Der Mensch ist, was er isst

Mit einem langen Messer schneidet Magdalena Nauer für die Fotografin flink eine Schweinsschulter in Scheiben und Würfel. Die Ragoutstücke füllt sie in Plastiksäcke, die sie nacheinander in die Vakumiermaschine legt. Heute Morgen ist sie früh mit dem Auto aus dem Wägital heruntergekommen: Um sechs Uhr hat sie hier, in der Coop-Metzgerei von Siebnen (SZ), begonnen, die Verkaufsvitrinen mit Fleisch aus den Kühlräumen aufzufüllen.

Verkaufen und ausdressieren

Wenn um acht das Geschäft öffnet, sitzt Nauer gewöhnlich schon im Rayonleiterbüro am Computer: Bis neun Uhr muss die Warenbestellung für den nächsten Tag weg, «Da braucht es Übersicht über alle Bereiche: Umsatz und Bestand in der Selbstbedienung, in den Kühl- und Tiefgefrierräumen.» Darüber hinaus braucht es Erfahrung: Grossanlässe im Dorf, verlängerte Wochenenden, Ferienzeiten beeinflussen den Verkauf: «Eine geschickte Bestellpolitik steigert den Gewinn der Abteilung», sagt sie. «Du kannst nicht einfach hundert Seiten Lachs zu viel bestellen und dann auf fünfzig Prozent herabschreiben. Das würde in die Hunderte von Franken gehen.»

Das Publikum kauft einmal mehr, einmal weniger, will aber immer aus dem ganzen Angebot auswählen können. «Manchmal braucht es einfach Glück», sagt Nauer. «Für das Pfingstwochende zum Beispiel habe ich trotz unsicherer Prognose voll auf schönes Wetter gesetzt, das heisst: auf viel Grillfleisch. Als die Lieferung am Donnerstag eingetroffen ist, haben sich meine Kollegen an den Kopf gegriffen: viel zu viel! Schliesslich ist es wunderbar aufgegangen.»

Über diesen Bestellungen ist sie eine halbe Ernährungssoziologin geworden: Früher, als sie im Seedamm-Center von Pfäffikon (SZ) arbeitete, wo auch die neureiche Klientel des Schwyzer Steuerparadieses eingekauft, wurden vor allem Filetstücke gebraucht: «Bei der ländlichen Bevölkerung hier in Siebnen hingegen ist besonders häufig Voressen gefragt.»

Ist die Bestellung abgeschickt, löst Magdalena Nauer in der Metzgerei ihre Kollegin ab, ersetzt verkaufte Ware, nimmt für die Mittagszeit den Grill in Betrieb. Mittags trifft dann jeweils die neue Fleischlieferung ein. Mit der neuen Ware werden die Lücken im Selbstbedienungsbereich aufgefüllt. Insbesondere zu Beginn der Woche werden die neuen Aktionsangebote ausgestellt und plakatiert. Daneben: Rindsfilets und Braten einbinden, Fleischstücke «ausdressieren», das heisst von Fett und Haut befreien; gegen Abend die Bestände aufnehmen für die Bestellung am nächsten Morgen; vor dem Feierabend das Fleisch in die Kühlräume versorgen und die ganze Metzgerei blitzblank putzen. «Und zwischenhinein», fügt sie bei, «bediene ich natürlich die Kundschaft.»

Rühmen und kritisieren

Magdalena Nauer hat 1979 eine Lehre als «Bankmetzgerin» angefangen. Heute wird ihr Beruf als «Fleischverkäuferin» bezeichnet. In den letzten dreissig Jahren habe sich der Beruf stark verändert. Zum einen werde die Beratung immer wichtiger, sagt sie: «Von uns werden heute auch Kochanleitungen zu jedem Fleischstück erwartet.» Zum andern ist das Fischangebot stark gewachsen: Verkaufte man seinerzeit vor allem Forellen, Egli, Felchen und Lachs, sind unterdessen viele Salzwasserfische und Krustentiere dazugekommen.

Als Lehrmeisterin führt sie in der Coop-Metzgerei von Siebnen die Stiftinnen und Stifte in die neuen Anforderungen ein, im letzten Jahr zum Beispiel die Fleischverkaufsassistentin Lisa: «Wir lernten uns nach ihrem ersten Lehrjahr kennen. Sie hatte einen schwachen Notendurchschnitt von 4,3, weil es sie in der Schule abgehängt hatte. Ich habe mit ihr über ihre Probleme gesprochen und ihr Mut gemacht.» Im zweiten Lehrjahr ist Lisas Notendurchschnitt allmählich auf 5,3 gestiegen. «Ich versuche, die Jugendlichen zu motivieren, indem ich sie ernst nehme, ihnen zuhöre, sie rühme, wenn es etwas zu rühmen gibt, aber auch sage: So geht’s nicht, wenn’s so nicht geht.»

Als Unia-Delegierte im Bereich Verkauf schätzt sie die Arbeitsbedingungen bei Coop, weil sie jene ihrer Kollegen und Kolleginnen bei Migros, Manor, Denner, Aldi und Lidl kennt. Was sie jedoch kritisiert: die zunehmende Tendenz, jungen Berufsleuten, die die Lehre abschliessen, keinen Festanstellungsvertrag anzubieten, sondern sie bloss mit einem Stundenlohnvertrag anzustellen und sie dann trotzdem als «Hundertprozenter» einzusetzen: «Diese Art, an den jungen Kollegen und Kolleginnen Geld zu sparen, ist eine Sauerei.»

Auch, dass in ihrer Abteilung eine Kollegin auf Abruf im Stundenlohn arbeitet, ist für sie heikel: «Aber da schauen wir so gut es geht, dass sie regelmässig auf ihre Stunden kommt.»

 

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Lehre mit Unterbruch

Magdalena Nauer ist auf einem Bauernhof in Siebnen (SZ) aufgewachen. Ab 1979 Ausbildung in einem Familienbetrieb zum «Bankmetzger». Wegen zerstrittener Vorgesetzter bricht sie die Lehre ab. Nach 1981 Arbeit im Service, dann als Kassenfrau und Allrounderin beim Konsumverein in Zürich, dann als Charcuterie-Verkäuferin bei Coop. Ab 1988 in handwerklichen und kaufmännischen Funktionen bei der Ascom in Pfäffikon (SZ). 1995 zwei Jahre Erwerbspause nach der Geburt ihrer zwei Kinder. Zwischen 1997 und 2008 Verkäuferin in der Coop-Metzgerei des Seedammcenters in Pfäffikon. In dieser Zeit schliesst sie ihre Lehre mit dem Eidgenössischen Fähigkeitsausweis als «Fleischverkäuferin» ab und macht zusätzlich die Lehrmeister-Ausbildung. 2008 Wechsel innerhalb von Coop von Pfäffikon nach Siebnen, hier Stellvertreterin des Chefs der Metzgerei.

Sie ist Unia-Delegierte (Bereich Verkauf) und lebt mit Sohn und Tochter in der Gemeinde Vorderthal im Wägital. Sie ist begeisterte Fischerin. Die Jägerstochter hat ihren Vater oft begleitet und kann sich vorstellen, bei Gelegenheit das Jagdpatent zu lösen.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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