heterogenen Objekte aus der Alltagswelt sind Lehners Texte verstreut, sodass ein collagiertes Palimpsest entsteht.»[18] Thematisch umkreisen die Texte die christliche Religion als gesellschaftspolitische Bigotterie: «der papst bringt aus / was gott eingibt / was gott einbringt / gibt der papst aus».

Die lyrischen Texte Peter Lehners fokussieren immer wieder die politische Aussage, oft aphoristisch kurz, sentenzenhaft und wenn nötig kalauernd. Inhaltlich ist er Sozialkritiker und radikaler Antimilitarist. Seine Verachtung für die militärische Seelsorge formuliert er so: «Bergprediger / heruntergekommen / ins Flachland / Feldprediger». Und die Langmut, mit dem die Öffentlichkeit der Entwicklung der Wasserstoffbombe zuschaut, so:

«bim
bam bim
bam bim bam
pum»[19]

Einflüsse jener «Konkreten Poesie» sind deutlich, die zwanzig Jahre vorher nicht zuletzt in Bern postuliert worden ist. In der ersten Ausgabe der kunstgeschichtlich bedeutenden Zeitschrift «spirale» veröffentlicht Eugen Gomringer Anfang 1953 die ersten Beispiele konkreter Lyrik. Später lebt mit Claus Bremer, dem Chefdramaturgen am Berner Stadttheater zwischen 1960 und 1962, ein anderer bedeutender konkreter Lyriker in Bern. Am 26. Mai 1966 und am 27. Februar 1968 finden in der Kunsthalle zwei bedeutende «Aktionsabende» statt mit den Untertiteln «Konkrete Poesie, Sound Poetry, Artikulationen» respektive «konkrete poesie in tonband, lichtbild und lesung». Diese Entwicklung hat Lehner mitverfolgt und sich davon inspirieren lassen.

Als Prosaist erfindet er mit der «Zerzählung» zudem eine Form, die im Sinn einer Spielanordnung den hypothetischen Status des Geschilderten betont, etwa mit verschiedenen Textanfängen oder Leseeinstiegen für Leute mit besonderen Interessen. Vielleicht gerade, weil er Anfang der Sechzigerjahre eine Zeit lang als Werbetexter gearbeitet hat, setzt Lehner sich intensiv mit den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Erkennens, mit Manipulation, Täuschung und Ent-Täuschung auseinander. Die Zerzählung ist für ihn die Form, «die diese Verschlungenheit und Offenheit des Wahrheitsproblems in den literarischen Gestaltungsprozess selbst aufnimmt».[20]

Kurt Martis nicht literarisiertes politisches Tagebuch

In der Zeittafel eines Materialienbandes über Kurt Marti steht unter 1972: «Die Berufung Kurt Martis auf den vakanten Lehrstuhl für Homiletik (zunächst als Lehrbeauftragter) wird vom Berner Regierungsrat hintertrieben, da man Marti als pastoral verkappten Marxisten sieht.»[21] Dass man diese Geschichte aus Martis Sicht bis heute mitverfolgen kann, kommt daher, dass er am 24. März 1972 einen Telefonanruf erhält und danach aufschreibt: «[…] Einfall: notier dir mal, was du an Mikropolitik erfährst, beobachtest. Tagebuch also, thematisch beschränkt, zeitlich befristet, nicht literarisiert, eine Art Protokoll: für mich, für andere.» Daraus ist das Buch «Zum Beispiel Bern 1972» geworden, in dem verschiedene Einträge die Auseinandersetzung um den Lehrstuhl für Homiletik (Predigtlehre) spiegeln.[22]

Die Notate machen klar, dass Marti zwar ein kritischer Geist, also für damalige Verhältnisse sicher ein «Linker» ist, aber ein parteipolitisch ungebundener. Linke seien solche, schreibt er selber, deren Ziele darauf hinauslaufen, «die Volkssouveränität zu erweitern»: «Insbesondere für unseren Staat, dessen Verfassung das Volk ‘Souverän’ nennt […], scheint mir diese Definition hilfreich zu sein.» Für den Berner Regierungsrat, der für Lehrstuhlbesetzungen zuständig ist, ist eine solche Position allerdings bereits zu links. Er will den Kandidaten aus politischen Gründen ablehnen, ohne die Ablehnung politisch begründen zu müssen, weil Marti als geschätzter Pfarrer der Nydegg-Kirchgemeinde und seit «rosa loui» als Schriftsteller weit herum fast schon populär ist.

