Kaderli, Bölsterli, Chlütterli und Zigerli

 

Zum Journal B-Originalbeitrag.

 

In den späten 1960er Jahren ist Heinz Däpp (* 1942) Redaktor des freisinnigen Burgdorfer Tagblatts. Er macht es zu einer der mutigen, linksliberalen Stimmen des deutschschweizerischen Nonkonformismus. Später berichtet er als freier Journalist «über den Ernst der Lage im Kanton Bern und in der Schweiz», bis er eines Tages «nicht einmal mehr sich selber ernst nehmen konnte», wie er auf seiner Website schreibt. Eine zeitlang verfasst er nun gleichzeitig satirische und journalistische Texte. Gegen Mitte der 1990er Jahre sei das nicht mehr gegangen, hat er letzthin im Wäbere-Saal an der Vernissage seines neuen Buches erzählt: «DLüt si einfach nümm druscho, wüu si nümm gwüsst hei: Isch iz das ärnschthaft oder ischs e Satire?»

Zwischen 1995 und 2010 ist er jeden Freitagabend um fünf vor sechs im DRS1-Regionaljournal mit einem fünfminütigen «Schnappschuss» zu hören. Er sei glücklich gewesen, sagt er, sich nun ganz auf die Satire konzentrieren zu können: «I dr Satire cha me sehr viu pointierter rede und ir Kommentierig sehr viu witter ga aus im ärnschtgmeinte Kommentar.»

Satire als Karikatur mit Wörtern

Nun sind – nach drei Büchern und drei Audio-CD’s mit «Schnappschüssen» (Licorne-Verlag, 2000-2008) sowie dem Band «Der alltägliche Wahnsinn» (Verlag Wegwarte, 2012) – neue Däpp-Satiren in Buchform erschienen: «Es isch nümm wi aube» ist eine Sammlung von 49 Texten, illustriert mit Farbfotografien von Skulpturen Hans-Rudolf Wüthrichs. Texte und Skulpturen passen ausgezeichnet zusammen. Das Allzumenschliche, das Wüthrich in die Gesichter und Haltungen seiner etwa dreissig Zentimeter hohen Tonfiguren einschreibt, holt Däpp aus seiner Sprache heraus, wobei das Berndeutsche dafür ideal sei: «Bärndütsch chan i di böösischte Sache säge, und dLüt meine geng no, si ghöri dr Aupsäge.»

Die Inspiration für Däpps Texte kommt zum Teil aus politischen Beobachtungen, zum Teil aus Alltagssituationen, die er satirisch überhöht: «DSatire isch di gschribnigi Karikatur. DRichtig, dr Chärn, das mues schtimme. Um dä Chärn ume chame beliebig fabuliere.» An der Vernissage wird er gefragt, wie er zu seinen Figuren komme. Er habe, antwortet er, als Journalist während Jahrzehnten Grossratsberichterstattungen gemacht und dabei gemerkt, «dass es so Hans-Ueli Kaderlis git» – Kaderli ist unterdessen eine seiner wichtigsten Figuren. Die Jahre im Grossen Rat hätten ihn sogar in der Überzeugung bestärkt, «das es dert öppe vierzg Kaderlis git. Und wem e dBölsterli, Chlütterli und Zigerli no drzuenimmt, de sis öppen achzg.»

Zur Grundstruktur von Däpps Satiren gehört, dass er gegen die oft behäbig-bornierte Weltsicht dieser Männer Gegenfiguren als Stimmen der praktischen Vernunft montiert: In den erwähnten Fällen sind das Kaderli Rösi, Bölsterli Trudi, Chlütterli Vreni und Zigerli Leni. Bald nach Kaderli habe er die Rösi erfinden müssen, «dass i o cha säge, was ii meine. Kaderli Rösi – das bi eigentlech i.»

Zwischen Tiefsinn, Scharfsinn und Unsinn

Heinz Däpp schreibt seine Rollenprosa in einer bemerkenswert stilsicheren Sprache. Sie wirkt so überzeugend, weil er die Charaktere, die er zeichnet, so genau kennt. Von seinem Kaderli stelle ich mir vor, dass er ihn spätestens in seiner Burgdorfer Zeit kennengelernt hat und mit ihm seither im Gespräch geblieben ist. Beginnt Däpp als Satiriker zu karikieren, bewährt er sich als präziser Wortspieler, der die Statements seiner Figuren mäandern lässt im Grenzgebiet von Tiefsinn, Scharfsinn und Unsinn.

René Neuenschwander zum Beispiel ist einer, der modernste technische Geräte besitzt, obschon er sie allesamt nicht zu bedienen weiss, sich aber damit tröstet, dass sie weniger schnell kaputt gehen, wenn man sie nicht braucht. Darum ist es für Neuenschwander so: «Was nützin ihm aui di Sache, wenn er wüsst, wi si giengte, aber sie giengte nid. Gäng no besser, er weis nid, wie si göh, aber si göh.» Und wenn Klaus Krümeler wieder eine seiner philosophischen Anwandlungen hat, dann tönt das zum Beispiel so: «Das, was chunnt, das chunnt, öb me’s wott oder nid. Wem me’s nimmt, wi’s chunnt, de chunnt’s, wi’s wott. Drum sött me’s nid näh, wi’s chunnt, de cha’s o nid cho, wi’s wott.»

Keine Steuern mehr in Blümliswil

Vor zwei Jahren ist nun also Kaderli Rösi «zur Gmeinspresidäntin vo Blüemliswyu gwääut worde» – nota bene «zäme mit Horisberger Rüedu (SVP, bishär), Hostettler Rüedu (SVP, bishär), Habegger Rüedu (SVP, bishär), Hirsbrunner Rüedu (SVP, bishär), Haldimann Rüedu (SVP, bishär) u Hugentobler Rüedu (BDP, nöi)». Nach fünf Sitzungen sind sämtliche SVP-Vertreter zurückgetreten («Es syg im Gmeinrat eifach nümm wi aube»). Die nötig werdenden Neuwahlen bringen eine klare Frauenmehrheit und die Neuerungen, die dadurch im Dorf möglich werden – vom Kinderspielplatz über den «Füfwücheler für di junge Burschte, für dass si ihri Hemmli säuber chöi glette» bis zur Frauendisco in der Dorfbeiz «Durschtige Brueder» – entwickeln sich rasch zum Standortvorteil. Bald befinden sich die Firmensitze von Triumph, Calida und Yves Saint Laurant im Dorf und «di gwöhnleche Lüt dört müesse keni Stüüre meh zale».

Immer neu zeigen Däpps Satiren, was passieren könnte, wenn Kaderli, Bölsterli, Chlütterli und Zigerli ihre Frauen nicht mehr im Griff hätten. Dass es nächstens so weit kommt, ist zwar nicht zu befürchten, und käme es so, wer weiss, vielleicht würde sich zeigen, dass Frauen auf die Dauer auch nur Menschen sind. Aber in seinen Frauenstimmen weist Däpp auf menschenfreundlich-augenzwinkernde Art darauf hin, was eigentlich alles möglich werden könnte, wenn es denn schon nicht mehr kommen will, wie es war.

Heinz Däpp: Es isch nümm wi aube. Thun/Gwatt (Werd & Weber Verlag) 2016.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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