Veteranentreffen in der Reitschule

Sie fanden auf unterschiedliche Weise zur Bewegung. Alle drei landeten beim Drahtzieher. Am Ende ging jeder seinen Weg – heute sind sie meilenweit voneinander entfernt.

Fredi Lerch – seinen Namen kennen die meisten, nicht als einen von «uns», als Aktivisten, sondern als reservierten Beobachter. Als er die Reithalle im Winter 1993 mit einem Asterix-Dorf verglich und ihren BetreiberInnen postmoderne Beliebigkeit vorwarf, nahmen ihm dies einige übel. Andere zuckten die Schultern: Er ist eben ein Achtziger, ein Zyniker. Sich selber schont er nicht. Er schildert den Fredi von damals als verirrten Kleinbürger, der naiv und eitel die Sprache der Bewegung nachzuahmen versucht. Als die Bewegung in Bern Anfang Juni ’80 losging, wohnte er in Zollikofen und arbeitete in einem Flüchtlingszentrum. Was in Bern geschah, verfolgte er in der Zeitung. An der Taubenstrasse befand sich damals ein provisorisches AJZ (PAJZ). «Dort ging ich hin als Einzelgänger, nahm einen Besen und begann zu wischen.» Irgendwann traf er die Leute von Drahtzieher, als sie mindestens schon en halbes Dutzend Nummern produziert hatten. «Dann – verdrückter Dichter, ich wollte schreiben – schaute ich zu, dass ich auch etwas schreiben durfte.»

Die andern beiden protestieren, er sei willkommen gewesen, wie jeder, der schreiben wollte. Sie, Röfe Trechsel und Fräne Mühlethaler, waren von Anfang an in der Gruppe dabei, die den Drahtzieher initiierte. In Zürich gab es den «Eisbrecher», so musste es in Bern auch so etwas geben.

Röfe kam diese Art und Weise, sich der Bewegung anzuschliessen, gelegen: «Ich hatte immer den Anspruch, der Öffentlichkeit zu erklären, was wir wollten und etwas anderes nach aussen zu tragen als Pflastersteine und Sachbeschädigungen.» Wenn es aber darum ging, sich anders als übers geschriebene Wort zu exponieren, fühlte er sich zusehends unwohl. An VV’s schaffte er es nie, sich durchzusetzen. Und auch auf der Gasse erging es ihm nicht besser. «Ich war ein schlechter Drahtzieher-Verkäufer und zog ziemlich viel Frust rein.» Nach dem Versuch, sich auch bei der «Provinz» einzubringen, wandte er sich schliesslich anderem, professionellen Aktivitäten zu. Er schrieb für die BZ, ging nach Zürich, um sein Studium abzuschliessen, Dann kam er zurück, zuerst zur Tagwacht. Nach zwei Jahren wechselte er zur Nachrichtenagentur SPK, bis er zu seiner heutigen Tätigkeit überging. Röfe Trechsel ist heute Sekretär der Schwulenorganisation Pink Cross.

Im vergangenen Sommer sorgte eine Nachricht weit über die megafon-Redaktion hinaus für Aufregung: Ein ehemaliger Aktivist der Achtziger Bewegung war an der Seite des Ex-SVP-Grossrats Michael Stettler in Salavaux (VD) am Murtensee aufgetaucht, der öffentlich über «Menschenrechtsverletzungen» gegenüber Neonazis in Österreich klagte. Fräne Mühlethaler, von Beruf Physiker, der den BeweglerInnen noch in lebhafter Erinnerung, anderen im Zusammenhang mit der AKW-Bewegung als Vertreter des AMüS (Aktion Mühleberg Stillegen) ein Begriff war – wie konnte er bloss dorthin geraten? Diese Frage hat wesentlich zur Idee beigetragen, dieses Interview zu machen. Selbst wenn Fräne uns die Antwort auch nach diesem Gespräch schuldig bleibt, erfahren wir viel Spannendes über den Werdegang der drei seit 1980… und über das «Vergnügen [an] der Collage».

megafon Röfe, in Deiner Fiche wurdest Du als Chefideologe der Bewegung bezeichnet. Hat dies die Bundespolizei richtig beobachtet?