Als die zuständigen beiden Regierungsräte, notiert Marti, von einer Delegation der theologischen Fakultät nach den Ablehnungsgründen gefragt werden, stellen sie sich auf den Standpunkt, «die Regierung sei nicht verpflichtet, personelle Entscheide zu begründen». Marti vergleicht diesen Fall mit der Ablehnung der Habilitation des erklärtermassen marxistischen Philosophen Hans Heinz Holz 1970 und stellt fest, im Vergleich zu Holz sei er «beinahe schon wieder ‘rechts’! Doch für rechte Rechte scheint alles, was nicht so rechts ist, totaliter aliter [vollkommen anders, fl.] und also linksextrem zu sein.» Marti schliesst: «Faktisch scheint die Freiheit der Lehre nicht mehr gewährleistet und die einseitige Politisierung der Universität, mindestens was den Lehrkörper betrifft, insgeheim beschlossene Sache zu sein, mit Betonung auf dem Wörtlein ‘insgeheim’.»

Formal ist Martis einleitender Hinweis interessant, er verfasse ein Tagebuch, das «nicht literarisiert» werden solle. «Literarisieren» versteht er demnach als die Tätigkeit, die einen bereits bestehenden Text, zum Beispiel eben seine Tagebucheinträge, zu «Literatur» machen würden. An dieser Stelle unterläuft Marti vermutlich eine Reverenz an den vorherrschenden Literaturbegriff, der demnach besagt, «Literatur» herzustellen sei grundsätzlich ein formaler Vorgang. «Literatur» kann erst das sein, was über das Gesagte hinaus als kunsthandwerklich herausragend gedrechselte Schönschreib-Leistung anerkannt wird. Eher wohl diese Idee von Literatur als der «Stoffmangel», den Nizon diagnostiziert, zeugt von der Provinzialität vieler damaliger literarischer Texte, die in Bern entstehen: Nicht selten ist jede in Bern entstehende hochdeutsche Zeile unterfuttert mit dem Minderwertigkeitskomplex gegenüber der richtigen deutschen Literatur.

Die «Zytglogge Zytig» wird zum Brennpunkt

Als Treffpunkte der Berner Literaturszene der Siebzigerjahre gibt es die Altstadtbeizen, insbesondere die «Schwarze Tinte» und das «Commerce», und es gibt die Kellertheater. Aber einen zentralen Treffpunkt hat sie nicht. Dafür gelingt es dem 1965 von Hugo Ramseyer und Rolf Attenhofer gegründeten Zytglogge Verlag ab 1972 mit der «Schwarzen Reihe» und der «Zytglogge-Test»-Reihe, und ab 1975 mit der «Zytglogge-Zytig», eine repräsentative Zahl von Berns Schreibenden um sich zu scharen.

Laut Ramseyer hat die «Zytglogge-Test»-Reihe insbesondere experimentelle Texte dokumentiert – Prosa, Theaterstücke, Hörspiele –, die im Heftformat gedruckt worden sind. Insgesamt erscheinen 16 dieser Hefte, davon allein 1972 neun. Als Autoren (keine Autorin) treten auf: Kurt Hutterli, Peter J. Betts, Sam Jaun, Paul Michael Meyer, Kurt Häberli, Walter Vogt, Rolf Geissbühler, Kurt Marti, Franz Hohler, Kaspar Fischer, Ernst Burren, Hans Raaflaub, Beat Weber und Franz Josef Bogner. Die «Schwarze Reihe» dagegen wird im broschierten Buchformat gedruckt und versammelt «die literarisch gewichtigeren Texte», so Ramseyer. In dieser Reihe finden sich etwa Ernst Burrens «Um jede Priis», Rolf Geissbühlers «Blumengedicht», Sam Janus «Texte aus der Provinz», Kurt Martis «Paraburi», Gerhard Meiers «Einige Häuser nebenan» oder Jürg Schubigers Erstling «Die vorgezeigten Dinge».[23]

