«Typische Frauenberufe gibt es nicht»

Die Tramstation am Rand des Walzwerk-Areals in Münchenstein (BL) heisst noch von früher her «Brown Boveri». 1999 ist hier mit der Aluminium AG das Industriezeitalter untergegangen. Seither sind auf dem Areal mehr als sechzig Kleinbetriebe, Büros und Ateliers entstanden.

Zwei der ehemaligen Produktionshallen belegt seit 2006 die Kunstbetrieb AG. Zu dritt hat man angefangen, unterdessen arbeiten hier zehn bis elf Leute. «Vor allem Künstlerinnen und Künstler kommen mit Konzepten oder Modellen zu uns», sagt Rahel Felber. «Unsere Aufgabe ist es, Ihre Ideen in eine dreidimensionale Form zu bringen.» Sie selber verstehe sich nicht als Künstlerin, sondern eher als Kunsthandwerkerin, als «Umsetzerin».

Wachs, Schamotte und Metall

«Umsetzen» heisst zum Beispiel, im sogenannten Wachsausschmelzverfahren eine Bronze- oder Aluminiumskulptur herzustellen. Rahel Felber beginnt zu erklären: Zuerst wird von der Vorlage – einer Skizze, einem Modell – eine Negativform aus Silikon und Gips gemacht, innen mit einer Wachsschicht überzogen und mit einem Eingusssystem versehen. Das so entstandene Wachsmodell wird mit Schamotte – zerriebenem feuerfestem Stein – eingepackt.

So kommt des Negativ zum Brennen in den Ofen: Das Wachs schmilzt weg und die Schamotteform mit den so entstandenen Hohlräumen wird gebrannt. Anschliessend werden diese Hohlräume mit flüssigem Metall – Bronze, Aluminium oder Silber – ausgegossen. Ist der Guss erstarrt, wird die Schamotte weggehämmert und die freigelegte Metallskulptur ziseliert: in Spalten geflossene Metall«federn» werden weggebrochen, Unsauberkeiten verschliffen, die Oberflächenstruktur ausgeglichen.

Während Rahel Felber entlang von Arbeitstischen, Materialregalen und Brennöfen durch die beiden Hallen führt, erklärt sie, dass es zwischen ihrem ersten Beruf als Holzbildhauerin, dem zweiten als Tierpräparatorin und ihrem jetzigen als Kunstgiesserin grundsätzliche Zusammenhänge gebe: konzeptionell denken, in Fristen planen und eigene Ideen umsetzen zum Beispiel. Aber auch: «Ob man in Lindenholz einen Kinderkopf schnitzt, einen Fuchs aus Polyurethan herstellt und mit einem gegerbten Fell überspannt oder eine abstrakte Plastik aus Bronze giesst – immer sind das räumliche Vorstellungsvermögen und die handwerklichen Fähigkeiten zentral.»

Der Kunstbetrieb in Münchenstein hat Rahel Felber auf dieses Jahr angestellt, obschon sie bisher noch nicht mit Metall gearbeitet hat: Der Umgang mit einem neuen Material ist einfacher zu erlernen als ein gutes Vorstellungsvermögen. «Ein supercooler Arbeitsort» sei das hier, sagt sie, und was die neue Kundschaft – die Kunstschaffenden – und das neue Arbeitsmaterial – das Metall – betrifft, hat sie klare Vorstellungen: «Arbeit mit neuen Materialien, Techniken, Werkzeugen und Maschinen braucht Übung. Und die kommt mit dem Machen.»

So stark die Werkhallen noch an das Industriezeitalter erinnern, so unkonventionell ist hier das Arbeitsklima. «Das hängt mit der Arbeit zusammen», sagt Rahel Felber. Im Unterschied zu einem Industriebetrieb würden hier Spezialanfertigungen, Einzelstücke oder allenfalls Kleinserien hergestellt.

«Das Zusammentreffen der verschiedenen Berufserfahrungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schafft einen breiten Erfahrungspool. Das Verschmelzen von Techniken führt zu neuen Lösungen, welche zur Umsetzung der oft unkonventionellen Werkideen erforderlich sind.»

Untypische Frauenberufe gibt es nicht

Grundsätzlich gilt in der Kunstbetrieb AG die 42-Stundenwoche. Die Arbeitszeiten sind aber fliessend, wie viel jeweils gearbeitet wird, hängt vom Auftragsvolumen und von den Lieferterminen ab. Wenn nötig, gehören Spätschichten und Wocheendeinsätze dazu.

Holzbildhauerei, Tierpräparation, Kunstgiesserei: Warum sie eigentlich lauter untypische Frauenberufe ausübe? Rahel Felber: «Was heisst denn das, ‘untypischer Frauenberuf’? Es gibt kein Argument, wieso in einem Beruf ein Mann statt einer Frau arbeiten sollte.»

Klar habe es früher in gewissen Berufen nur Männer gegeben. «Aber das hat mit gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Konventionen und Tabus zu tun, nichts mit ‘naturgegebenen’ Voraussetzungen». Heute sei diese geschlechtspezifische Rollenverteilung zum Glück überholt. ««Ich bin noch nie von einem Mann angemacht worden, der meinte, ich würde in Männerberufen arbeiten, und das könne eine Frau doch nicht.» Allerdings fügt sie bei: «Vermutlich lebe ich halt nicht in jenen Kreisen, in denen es solche Vorurteile noch gibt.»

 

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Die Figurenplastikerin

Rahel Felber (* 1980) wächst in Bern auf. Ihr Berufswunsch: Tierpräparatorin. Da es für sie nach der Schule keine Möglichkeit gibt, den Beruf direkt zu erlernen, macht sie ab 1998 in Brienz die vierjährige Lehre als Holzbildhauerin. Unterdessen wird die Notwendigkeit, Präparatorennachwuchs auszubilden, erkannt. 2002 erhält Rahel Felber am Naturhistorischen Museum in Bern eine Lehrstelle und arbeitet danach nicht zuletzt an den Unterlagen für den neuen Ausbildungsgang mit. Daneben macht sie die Berufsmatur.

2006 ist sie naturwissenschaftliche Präparatorin, arbeitet projektbezogen für die Naturhistorischen Museen Bern und Basel, temporär als Restauratorin und Schmuckdesignerin. Sie unternimmt eine längere Neuseelandreise und beginnt mit den Aufbau einer eigenen Werkstatt.

Die Kunstbetrieb AG Münchenstein lernt sie im Zusammenhang mit einem eigenen Projekt kennen, ist begeistert, bewirbt sich und wird auf 1. Januar 2010 zu 100 Prozent als Kunstgiesserin angestellt. – Rahel Felber ist in keiner Gewerkschaft, betreibt den Kampfsport Kung Fu und plant auf Anfang April den Umzug von Bern nach Basel.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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