Röfe Darüber war ich eigentlich sehr erstaunt. Aber das passt irgendwie zur Art und Weise, wie die Polizei bei den Fichen vorging. Viele in der Bewegung wollten der Öffentlichkeit ohnehin nichts erklären. Ich hingegen hatte das Gefühl, man müsse politisch etwas aussagen. So stand mein Name ab und zu in der Zeitung, und für die Polizei war ich somit der Chefideologe. Ich habe mich auch ein paarmal um eine Demobewilligung bemüht, weil ich das Gefühl hatte, es sei nicht gut, wenn es wieder Radau gab auf der Strasse. Da galt ich bei der Polizei sofort als Verantwortlicher. Aber dass ich grossen Einfluss auf die Bewegung hatte, ist ein völliger Quatsch. Es zeigt nur die völlige Inkompetenz der politischen Polizei.

Fredi, Deine Texte im Drahtzieher waren voller poetischer Bilder. Warst Du der Dichter – das literarische Gewissen – der Bewegung, der versuchte, das Lebensgefühl der Achtziger in Worte zu fassen?

Fredi Nein, das war ich nicht. Ich meinte höchstens, dies zu sein. Die Rösi war die Berner Bewegungsdichterin: Rösi Soussy-Stalder lebte ungefähr das, was sie schrieb. Sie war so radikal, wie sie schrieb. Ich war ein Kleinbürger, der anfing, Spraysprüche abzuschreiben und daraus irgendwelche Textlein zu basteln. Ich habe auch fundamentale Missverständnisse produziert. Mein erster Text, den ich im Drahtzieher publizierte, war eine Rede «an die versammelte Väterschaft». So ein Stumpfsinn! Es war gerade eines der kulturpolitischen Merkmale der Achtziger Bewegung, dass sie das Gespräch mit den tauben Vätern verweigerte. Die berühmte Telearena-Fernsehsendung war kulturpolitisch bedeutend, weil die VertreterInnen der Bewegung bloss schwiegen. Oder das «Ehepaar Müller» – das war Achtzig, das war radikal. Mit einem sozialarbeiterischen Pathos BernerInnen ansprechen zu wollen – das war mein Problem, aber nicht dasjenige der Bewegung.

Wir haben nur vereinzelt Texte gefunden, die von Dir, Fräne, signiert waren. Hingegen hast Du bei den meisten Nummern als Verantwortlicher gezeichnet. Warst Du sozusagen der Drahtzieher im Hintergrund?

Fräne Das ist natürlich die Perspektive von aussen. Ich habe viele Texte geschrieben, ohne sie zu signieren. Das war völlig üblich. Alle, welche die Arbeit machten, trugen auch die Zeitung mit. Vom Texte Schreiben über die Intensiv-Wochenenden, an denen wir die Zeitung produzierten, klebten und schnipselten. Ich übernahm nach einiger Zeit den Job, die Texte zu setzen. Das ging damals noch nicht so bequem auf dem PC, sondern wir hatten komplizierte Maschinen, die nur ein paar Wenige bedienen konnten. Dass ich im Impressum als verantwortlicher Redaktor auftrat, hat nichts zu bedeuten. Das war reine Formsache.

Wir vom megafon haben manchmal den Eindruck, das megafon sei weniger Sprachrohr der Szene, als vielmehr ein Forum für Themen, über welche keine breite Diskussion stattfindet. Wie war es beim Drahtzieher: Welche Funktion hatte er? War er das Sprachrohr der Bewegung?

Fräne Der Drahtzieher war eher ein Spiegel der Bewegung. Wir nahmen alles auf, was aus der Bewegung kam. Wir waren immer froh, wenn wir unsere acht Seiten füllen konnten, den Beiträgen gegenüber waren wir ziemlich unkritisch. Es gab einige kurze Phasen, da hatte ich das Gefühl, die Bewegung lebe wirklich, es bewege sich tatsächlich etwas. Es gab auch mühsame Zeiten, in denen wir selber etwas anreissen mussten. Aber hinter dem Drahtzieher standen Leute, die es durchziehen wollten. Das haben wir auch vierzig Nummern lang geschafft.

Röfe Ich glaube auch nicht, dass der Drahtzieher ein Organ der Bewegung war. Es gab verschiedene Fraktionen in der Bewegung, und viele hätten bestimmt nie einen Text für den Drahtzieher gebracht.