1975 macht der junge Journalist Hans-Rudolf Lehmann, der später als Romancier unter dem Pseudonym Lukas Hartmann bekannt wird, einen Vorschlag: Zum zehnjährigen Bestehen solle der Zytglogge Verlag ein Periodikum lancieren – «gemacht von Leuten, die von Kultur nicht nur reden, sondern sie mitgestalten wollen», wie Ramseyer und Attenhofer bald darauf im Editorial der «Zytglogge Zytig» Nummer 1 vom September 1975 schreiben. Die Redaktion der Monatszeitung übernehmen Martin Hauzenberger für den Veranstaltungskalender und Lehmann für den redaktionellen Teil, für den er jeweils zu einem bestimmten Thema existierende Texte zusammensucht und neue in Auftrag gibt. Das erste Thema lautet «Fremdsein in der Schweiz», und Lehmann hält in seinem Leitartikel jenen, die von «Nestbeschmutzern» wie Bichsel, Meienberg und Frisch nichts wissen wollen, entgegen: «Gibt es etwas Dümmeres als die Forderung nach konstruktiver Kritik?» Und: «Schweizer Autoren schreiben – jeder auf seine Weise – in der Schweiz über die Schweiz. Sie schreiben also auch über mich. Kann ich es mir leisten, nicht hinzuhören?»

Die Zytglogge Zytig stösst auch bei den Schreibenden auf Interesse. Den zweiten Leitartikel schreibt Vogt über «Randexistenzen, Randfiguren und Randgruppen», den dritten Ernst Burren als Monolog eines antikommunistischen Majors und Sekundarlehrers, der aus der «Sauordnung» die im Land überall herrsche, schliesst, dass es nächstens einen Krieg geben müsse: «Nachher erst geht es wieder obsi, erst nachher.» Passend dazu bringt die nächste Ausgabe das Gedicht «Föhnnähe» von Kurt Hutterli: «An Föhntagen / stehen in Bern / die Berge / knapp hinter dem Bundeshaus / und die Russen / schon fast vor der Tür.» In der Nummer 6 vom Februar 1976 befasst sich der in Niederbipp lebende Gerhard Meier mit dem Begriff «Provinz». Bevor er sein Haus und einen Gang über den Friedhof beschreibt, hält er fest, dass man unter Provinz «vielleicht auch Heimat […], Behaustheit schlechthin» verstehen könne. Und, ohne ihn zu erwähnen, antwortet er Nizon so: «Sehen wir von der Provinz als sehr engem Sprachraum ab, so hat die Provinz für mich nichts Beengendes an sich. Im Gegenteil. Ich glaube, dass Robert Walser so gross werden konnte, weil er aus scheinbar so kleinen Verhältnissen herkam.»

In der gleichen Ausgabe führt Lehmann ein Interview mit dem freisinnigen Alt-Gemeinderat Gerhart Schürch, der als Präsident der sechs kulturfördernden Kommissionen der Stadt Bern auf die Frage, warum interessante Kultur nicht selten «gegen den Widerstand des offiziellen Bern» entstehe, mit der bedenkenswerten Sentenz antwortet: «Das ist das ewige Grundthema: Soll man überhaupt dem Künstler das Leben erleichtern? Nein, man muss es ihm – überspitzt ausgedrückt – erschweren, damit etwas aus ihm wird – nur nicht so, dass er daran zugrunde geht. Das ist alles eine Frage des richtigen Masses.»

Frauenstimmen in der Berner Literatenszene

Am 7. Februar 1971 nehmen die Schweizer Männer an der Urne das Frauenstimmrecht doch noch an. Trotzdem bleibt die veröffentlichte Literatur in Bern in den nächsten Jahren weitgehend Männerliteratur. Der erste von einer Frau gezeichnete Beitrag in der «Zyglogge Zytig» findet sich in der Nummer 3: Die Medizinhistorikerin Esther Fischer-Homberger schreibt über das von ihr verfasste und von ihrem Ehemann Kaspar Fischer illustrierte Buch mit Sagen und Heldengeschichten.[24] Die Nummer 9 bietet dann eine Leseprobe aus Maja Beutlers Erstling.[25] Und die Nummer 21 vom September 1977 ist dem Schwerpunktthema «Fristenlösung» gewidmet, eine veritable Frauennummer mit Beiträgen von Maja Beutler, Erika Burkhart, Jacqueline Crevoisier, Oriana Fallaci, Agathe Keller, Monique Laederach und Erica Pedretti. Von diesen Autorinnen sind allerdings nur Beutler und Keller zur Berner Szene zu zählen. Daneben lebt bei Bern die Autorin Gertrud Wilker, die in den Siebzigerjahren regelmässig publiziert, zum Beispiel die Romane «Altläger bei kleinem Feuer» (1971), «Jota» (1973) oder die Sammlung «Blick auf meinesgleichen. 28 Frauengeschichten» (1979).

