«Ich bin kein Rassist, aber…»? – Kein aber!

 

Zum Journal B-Originalbeitrag.

 

Marianne Helfer ist Projektleiterin im Kompetenzzentrum Integration (KI), das die Integrationspolitik der Stadt Bern koordiniert und umsetzt. Sie arbeitet im Fachbereich Information und Vernetzung und gestaltet die Aktionswoche gegen Rassismus seit Beginn mit.

 

Journal B: Auf dem Plakat der bevorstehenden 7. Aktionswoche steht in grafisch wirkungsvoller Gestaltung: «Ich bin kein Rassist, aber…» Eine Wendung, die alle schon gehört haben und einem auch selber einmal unterlaufen könnte.

Marianne Helfer: Sie stammt von der Gestalterin des Plakats, Sandrine Pitton, einer Studentin an der Hochschule der Künste. Die Formulierung ist ein guter Ausgangspunkt, um über Rassismus zu reden. Heute sind die sozialen Medien ja voll von solchen «Ich bin kein Rassist, aber…»-Kommentaren, wobei es auch andere Abgrenzungsformeln gibt, etwa «Ich bin nicht fremdenfeindlich, aber…», «Ich kenne viele Ausländer, aber…» oder «Ich bin mit einem Ausländer verheiratet, aber…». Solche Wendungen sind deshalb perfid, weil sie behaupten: Das was ich jetzt sage, klingt zwar rassistisch, ist aber erfahrungsgestützt und deshalb objektiv. Damit ist das Feld für unbelegte rassistische Stereotypen geöffnet, die dann gewöhnlich folgen.

Wie macht man aus einer solchen Wendung eine Veranstaltungsreihe?

Die Veranstaltungen der Aktionswoche sind sehr unterschiedlich. Wir benennen zwar das Thema, wollen die Umsetzungen aber nicht zu stark einengen. Die Veranstaltungen sollen einfach Gelegenheit bieten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Das ist auch in der Stadt Bern nötig. In diesem linken, weltoffenen Milieu zeigt man gerne auf die anderen, die das Problem seien. Die Aktionswoche lädt dazu ein, von Menschen mit Rassismuserfahrung zu lernen. Es ist wichtig zu verstehen: Als weisse Person weiss ich nicht, wie es ist, als dunkelhäutige Person in der Stadt Bern zu leben.

Nicht einfach war in der ersten Zeit, geeignete Veranstaltungsformen zu finden. Vieles, was vorerst angeboten wurde, ging in Richtung interkulturellen Austausch. Nicht Rassismus wurde thematisiert, sondern das Zusammensein gepflegt. In diesem Punkt haben wir von Jahr zu Jahr Fortschritte gemacht.

Inwiefern?

Antirassismus ist nicht Diversity. Es geht bei der Aktionswoche nicht um die Absichtserklärung, alle sollten lieb sein miteinander. Diversity heisst Vielfalt und schafft Bewusstsein, dass es in der Gesellschaft Fremdsprachige, Bildungsferne und Hochqualifizierte, Gläubige und Nichtgläubige, Alte und Junge aus allen Kontinenten gibt und dass man dieser Vielfalt gerecht werden soll. Und das ist auch gut so. Aber Menschen mit Rassismuserfahrungen hilft es wenig, wenn man ihnen sagt: Sprich doch nicht immer über deine schlechten Erfahrungen – schauen wir lieber darauf, was wir gemeinsam haben.

Wieso wollen wir nicht hören, welche Erfahrungen etwa Migrantinnen und Migranten hier machen? Bei Antirassismus geht es darum, Ungleichbehandlungen und Diskriminierungen zu erkennen und abzubauen. Wenn die Aktionswoche gegen Rassismus kritisiert wird, dann vor allem mit dem Argument, ihr Ansatz sei zu negativ. Ich sage: Rassismus ist tatsächlich nichts Lustiges, aber trotzdem gibt es ihn, und deshalb muss er zur Sprache gebracht werden.

Das Thema «Ich bin kein Rassist, aber…» muss man nur Menschen erklären, die keine Rassismuserfahrung haben. Den anderen ist auf Anhieb klar, worum es geht.