Fredi Der Drahtzieher war das Medium einer lokalen Subkultur. Im Vergleich zum megafon hatte er viel stärker die Funktion, zwischen der Bewegung und den Leuten auf der Gasse zu vermitteln. ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihr mit dem megafon auf die Gasse geht und den Leuten sagt, «schaut, so denken wir». Beim Drahtzieher machten wir es so.

War der Drahtzieher nicht auch dadurch geprägt, was die einzelnen Redaktionsmitglieder interessierte? Ist es zum Beispiel Zufall, dass Frauen und feministische Themen erst in späten Nummern auftauchten? Waren es bis dahin nur Männer, die den Drahtzieher machten?

Fräne Ich würde sagen, diese Runde hier ist ziemlich repräsentativ. Der Drahtzieher war männerdominiert. Es gab einige Frauen, die sporadisch etwas machten. Aber der Einfluss der Redaktion war nicht das Entscheidende. Wenn die Frauen gekommen wären und gesagt hätten, «jetzt wollen wir mal», hätten wir sie sofort machen lassen.

Fredi Heute weiss man natürlich, dass diejenigen, die zuerst hinstehen, meistens die Männer sind. das entspricht den gesellschaftlichen Verhältnissen. Die Frauen, die mitmachten, waren ihrerseits nicht mit der Frauenbewegung verhängt. Von der neuen Frauenbewegung gab es keinen Faden zur Drahtzieher-Redaktion. Sabine, Rösi, Liliane – sie kamen aus anderen Zusammenhängen.

Das AJZ in der Reitschule wurde im April ’82 geräumt. Drei Monate später hast Du, Fredi, Dein Pseudonym, Anatol Jeremia Zangger, sterben lassen. Er hat sich in Deinem Text in der Stacheldrahtumzäunung beim AJZ aufgehängt. In diesem Artikel gibt es für die Bewegten eigentlich keinen Ausweg. Die einen wurden kriminalisiert, die anderen stürzten in die harten Drogen ab, andere resignierten und schliesslich haben sich auch Leute umgebracht. Was war das für eine Zeit, damals?

Fredi Bei der Räumung machte die Polizei ihre Arbeit gut, nachher waren die Machtverhältnisse klar: Sie räumten das AJZ mit massivem Polizeieinsatz und sicherten die ganze Reitschule mit Nato-Stacheldraht ab. Dann haben Polizeigrenadiere das Haus während zehn oder elf Monaten militärisch bewacht. Auf dieser Ebene war es eine totale Niederlage. Fast gleichzeitig wurde auch das AJZ in Zürich mit Baggern dem Boden gleich gemacht. Der Begriff «Nachbewegungsdepression» entstand – Leute kamen in die Drogen, bekamen psychische Probleme und wurden vereinzelt. Ein AJZ hat immer auch eine soziale Funktion, deshalb ist die neue Reitschule für die Stadt unter anderem ein interessantes Sozialprojekt. Im Moment, da man so etwas kaputtmacht, verlieren die Leute den Boden. Der Text ist Ausdruck dieser Stimmung. Ich habe symbolisch das pathetische Pseudonym Anatol Jeremia Zangger, abgekürzt AJZ, sterben lassen.

In diesem Text lässt Du einen Bewegten sagen: «mir hei nümme z’mule. üserein cha i dere schtadt nume no umchere oder kaputtgah.» Standen die Bewegten vor dieser Alternative?

Fredi Im August ’82 ging Rösi in Basel in den Rhein. Sie brachte sich um. Ich hoffe heute noch, sie habe diesen Text [der in diesen Tagen erschienen ist, fl.] nicht gelesen… Es gab Leute, für die hiess die Konsequenz: Jetzt ist fertig. Die Rösi zum Beispiel konnte nicht mehr umkehren.

Die Räumung war ein Einschnitt, das kann ich nachvollziehen. Aber was hat man sich damals erhofft, was konnte die Rösi soweit bringen, dass sie zum Schluss kam, es hat keinen Sinn, wir werden es eh nie schaffen?