Das mit Abstand erfolgreichste literarische Buch, dass in den Siebzigerjahren von jemandem mit Berner Wurzeln geschrieben wird, stammt aber von einer Frau. 1975 erscheint im Münchner Verlag Frauenoffensive Verena Stefans «Häutungen. Autobiografische Aufzeichnungen, Gedichte, Träume, Analysen». Geschrieben hat sie den Text in Berlin, wo sie seit 1968 eine Krankengymnastikausbildung absolviert. Die Geschichte zeichnet den Emanzipationsprozess einer Frau nach von der unterdrückten heterosexuellen zur befreiten lesbischen Sexualität – entlang des zentralen Satzes: «liebe ist eine tausendfache verwechslung von begehrtsein und vergewaltigt werden.» «Häutungen» gilt heute als der erste deutschsprachige literarische Text der neuen Frauenbewegung und ist mit rund einer halben Million verkaufter Exemplare das meistgelesene Buch der so genannten «Frauenliteratur» geblieben. In einem Interview hat Stefan 2008 festgehalten, für sie sei der Text «ein literarisches Experiment» gewesen. In der Rezeption sei er allerdings nicht nur auf «euphorische Zustimmung», sondern auch auf Kritik gestossen: «Häutungen», habe man gesagt, sei «keine Literatur»: «Das ist ein Bekenntnis, ein besseres Tagebuch.»[26] Zu wenig «literarisiert» demnach. Was aber offenbar eine halbe Million Lesende nicht gestört hat.

Der Zufall, in Bern zu leben und zu schreiben

Neben dem Brennpunkt der Zytglogge-Zytigs-Redaktion und der Geselligkeit, die die Altstadtbeizen, die Kellertheater oder die Treffen des Berner Schriftsteller-Vereins geboten haben mögen, steht der Begriff «Berner Literaturszene» in den Siebzigerjahren aber auch für den schlichten Zufall, wie andere auch hier und nicht anderswo der schriftstellerischen Arbeit nachzugehen.

Guido Bachmann zum Beispiel: Er macht in den Sechzigerjahren als junges Genie Bern unsicher und soll einmal auf das Jüngste Gericht des Münsterportals eine Beretta-Pistole leer gefeuert haben, bevor er 1967 mit seinem Romanerstling «Gilgamesch» den Burgdorfer Literaturskandal auslöst.[27] In den Siebzigerjahren baut er «Gilgamesch» zur Romantrilogie aus, tut das aber seit 1972 in Basel («Die Parabel», 1978; «Echnaton», 1982).

Oder Christoph Geiser: Sein Weg kreuzt sich mit jenem Bachmanns. Auch um sich von seinem Elternhaus zu emanzipieren, zieht er 1978 von Basel nach Bern, bleibt aber mit seiner literarischen Arbeit, die er von nun an als freier Schriftsteller betreibt, noch längere Zeit in der Aufarbeitung seiner traumatisierenden Basler Familiengeschichte vertieft («Grünsee», 1978; «Brachland», 1980).

Oder Rolf Geissbühler. Er veröffentlicht 1969 mit «Äpfel, Birnen und Lattich» seinen ersten Prosaband und macht sich in den folgenden zwanzig Jahren daran, als postmoderner Literat unter lauter solchen, die sich um den Anschluss an die literarische Moderne bemühen, «der Sprache den Sinn auszutreiben», wie es 2011 im «Bund»-Nachruf auf ihn heissen wird.[28]

Dann ist da Gerhard Meier, dessen Werk aus heutiger Sicht eine der literarischen Trouvaillen ist, der der Zytglogge Verlag und sein verdienstvoller Lektor Willi Schmid zu öffentlicher Resonanz verhilft. Nachdem Meier seit Mitte der Sechzigerjahre in verschiedenen Verlagen Gedichte veröffentlicht hat, wagt er sich nun bei Zytglogge zuerst an kurze Prosastücke und danach in rascher Folge an sein Romanwerk («Der Besuch», 1976; «Der schnurgerade Kanal», 1977; «Toteninsel», 1979). Allerdings ist Meier eher in der Reihe der «Jurasüdfuss»-Literaten Bichsel, Burren, Steiner und Otto F. Walter aufzuzählen, als in jener der bernischen.

Oder Walther Kauer, Berns «Romancier mit den meisten Biografien»[29], der 1974 seinen ersten Roman, «Schachteltraum», hinter dem Eisernen Vorhang, im Ostberliner Verlag Volk und Welt, herausgibt und dann im Zürcher Benziger-Verlag weitere Romane publiziert («Spätholz», 1976; «Abseitsfalle», 1977; «Tellereisen», 1979).