Die Aktionswoche wird seit 2011 jährlich durchgeführt. Sie haben Ende 2007 im Kompetenzzentrum Integration zu arbeiten begonnen. Gab es damals schon Pläne für diese Wochen?

Nein. Man hat damals zwar über Integration, aber noch kaum über Rassismus gesprochen. Im Stadtrat war eben ein Postulat von Hasim Sancar, Catherine Weber und Anne Wegmüller hängig, die Stadt Bern solle Mitglied der Europäischen Städtekoalition gegen Rassismus werden. Dieser stadträtliche Auftrag wurde für uns zum Steilpass, um das Thema anzupacken und als erstes die geforderte Mitgliedschaft aufzugleisen. Seit 2009 ist Bern Mitglied dieser Städtekoalition.

Rassismus war zuvor wirklich kein Thema?

Es war nicht so, dass man in der Stadt Bern im speziellen nicht über Rassismus sprach. Man sprach allgemein kaum über Rassismus, auch verwaltungsintern nicht.

Rassismus war ein Tabu?

…und ist es oft heute noch, ja. Der gesellschaftliche Wille wahrzunehmen, wo Rassismus stattfindet, ist wenig ausgeprägt. Ungleichheiten werden als gegeben akzeptiert und nicht hinterfragt. Häufig geht es ja nicht einfach um einzelne Personen, sondern um ein System, das rassistisch funktioniert.

…um rassistische Strukturen, sozusagen.

Allerdings. Und diese Strukturen müssen zuerst bewusst gemacht werden. Wir haben hier im Kompetenzzentrum Integration damals zuerst einen Aktionsplan formuliert und dabei festgestellt: Vor allem anderen müssen wir zu reden beginnen über Rassismus. 2010 führten wir am 21. März, dem Internationalen Tag gegen Rassismus, einen Aktionstag durch. Danach war klar: Ein Tag genügt nicht. 2011 gab es deshalb die erste Aktionswoche. Seither findet sie dank viel ehrenamtlichem Engagement jährlich statt. Die Stadt setzt eigene Mittel ein. Diese werden durch einen Unterstützungsbeitrag der Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Bundes und einzelne Sponsoringbeiträge ergänzt.

Gab es denn von den Veranstaltenden her Interesse gleich für eine ganze Aktionswoche?

Ja, unser Angebot einer Plattform für Organisationen, die in diesem Bereich aktiv sind, wurde sofort angenommen. Seither ist ein ganzes zivilgesellschaftliches Netzwerk entstanden, das sporadisch oder regelmässig mitmacht. Ich denke an Gruppierungen wie NCBI Schweiz, das National Coalition Building Institute; an das gggfon, die Meldestelle für rassistische Vorfälle; an die vbg, die Vereinigung Berner Gemeinwesenarbeit; an die Kirchen, die schnell eingestiegen sind – oder an Organisationen der Migrationsbevölkerung wie das Online-TV African Mirror oder den kurdischen Frauenrat.

Sind Sie mit der Resonanz zufrieden? Lässt sich das behäbige Bern ansprechen von einem Thema, bei dem das Wegschauen so bequem ist?

Die Wochen stiessen schnell auf Beachtung und Akzeptanz. Und à propos behäbiges Bern: In der Stadt Bern wachsen unterdessen mehr als die Hälfte der Kinder in Familien auf, in denen ein Elternteil im Ausland geboren ist. Familien mit Migrationserfahrung bilden bald die Mehrheit, die Familien der sogenannt Einheimischen die Minderheit. Rassistische Erfahrungen sind auch in Bern alltäglich.

Dass die Beachtung seit letztem Jahr noch einmal zugenommen hat, hat auch politische Gründe: Einer der Slogans der letztjährigen Woche war «I gah nid zrügg», und sie fand kurz nach der Abstimmung zur Durchsetzungsinitiative statt. Und die diesjährige steht unter dem Eindruck von Donald Trumps rassistischer Rhetorik und Politik. Wie man in der Öffentlichkeit über vermeintlich fremde Menschen spricht, erhält im Moment als Thema eine neue Dringlichkeit.

Der Beitrag wurde gleichentags auf dem Onlineportal der Berner Studizytig zweitveröffentlicht.

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