Fredi Es war wohl dieses Leben mit einer politisch total illusionären Haltung, die wir alle hatten. Es war unsere Stärke, dass wir einen Moment lang alle daran glaubten «Alles und subito!» Von den Machtverhältnissen her betrachtet hat das nicht einmal in der lokalen Politik jemanden gekratzt. Zeitweise haben sich in der Stadt, nach den Demos, einige Leute geärgert. Sonst geschah eigentlich gar nichts. Es gab aber Bewegte, die hatten eine Art messianischen Glauben: Jetzt kommt’s gleich, jetzt wird es ganz anders. Eigentlich war die grösste Stärke an der Berner Jugendbewegung etwas sehr Irrationales.

Fräne Man muss sich vielleicht in Erinnerung rufen, dass damals generell Weltuntergangsstimmung herrschte. Die Bewegung war ein Versuch, diese Stimmung aufzubrechen und ins Gegenteil zu kehren. Daraus entstand wahrscheinlich auch die Illusion, man könne die Welt innert kurzer Zeit auf den Kopf stellen. Als man merkte, dass dies nicht ging, kam der langsame, aber unweigerliche Absturz.

Kurz, nachdem Du Anatol Jeremia Zangger sterben liessest, hast Du den Drahtzieher verlassen und bist nach Zürich zur WoZ gegangen. War dies Deine persönliche Konsequenz aus der «Nachbewegungsdepression»?

Fredi Nein, nicht primär. Die Bewegung hat sich im Winter ’81/82 im AJZ gefunden und wurde zerschlagen, indem die Polizei ihr die Reitschule wegnahm. Ich glaube schon, dass dies objektiv ein Einschnitt war. Die WoZ lief parallel seit dem Oktober ’81. Auf Herbst ’82 fragte mich die Zürcher Redaktion an, ob ich nach Zürich kommen wollte. Da habe ich mich entschieden wegzugehen.

Was bedeutete diese Räumung für Euch, Röfe und Fräne?

Röfe Es war sicher ein Einschnitt. Neben denjenigen, die abstürzten, gab es aber auch jene, die sagten: «Jetzt erst recht, die geben uns dieses AJZ schon wieder.»

Fräne Wenn man die Bewegung von Anfang an betrachtet, würde ich behaupten, dass schon die Reithalle ein fader Nachgeschmack des ’80 war. Weil die Bewegung zuvor stark war, haben die Stadtväter gedacht, jetzt geben wir ihnen etwas, als schon nicht mehr viel lief. Im AJZ lebte sie nochmals auf.

Fredi Damit man versteht, was Fräne meint, muss ich ergänzen, dass die Bewegung in Bern Anfang Juni ’80 losging. Das AJZ ging im Oktober ’81 auf. da waren fünfviertel Jahre dazwischen. Die Berner Bewegung war viel zu schwach, um wirklich etwas zu erobern. Das Haus wurde mit dem Segen der Stadt saniert und dann durfte man rein. So waren die Kräfteverhältnisse. Und wie Fräne schon sagte: Der erste Schwung war längst vorbei.

Röfe, für Dich persönlich ging es auch nach der Räumung weiter. Du hattest aber früher einmal Zweifel, ob Du nicht aus der Bewegung aussteigen wolltest. In einem Text in einer der ersten Drahtzieher-Nummern beklagst Du Dich über die Gesprächskultur an den VV’s. immer setzen sich die «starken Männer» durch, welche die Diskussion ohnehin mehr als nur prägen. Du fragst Dich, ob der Spielraum wohl zu eng werde. So drückst Du in diesem Text Dein Unbehagen als Schwuler in einer von heterosexuellen Männern dominierten Bewegung aus. Weshalb bist Du geblieben?

Röfe Man hat damals Wert gelegt auf Autonomie und Basisdemokratie. Am Anfang hatte es relativ viele Leute an den VV’s. Man muss sich mal vorstellen: hundert oder zweihundert Leute diskutieren in einem Raum. Den Stil von damals würde man heute «populistisch» nennen. Wer eine gute Schnure hatte, setzte sich durch. Ich gehörte nicht dazu. Ich habe es immer viel zu kompliziert gesagt, den Nerv der Stimmung nicht getroffen und unterlag mit meinen Ideen. Manchmal war es auch schlichtweg eine Frage des Stimmvolumens. Später waren die VV’s anders, anstelle der Konfrontation herrschte oft Ratlosigkeit, so dass oft gar niemand mehr sprach. Insofern hat sich das Problem vielleicht etwas entschärft. Am Anfang aber war ich drauf und dran zu gehen.

