«Wir wollen Studer retten»

«Hier wird ruiniert, was sechzig Jahre funktioniert». Unter dieser Parole haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Studer Professional Audio in Regensdorf (ZH) am 22. September die Arbeit niedergelegt und ein Protestfest gefeiert. In seiner Rede hat SP-Nationalrat Max Chopard-Acklin als Leiter des Unia Industrieteams Aargau/Zürich den Kanton Zürich aufgerufen, jetzt den Tatbeweis der Krisenbekämpfung und der Wirtschaftsförderung zu erbringen: «Es geht hier um ein Unternehmen mit Tradition, mit interessanten Arbeitsplätzen und mit guten Produkten.»

Tatsächlich ist die Firma Studer akut bedroht, obschon sie floriert.

Den Goldesel schlachten

In den letzten zwei Jahren hat sich für die Studer-Angestellten Puzzlestein an Puzzlestein gereiht: Die Marketing-Abteilung wurde aufgelöst; die Funktion des Finanzchefs wurde gestrichen; das Mitarbeiter-Info verschwand. Trotz gutem Geschäft wurde statt investiert entlassen. Auch mehrere Manager mussten gehen, weil sie sich für den Standort Regensdorf eingesetzt hatten. Und Jahr für Jahr undurchsichtiger bastelte der Harman-Konzern ein Gruppenergebnis aus den guten Studer-Zahlen und den schlechten Zahlen der Schwesterfirma Soundcraft zusammen (siehe Kasten).

«Wir haben uns schon gefragt: Was ist die Strategie hinter all dem?», sagt die Verkaufssachbearbeiterin Export Elke Dähler. Sie hat selber die Kündigung erhalten, und zwar bereits zum zweiten Mal: Sie ist bei Studer schon 2002 von einer Kündigungswelle betroffen gewesen und zwei Jahr später in den Betrieb zurückgekehrt. «Immer wieder haben wir uns beruhigen lassen: So blöd kann man doch nicht sein, seinen Goldesel zu schlachten.»

Doch, man kann. Am 17. Juli hat der Konzern die Studer-Belegschaft vor vollendete Tatsachen gestellt: Im Rahmen eines Restrukturierungsprogramms werde die Produktionsabteilung nach England verlegt. Grund: zu hohe Lohnkosten. Auf Ende Jahr müssten deshalb 35 der insgesamt 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen werden.

Der alte «Studer-Spirit»

Ein neuer Tiefpunkt im Niedergang der ehemaligen Studer Revox AG, die geprägt gewesen ist vom «Studer spirit», wie der Sprecher der Personalkommission, Robert Huber, erzählt: Der Audiopionier und Firmenpatriarch Willi Studer (1912-1996) stand für Innovation, Zuverlässigkeit und Genauigkeit bei der Arbeit. Menschlichkeit und sozialer Ausgleich im Umgang mit den Angestellten waren ihm wichtig. Noch heute sei man von diesem Geist inspiriert, sagt Huber.

Elke Dähler nennt ein Beispiel: «Das vorletzte Geschäftsjahr haben wir weit über dem Budget abgeschlossen. Ein Superergebnis, auch dank unseren Produktionsleuten, die wenn nötig an den Wochenenden gearbeitet haben. Nie kriegten sie dafür einen Bonus oder ein Danke. Aber jetzt die Kündigung. Das ist einfach nicht fair.»

Wirtschaftlich sinnloser Entscheid?

Nach dem 17. Juli wusste man in Regensdorf bald, dass sogar die Kollegen von Soundcraft den Entscheid als «betriebswirtschaftlich sinnlos» erachten, die Produktion nach England zu verlegen. In beiden Betrieben hat man sich gefragt: Wie soll Soundcraft, die auf Serienproduktion eingestellt ist, die komplexen Einzelaufträge abwickeln, die bei Studer anfallen? Ob für die Ansprüche staatlicher oder privater Radio- und Fernsehstationen, ob für die Gläubigen im Vatikan oder in Mekka: Wenn Topqualität gefragt ist, ist Studer weltweit eine führende Adresse.