Und nicht zuletzt René E. Mueller, in dessen Biografie die Siebzigerjahre zwar als «spanisches Jahrzehnt» gelten, der aber 1976 im Berner Mantram-Verlag den «Anti-Roman» «Engel der Strasse» veröffentlicht. Bei der Rezensierung dieses Verschnitts von autobiografischen Episoden eines Gammlerpoeten hat der Publizist Alfred A. Häsler Mueller so charakterisiert: «Wahrscheinlich kein Kerouac, kein Ginsberg, kein Jack London. Aber doch ihr helvetischer Kumpan, unstet, listig, lustig, liebes- und lebenstüchtig bis zur Selbstzerstörung.»[30] Mueller lebt damals vor allem auf Formentera und der finanziell erfolgreichste Teil seines schriftstellerischen Werks ist zweifellos ein Zweizeiler, der selten fehlt, wenn er einen Brief in die Schweiz schickt: «Da stehe ich am Mittelmeer / und habe keine Mittel mehr.» Am erfolgreichsten ist der Vers, wenn er ihn ab und zu nach Neuchâtel schickt.

Überhaupt – und vor allen anderen – Friedrich Dürrenmatt: Er ist der bekannteste Schriftsteller jener Zeit, den man als «Berner» apostrophiert, obschon er bereits 1952 definitiv in Neuenburg Wohnsitz genommen hat. Seit dem Dezember 1970 sitzt er dort über seinem Textlabyrinth der «Stoffe», das sich bis 1990 zu einem Konvolut von über 20000 Seiten auswachsen wird. Bereits am 25. Oktober 1969 hat er im Berner Stadttheater den Grossen Literaturpreis des Kantons Berns entgegengenommen und ihn mit einer begründenden Preisrede zu gleichen Teilen weitergegeben an den Schriftsteller Sergius Golowin, den Journalisten Paul Ignaz Vogel und den sozialdemokratischen Politiker Arthur Villard.[31]

Ein utopischer Kulturbegriff taucht auf

Ende 1979 wirft der Atelier 5-Architekt Anatole du Fresne in der Zytglogge-Zytig einen «Blick hinter die Kulissen eines Kulturraums». In diesem Beitrag erzählt er die Geschichte, wie man im Herbst 1979 das alte Tramdepot am Bärengraben als neuen Kulturraum in Betrieb zu nehmen versucht. Gegründet wird ein Verein «Kulturzentrum Bern», dessen grösstes Problem die Programmierung von kontinuierlichen Veranstaltungen und die Organisation eines Publikums zu sein scheint, das sich dafür interessiert. In einem Kasten zum Beitrag wird ein Flugblatt dokumentiert, das damals die «kulturguerilla bern» (KGB) verfasst hat: «wir brauchen keinen zweiten gaskessel, kein zweites kunstmuseum und stadttheater in neuer verpackung. was wir brauchen ist im gegensatz zu allem bisherigen ein LEERER RAUM. ohne eintrittspreise möglichst rund um die uhr geöffnet, ohne produktions- und konsumzwang (z.b. durch arschleckend erworbene gelder).»[32] Ein halbes Jahr später, am 20. Juni 1980, versuchen ungefähr vierhundert Jugendliche mit der unterdessen brisant gewordenen Forderung nach einem Autonomen Jugendzentrum (AJZ) dieses alte Tramdepot zu besetzen.

*

Sind die siebziger Jahre jene Zeit, in der sprachgewaltige Nonkonformisten – meist männliche, bildungsprivilegierte Einzelkämpfer –, die sich in den Sechzigerjahren ihre Sprache und ihre Öffentlichkeit erstritten haben, das Wort führen und eine bemerkenswert umfangreiche und vielfältige Literatur schaffen, so werden die Achtzigerjahre zu jener Zeit, in der – auch in Bern – der Kampf um «autonomen» Kulturraum und um einen utopischen, nicht auf Kunstsparten verengten Kulturbegriff ins Zentrum rückt. Die «Berner Jugendbewegung der Unzufriedenen» führt diesen Kampf unter anderem mit einer eigenen Zeitung, die sie «Drahtzieher» nennt und schon bald in Provinz umtauft.