Fräne Dafür hattest Du den Drahtzieher – da haben eben die Macher gezählt und nicht die «Schnurrine».

Fredi Du warst auch der Professionellste, Röfe…

Fräne …und der einzige, der wirklich recherchiert hat.

Röfe Zum Teil war das aber auch daneben. Ich hatte den Anspruch, eine Zeitung wie die WoZ zu machen. Der Reiz des Drahtziehers waren aber nicht recherchierte Texte, sondern das Unkonventionelle. das hatte ich damals nur zum Teil begriffen.

Du hast weitergeschrieben, auch nach der Räumung.

Röfe Vielleicht fehlte mir der Mut, die Konsequenzen zu sehen. Ich wollte es durchstieren, dachte, es muss gehen, es werden bessere Zeiten kommen. Hinzu kamen personelle Gründe, ich kannte Leute, hatte Freunde, mit denen es Spass machte. Es war nicht alles bloss opferungsvolle Fronarbeit.

Fräne, die AJZ-Räumung war für Dich kein Bruch. Du hast den Drahtzieher von A bis Z getragen, dann auch die Provinz.

Fräne Wenn man es wirklich geschafft hat, aus dem Nichts, als völlige Banausen, eine Zeitung herzustellen, die wirklich auch funktioniert und eine gewisse Bedeutung hat, dann lässt man das nicht einfach so fallen. Später, bei der Provinz, gefiel es mir viel weniger als beim Drahtzieher. Der Drahtzieher war ein Spontiblatt. Die Provinz wurde langsam zum Politblatt. Das lag mir nicht besonders. Ich habe mitgemacht, angefangen zu recherchieren und grosse Abhandlungen zu schreiben. Aber das hat’s nicht gebracht. Die Provinz ist dann zugrunde gegangen, kurz nachdem ich ausgestiegen bin. Das klingt jetzt vielleicht etwas überheblich. Aber es ist nachher nur noch eine Nummer erschienen.

Wir wissen, dass Du irgendeinmal begonnen hast, Dich für Druiden zu interessieren. Woher kommt dieses Interesse?

Fräne Ich fing im Achtzig mit einem kulturellen Anspruch an. Den haben wir mit dem Drahtzieher gelebt. Es machte uns Spass, Bildli auszuschneiden und Buchstaben zusammenzukleben. Die Collage war eigentlich beinahe der zentrale Inhalt des Drahtziehers, war Ausdruck unseres Lebensgefühls. Jetzt interessiere ich mich für andere Formen der Kultur, für das, was von älteren Kulturen noch übrig ist. Aber der kulturelle Anspruch ist grundsätzlich geblieben.

Du hast Dich letzten Sommer in Salavaux an einem Podium beteiligt, wo ein Teilnehmer Rechtsextreme in Schutz nahm. Unserer Ansicht nach machst Du einen Spagat: zwischen der Druidenschule – die unseres Wissens auch von Rechten besucht wird – und der Achtziger-Bewegung oder dem AMüS, das einen klar linken Anspruch hat. Wie kannst Du diese Dinge vereinbaren?

Fräne Mit diesem Schema von «links» und «rechts» konnte ich nie viel anfangen. Auch im Achtzig nicht. Da kamen auch Leute und sagten, «wir sind Linke» und wollten uns beibringen, wie wir die Bewegung organisieren sollten. Die haben wir mehr oder weniger niedergeschrien. Wenn Du jetzt von «Rechten» sprichst, ist dies wohl auch eine völlige Fehleinschätzung. Mit solchen Ideologien hat das nichts zu tun.

Du siehst also schon ’80 als eine kulturelle Bewegung und nicht als politische…

Fräne …es gab sicher politische Aspekte an der Bewegung. Sie entfaltete gewisse politische Wirkungen, war aber nicht politisch durchorganisiert. Sie entstand wirklich aus der spontanen Stimmung heraus. meist setzte sich nicht dasjenige durch, was jemand aus einer Ideologie heraus machen wollte, sondern – wie Röfe schon gesagt hat – derjenige, der am lautesten geschrien hat. Derjenige, der die Stimmung am besten erfasste.

