Viele Eisen im Feuer

Mit der Abbrechzange löst Roland Bosshard das Hufeisen aus der linken Hinterhand von Licoeur, einem geduldigen Freiberger Hengst. Dann säubert er mit dem Rinnmesser den Huf von Stroh und Gras und schneidet mit flinken Bewegungen das nachgewachsene Horn aus. Mit der Raspel macht er die Huffläche eben. In der fahrbaren Schmiede draussen vor dem Stall wird das Hufeisen im kleinen Gasofen bei 1300 Grad innert Minuten zur Rotglut erhitzt. Auf dem Amboss hämmert er es in die gewünschte Form und kühlt es im Wasserkessel. Dann fixiert er das Eisen mit sechs Nägeln am Huf des Pferds. Mit der Hufbeschlagszange zwickt er die Nagelspitzen ab, die auf einer Reihe gut drei Zentimeter über dem Eisen aus dem Huf getreten sind. Schliesslich schlägt er die Nagelstümpfe mit dem Hammer krumm, damit sich das Eisen nicht lösen kann. 

Der Boom der Sport- und Freizeitpferde

Zwar braucht es heute in der Landwirtschaft und im Militär kaum noch Pferde. Trotzdem nimmt ihr Bestand in der Schweiz kontinuierlich zu. Anhand der Hufeisen, die verkauft werden, schätzt Bosshard, dass heute in der Schweiz gegen 100’000 Tiere regelmässig beschlagen werden – vor allem Sport- und Freizeitpferde. «Die wirtschaftliche Krise in der Metallbranche geht an uns Hufschmieden vorbei», sagt er: «Pferde brauchen einfach von Zeit und Zeit neue Eisen.»

Mit der veränderten Nutzung der Tiere ist auch das Berufsbild des Hufschmieds in Bewegung geraten. Bisher hiess der Beruf «Schmied/Hufschmied», und in der vierjährigen Ausbildung wurden drei Jahre auf den Schmied und ein Jahr auf den Hufschmied verwendet. Auf den 1. Januar 2009 ist nun die Berufsbildungsverordnung für die neue, vierjährige Ausbildung zur Hufschmiedin respektive zum Hufschmied in Kraft gesetzt worden.

Neue Zeiten schaffen neue Bedürfnisse: Nicht nur die Nutzung der Pferde hat sich verändert, auch ihre Halter und Halterinnen. Früher hatten vor allem die Bauern Pferde, die sie zur Arbeit auf den Höfen und als Dragoner im Militär nutzten. Sie verfügten im Umgang mit den Tieren über viel althergebrachtes Wissen und eine grosse Erfahrung. Heute halten sich auch Leute ein Pferd, die es zu nutzen wünschen wie ein Motorboot: Es soll funktionieren, wenn man es braucht. Bosshard: «Der Hufschmied, der das Pferd regelmässig alle acht Wochen sieht, wird immer mehr zur ersten Ansprechperson für alle Fragen der Halter.»

Vom Handwerker zum Dienstleister

Aus dem Handwerker ist ein Dienstleister geworden, bei dem ganz selbstverständlich Gesprächsfähigkeit und ein breites Fachwissen erwartet werden. Entsprechend setzt die neue Ausbildung neben der Erlernung des Handwerks insbesondere zwei Schwerpunkte:

• «Wir arbeiten Hand in Hand mit den Tierärzten», sagt Roland Bosshard. Das setzt veterinärmedizinisches und anatomisches Wissen voraus. Im nächsten Monat kommt ein elektronisches Lehrmittel für den Hufbeschlag in den Verkauf, mit dem künftig gleichermassen Tierärzte und Hufschmiede ausgebildet werden. Sie sollen sich in Zukunft auch mit den gleichen lateinischen Bezeichnungen über anatomische und pathologische Tatbestände verständigen können.

• Einen zweiten Schwerpunkt bildet die Materialkunde. Wurden früher Pferde ausschliesslich mit Eisen beschlagen, so verwendet man heute auch Aluminium, Titan und verschiedene Kunststoffe. In besonderen Fällen kommen Hufschuhe zum Einsatz. Zudem wird vom Hufschmied heute verlangt, dass er Hufe, die eine Rissverletzung aufweisen, mit speziellen Klebstoffen behandeln kann.

Zentral bei der Arbeit am Pferd ist die Erfahrung, und deshalb braucht es die vier Jahre, ist Bosshard überzeugt. Wie schlägt man sechs Nägel in den Huf, ohne das Pferd zu verletzen? Wie geht man mit schlechten, verletzten oder kranken Hufen um? «Das Entscheidende lernt man nicht am Modell.» Für Bosshard ist die neue Ausbildung darum ein «Riesenschritt vorwärts»: «Bisher waren wir im internationalen Vergleich im Rückstand, jetzt haben wir neben England die umfassendste Ausbildung.» Pro Lehrjahr sollen in der Schweiz künftig ungefähr zwanzig Hufschmiede ausgebildet werden.

Weil Bosshard seinen Beruf «cool» findet, engagiert er sich dafür, das Fachwissen zu pflegen und weiterzugeben. Deshalb organisiert er für das Swiss Farrier Team Hufschmiede-Wettkämpfe, auch internationale: «In Wettkämpfen lernt man viel von seinen Konkurrenten. Man sieht, was andere machen, wie sie’s machen, und man spricht miteinander darüber». Früher, sagt er, habe jeder Dorfschmied ein bisschen das Gefühl gehabt, so wie er könne es keiner: «Heute sind die Jungen offener und wollen von den anderen lernen. Das ist ja nicht nur bei den Hufschmieden so.»

 

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Ein junger Meister

Aufgewachsen ist Roland Bosshard (* 1981) in einem Schmiedebetrieb in Elgg (ZH). Deine Lehre als Schmied/Hufschmied bei der Hofer AG in Müntschemier (BE). Nach Rekrutenschule und Lehrabschluss ein Jahr als Schmied Swisscoy-Soldat im Kosovo. Zurück in der Schweiz, arbeitete er als Hufschmied im Emmental, temporär als Schmied und Schlosser und zwei Jahre lang als Werkstattchef in der Metallbaufirma C. M. A. SA in Fribourg (mit 36 Untergebenen).

Schliesslich Rückkehr in seinen Lehrbetrieb, die Hofer AG. Weiterbildung zum qualifizierten Hufschmied, Absolvierung des Lehrmeisterkurses und zwei Jahre lang berufsbegleitend höhere Fachschule mit dem Abschluss als Schmied/Hufschmied-Meister (Mai 2008).

Heute arbeitet er vier Tage in der Hofer AG, einen Tag selbständig. Dass er später einen eigenen Betrieb übernimmt, kann er sich «sehr gut vorstellen». – Ein Hufschmied verdient zwischen 4000 und 5000 Franken monatlich. Als leitender Angestellter ist Roland Bosshard weder in einer Gewerkschaft noch im Arbeitgeberverband Schweizerische Metall-Union (SMU). Zusammen mit seiner Freundin ist er stolzer Pferdebesitzer und engagierter Reiter.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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