Der Sturm im Reagenzglas

Beda Stadler, Direktor des Instituts für Immunologie am Universitätsspital Insel in Bern, ist ein Polemiker, der an die naturwissenschaftliche Rationalität glaubt wie ein Fundamentalist an die Bibel. Darum hat er Anfang Februar am «Mändig-Apéro» in Bern im Streitgespräch mit der Theologieprofessorin Silvia Schroer das Ende der Theologie als akademischer Disziplin gefordert («Bund», 3.2.2009).

Aufklärung

Tatsächlich ist der Stellenwert der akademischen Theologie im Lauf der Jahrhunderte immer kleiner geworden. Zweck der «Hohen Schule», die in Bern im Reformationsjahr 1528 gegründet wurde, war die Ausbildung von Predigern, entsprechend war die Theologie – samt den Bibelsprachen Griechisch und Hebräisch – die «Leitwissenschaft».

1834 wird die Universität in einer veränderten Welt gegründet: Längst sind die Aufklärung und mit ihr auch Debatten über Materialismus und Atheismus salonfähig geworden. Im Kanton Bern hat die liberale Bewegung drei Jahre zuvor das bernische Patriziat politisch entmachtet. An der Universität ist die Theologie nur noch eine Disziplin unter anderen. Ein Lehrschwerpunkt der Fakultät gilt der «kirchlichen Zeitgeschichte». Die Professoren versuchen, den kirchlichen Protestantismus mit dem politischen Liberalismus zusammenzudenken.

Heute, 175 Jahre später, frotzelt Stadler, aus wissenschaftlicher Sicht müsste man ja wenigstens der Tatsache Rechnung tragen, dass es 60’000 Götter gebe und demnach ebenso viele theologische Lehrstühle geben müsste.

Erklärung

Kathederhäme für die Theologie: Gibt es für sie als akademische Disziplin tatsächlich keine Argumente mehr? «Doch, natürlich», sagt Martin George, Dekan der Theologischen Fakultät an der Universität Bern und erwähnt drei Punkte: Erstens werde die Theologie hierzulande sowie in weiten Teilen Mittel- und Nordeuropas an staatlichen Universitäten betrieben. Damit finde die Arbeit, das Transzendentale rational zu durchdringen, im Rahmen einer kritischen Öffentlichkeit statt. Dieser Rahmen bewahre die Theologie davor, abzudriften in Fundamentalismen wie zum Beispiel den kreationistischen.

Zweitens basiere die an der Universität Bern betriebene Theologie auf den Instrumenten der Kritik, die aus der Aufklärung hervorgegangen seien. «Ihre wichtigste Methode ist die historisch-kritische, mit der versucht wird, die religiösen Texte – auch Offenbarungstexte wie jene des Alten und des Neuen Testaments – zu interpretieren.» Zentral sei dabei die Tatsache, dass jeder Text unter besonderen historischen Umständen von Menschen aufgeschrieben und seither – unverändert oder verändert – von anderen weitergegeben worden sei. Wichtig geworden sei im Bereich der praktischen Theologie zudem die aus den Sozialwissenschaften kommende empirische Methode, mit der man das religiöse Leben als soziale Tatsache zu erfassen versuche.

Drittens weist George auf das spezifisch schweizerische Arbeitsfeld der evangelischen Theologie hin – immerhin hätten in diesem Land mit Huldrych Zwingli und Johannes Calvin zwei herausragende Reformatoren gewirkt. «Es geht deshalb auch darum, das kulturelle und historische Erbe des Protestantismus zu bewahren, zu pflegen und lebendig zu erhalten.»

Klärung

Für den Rektor der Universität Bern, Urs Würgler, ist die Infragestellung der Theologischen Fakultät ein Sturm im Wasserglas: «An dieser Fakultät geht es um Wissenschaft. Die Methoden, mit denen dort gearbeitet wird, sind so wissenschaftlich wie jene an den anderen Fakultäten.» Er sei stolz auf ihre Arbeit und sehe zurzeit keinen Grund, in diesem Bereich über Veränderungen zu diskutieren.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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