Du bist also nicht aus einer Suche heraus, auf das Scheitern der Bewegung hin in ein esoterisches Feld geraten?

Fräne Überhaupt nicht. Ich habe mich nie für die esoterische Szene interessiert und interessiere mich heute nicht dafür.

Du leugnest die Dimensionen von links und rechts. Heisst das auch, dass Du keinen Zusammenhang siehst zwischen dem, was Neonazis an keltischen Kulten praktizieren und dem, was Dich an den Druiden interessiert?

Fräne Zum Einen waren die Kelten Volksgruppen, die ihre Hochblüte vor 2500 Jahren hatten. Die Nazis hatten die ihre vor 60 Jahren. Schon allein aufgrund dieser Dimensionen wäre es ja blöd, wegen der Nazis unsere ganze Geschichte zu verleugnen. Zum Anderen muss ich ganz klar sagen: mit Praktiken von Neonazis habe ich und haben wir nichts zu tun, absolut nichts. Es gibt keine Verbindung.

Röfe, Du hast nach der Provinz weiterhin geschrieben, als Journalist gearbeitet. Für Dich kam auch irgendwann der Punkt, an dem das Kapitel ’80 abgeschlossen war. Heute bist Du Sekretär von Pink Cross, einer politisch eher gemässigten Schwulenorganisation. Bist auch Du selber gemässigter und liberaler geworden?

Röfe Ich war schon immer bis zu einem gewissen Grad gemässigt. Ich würde mich aber im politischen Spektrum immer noch links einordnen. Für mich haben «links» und «rechts» noch Bedeutung. Mein politisches Engagement hat eine andere Form, die Bewegung ist nicht mehr da. Mir geht es bei Pink Cross darum, die Schwulen überhaupt einmal zu organisieren. Dazu müssen wir eine gewisse Breite aufweisen, eine Stärke entwickeln, damit wir uns gegen Diskriminierungen wehren können. Pink Cross ist nicht links. Aber es sind Emanzipationsbestrebungen, von denen ich denke, dass letztlich schon eine Weltanschauung und ein gesellschaftspolitischer Anspruch dahinter stecken. Was nicht heissen soll, dass bei uns nicht einer aus der FDP ohne weiteres Mitglied sein kann. Es geht ja darum, dass die Leute zu sich stehen und eine innere Freiheit entwickeln, das zu tun, was ihnen entspricht – und in dem Sinne gibt es vielleicht tatsächlich eine Verbindung zur Bewegung.

Für Röfe gibt es noch Linke, für Fräne hat so etwas wie links und rechts nie existiert. Fredi, Du sagst von Dir, Du seist kein Linker, es gebe keine Linke mehr. Du würdest also dem beipflichten, was Peter Bodenmann, Präsident der SP Schweiz sagt: dass es links von der SP keine nennenswerte Kraft mehr gebe, die fähig sei, eine Vision zu entwickeln?

Fredi Tja. Bodenmann ist vielleicht ein Zyniker. Aber leider hat er vermutlich Recht. Es gibt links von der SP keine gesellschaftliche Kraft, die eine gesamtgesellschaftliche Vision hat. Die Frage ist, ob die SP selber noch eine hat… und ob man nicht trotzdem versuchen muss, links von der SP noch etwas zu tun. Auch wenn man sich eingestehen muss, dass dies sehr bruchstückhaft und limitiert ist. In dem Sinne habe ich wirklich Mühe, mich als Linker zu bezeichnen. Einerseits aufgrund meiner Geschichte – ich bin ein Kleinbürger, der unter die Chaoten geriet und dann solange politisiert wurde, bis er wusste, welche Verslein er aufsagen muss, damit es links tönt. Ich kann diese Verslein heute noch aufsagen, aber ich bin kein Proletarier. Ich bin auch kein geschulter Linker, der akademisch Marx von hinten nach vorne erklären kann. In dem Sinn bin ich weder theoretisch noch praktisch ein Linker. Aber ich habe einiges davon begriffen. Für mich wird immer wichtiger, eine relative Kohärenz herzustellen zwischen dem, was ich sage und dem, was ich mache. Aber das ist auch nicht unbedingt ein linkes Postulat.