«Unser spezifisches Know-How», erklärt Huber als Abteilungs- und Projektleiter in der «Forschung und Entwicklung», «liegt im Systembau: Wer bei uns bestellt, wünscht nicht das eine oder andere Serienprodukt, sondern er hat ein ganz bestimmtes Problem, für das er die bestmögliche Lösung braucht. Und die liefern wir.»

Die Verlegung der Produktion wegen zu hoher Lohnkosten ist zweifellos eine vorgeschobene Begründung. Tatsächlich wird die Firma Studer ausgeweidet: Woche für Woche verlassen zur Zeit zwei bis drei volle Sattelschlepper Regensdorf Richtung England. «Wir sind uns hier einig», sagt Huber, «dass uns Harman bis in ein, zwei Jahren nicht mehr braucht».

Die Forderungen an Harman

Unterdessen hat sich – als Protest gegen seine Missachtung  – der «Studer spirit» wieder unübersehbar gemeldet: Nachdem Alternativvorschläge der Personalkommission zum Stellenabbau abgelehnt und Briefe an den Harman-CEO Dinesh C. Paliwal unbeantwortet geblieben sind, hat die Studer-Belegschaft Mitte August mit der Unia Kontakt aufgenommen. Eine erste Betriebsversammlung diente der Meinungsbildung, die zweite vom 15. September beschloss einstimmig Kampfmassnahmen.

Unterdessen hat die Unia 39 Neueintritte verzeichnet. «Dass sich so viele Kolleginnen und Kollegen hinter den Protest stellen würden, hätte ich nicht zu hoffen gewagt», sagt Huber. Noch vor zwei Monaten wäre eine solche Mobilisierung nicht denkbar gewesen. Elke Dähler ergänzt: «Wir sind uns einig, dass wir die Firma Studer, das Produkt Studer und unsere Arbeitsplätze retten wollen.»

Vorderhand erhält nun Blake Augspurger, Chef der Harman Professional Group, Post aus Regensdorf. Im Rahmen des Protestfestes hat die Studer-Belegschaft in einer Resolution ihren Widerstand angekündigt und drei Forderungen gestellt:

« • Sofortige Rücknahme der Kündigungen.

• Sofortiger Stopp des Abtransports von Studer-Material nach England und Sistierung aller Verlagerungsmassnahmen.

• Verhandlungen über Alternativlösungen, welche den Verbleib von Studer in Regensdorf ermöglichen.»

Der Kanton Zürich wäre gut beraten, mit der Krisenbekämpfung und Wirtschaftsförderung ernst zu machen und diese drei Forderungen offiziell zu unterstützen.

 

[Kasten]

Die Ausplünderung

Die Studer Revox AG war ein Prunkstück schweizerischer Industriegeschichte. 1994 ging sie als Studer Professional Audio GmbH an den US-amerikanischen Infotainment-Konzern Harman. Innerhalb dieses Konzerns bildet Studer zusammen mit dem englischen Mischpulteproduzenten Soundcraft die «Mixer Group». Während Studer Geld verdient, ist Soundcraft verschuldet und schreibt Verluste.

Jetzt soll mit der eingeleiteten Liquidierung von Studer die Schwesterfirma Soundcraft saniert werden.

 

In den folgenden Wochen hat Work-Redaktor Michael Stötzel den Kampf der Studer-Leute in Regensdorf weiter begleitet: «Doch Zürich hört, sieht, tut nichts» (Work Nr. 16, 9. 10. 2009); «‘Wir sind alle Fans von dem, was wir machen’» (Nr. 17, 23. 10. 2009); «Schwammige Versprechen» (Nr. 18, 6. 11. 2009). In diesem dritten Beitrag schrieb Stötzel: «Jetzt scheint der Entscheid gegen sie [die ‘Studer-Leute’, fl.] und gegen Studer nicht mehr abwendbar: Die Produktion geht zu einer britischen Harman-Tochter. An einem neuen Standort in Regensdorf sollen künftig nur noch Forschung/Entwicklung und der Service arbeiten. ‘Was wir erreicht haben, sind nur goldene Griffe am Sarg’, sagt einer, der blieben kann.»

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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