Kulturelle Werke – nicht nur im Bereich der Literatur – entstehen hier im Spannungsfeld zwischen der Tatsache, dass Bern eine Provinzstadt ist und der anderen, dass jedes Werk – soll es etwas taugen – diese provinzielle Enge zum subjektiven Zentrum einer ganzen Welt umdeuten muss. Darum erscheinen im Rückblick oft gerade jene kulturellen Werke als provinziell, deren Autorinnen und Autoren möglichst stromlinienförmig zu den aktuellen internationalen Trends gearbeitet haben. Aber das wäre eine andere Geschichte.

[1] Fredi Lerch: Muellers Weg ins Paradies, Zürich (Rotpunktverlag) 2001, 690 ff.

[2] Bund, 21.12.1969.

[3] Paul Nizon: Diskurs in der Enge. Aufsätze zur Schweizer Kunst, Bern (Kandelaber) 1970. Zitiert nach: ders.: Paul Nizon: Diskurs in der Enge / Verweigerers Steckbrief, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1990, 137 ff. Das Zitat stammt aus dem Vorwort zu dieser zweiten Auflage, 137.

[4] Nizon, a.a.O., 145, 147f., 167, 168 f. und 181.

[5] Kritisches Lexikon der Gegenwartsliteratur (KLG): Wend Kässens: Paul Nizon, 7.

[6] Hans Mühlethaler: Die Gruppe Olten. das Erbe einer rebellierenden Schriftstellergeneration, Aarau (Sauerländer) 1989, 9 ff.

[7] Mühlethaler, a.a.O., 14.

[8] Mühlethaler, a.a.O., 47 ff., 74 f., 233 f und 252, sowie Peter A. Schmid/Theres Roth-Hunkeler [Hrsg]: Abschied von der Spaltung, Zürich (Rotpunktverlag) 2003, 58 f.

[9] Madeleine Burri: Ein Verein in seiner Zeit. Der Berner Schriftsteller-Verein 1941-1965, Lizentiatsarbeit 2000, Typoskript, S. 14 f.

[10] Hans Erpf/Barbara Traber [Hrsg.]: «mutz». 50 Jahre Berner Schriftsteller-Verein. Bern (Ruchti) 1989, 324 f.

[11] Burri, a.a.O., 100.

[12] Erpf/Traber [Hrsg.], a.a.O., 48, 160 und 284.

[13] Lerch, a.a.O., 512.

[14] Martin Frank: ter fögi ische souhung. Roman. Zürich (eco) 1979.

[15] Walter Vogt: Schizophrenie der Kunst und andere Reden, Zürich (Arche) 1971, 92.

[16] Vogt, a.a.O., 95 f.

[17] Peter Lehner: sakralitäten-blätterbuch. Gurtendorf/Giessen (Walter Zürcher Verlag/Anabas Verlag) 1971.

[18] KLG: Jürgen Egyptien: Peter Lehner, 4 f.

[19] Peter Lehner: ein bisschen miss im kredit. Gurtendorf/Giessen (Walter Zürcher Verlag/Anabas Verlag) 19712, 32 und 38.

[20] KLG, Lehner, a.a.O., 5 f.

[21] Christof Mauch [Hrsg.]: Kurt Marti. Texte, Daten, Bilder, Frankfurt am Main (Luchterhand) 1991, 57.

[22] Kurt Marti: Zum Beispiel Bern 1972. Ein politisches Tagebuch. Darmstadt und Neuwied (Luchterhand) 1973, 49 ff., 55 und, im Folgenden insbesondere, 111 ff.

[23] Hugo Ramseyer, mündlich, 11.9.2015.

[24] Esther Fischer-Homberger: 17 Zürcher Sagen und Heldengeschichten. Bern (Zytglogge) 1975.

[25] Maja Beutler: Flissingen fehlt auf der Karte. Geschichten. Bern (Zytglogge) 1976.

[26] taz, 10.5.2008.

[27] Fredi Lerch, a.a.O, 2001, 238 (ad. Beretta-Pistole); 460 und 466 ff. (ad. Burgdorfer Literaturskandal).

[28] Der Bund, 2.1.2011.

[29] Fredi Lerch, a.a.O, 2001, 156 ff.

[30] Weltwoche, 22.6.1977.

[31] Fredi Lerch, a.a.O, 2001, 688 ff.

[32] Zytglogge Zytig Nr. 44, Dezember 1979.

Der Text wurde abgedruckt in: Gabriel Flückiger / Michael Krethlow / Konrad Tobler [Hrsg.]: Bern 70. Bern (Edition Atelier) 2017, S. 497-522 (hier geht’s zum Druck-PDF).

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


v11.5