Pink Cross betreibt Öffentlichkeitsarbeit, will Anliegen nach aussen tragen. Auch die 80er-Bewegung wollte etwas ausdrücken. Dasselbe hast Du, Fräne, mit dem AMüS angestrebt. Druiden hingegen stellen wir uns als eine relativ geheime und in sich abgeschlossene Gruppe vor. Wo ist Dein politischer Anspruch geblieben?

Fräne Ich habe Mühe, diesen Zusammenhang herzustellen. Ich habe nach wie vor meine politische Haltung, zum Beispiel bezüglich AKW. Ich habe aber die Illusion nicht mehr, eine politische Bewegung aufbauen zu können und damit wahnsinnig viel zu erreichen. Das ist eine Erfahrung aus dem Achtzig und aus AMüS-Zeiten. Ich war in all diesen Anti-AKW-Grüpplein damals einer der einzigen, der sagte, «die Mühleberg-Abstimmung gewinnen wir», und bin deswegen ausgelacht worden. Dann haben wir die Abstimmung tatsächlich gewonnen. Die Reaktion im Kreis der Anti-AKW-Gruppen war: «Was soll’s, das bringt ohnehin nichts, gehen wir zum Alltag über.» Er hat mich schockiert, dass ich dort mit Kreisen zusammenarbeitete, die einfach auf Misserfolg programmiert sind. Das wollte ich mit mir nicht geschehen lassen. In diesem Zusammenhang kannst Du die Druiden betrachten. Für mich ist heute viel wesentlicher, was ich selber aus mir heraus machen kann, als aus welcher Haltung ich etwas mache.

Noch einmal zu Dir, Fredi. Wenn ich Deine Geschichten lese, habe ich fas Gefühl, man dürfe gar nichts mehr fordern, das Unmögliche nicht mehr einfordern. Im ’80 war das anders, da forderte man alles, das Unmögliche – und zwar jetzt.

Fredi Ich hoffe, meine Reportagen haben etwas mit der Realität in diesem Land zu tun. Das ’80 hatte in seiner utopischen Denkweise nicht viel mit der Realität zu tun. Im Journalismus ginge es ja darum, Realitäten abzubilden. Was mich interessiert, sind Machtverhältnisse: Wie richten Menschen andere Menschen zu. Zum Beispiel in der Psychiatrie. Das ist beispielhaft für die ganze gesellschaftliche Auseinandersetzung.

Du würdest aber nicht mehr zum Punkt gelangen, zu fordern: Morgen müssen wir alle Psychis schliessen?

Fredi Da würde ich aufpassen. Ich würde eher darüber sprechen, ob man nicht jene reinstecken sollte, die diejenigen einsperren, welche heute drin sind und diese dafür rauslassen. Es gibt in der Gesellschaft möglicherweise schon gemeingefährliche Leute. Aber sicher nicht jene, die jetzt in der Psychiatrie interniert sind. Denen geht es nur schlecht. Aber die sind nicht gefährlich. Die meisten sind unglücklich, in einer Lebenskrise, werden mit chemischen Mitteln stabilisiert und sozial unauffällig gemacht. Das ist der Zweck der Psychiatrie. Dummerweise heilt das chemische Gift nicht, sondern es chronifiziert die Krise.

Du gehörst aber nicht einer Bewegung an, die mit einer spezifischen politischen Forderung die Aufhebung solcher Zustände fordert.

Fredi Ich war auch nie ein realpolitischer Kämpfer. Ich half mit beim Kulturboykott gegen die 700-Jahr-Feier, vielleicht gerade, weil der auch etwas Illusionäres hatte. In der Psychiatrie würde ich in einer antipsychiatrischen Bewegung mithelfen, wenn es eine gäbe. ganz konkret helfe ich im Moment in der Waldau eine Zeitung zu machen, das «Kuckucksnest». Das machen die Leute von dort und ich unterstütze sie. Das ist auch nicht revolutionär, aber immerhin.

Interview: cbns. – Im megafon trug der Beitrag den Titel: «Die Collage war Ausdruck unseres Lebensgefühls».

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