Der Mann für alle Fälle

Pikettdienst heisst für Jakob Hauri, sechs Mal pro Jahr eine Woche lang innert dreiviertel Stunden «auf Platz» zu sein. Tag und Nacht. Am Pfingstsonntag kam der Alarm zum Beispiel morgens um eins: Stromausfall im Rechenzentrum der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich! Hauri organisierte Elektriker und Informatiker, stellte die Alarmanlagen ab, brachte die Kälteanlage für die Grossrechner wieder in Gang. Um halb acht war der Einsatz beendet. Am Nachmittag tippte er den Rapport zum Schadenfall. Am gleichen Wochenende: ein Brandalarm und Heizungen, die den Dienst versagten.

Hauri beklagt sich nicht. «Die ETH ist ein guter Arbeitgeber, wir haben hier die 41-Stunden-Woche und eine Pensionskasse», sagt er. «Aber was nützt das, wenn die Kollegen und Kolleginnen im privaten Sektor viel schlechtere Arbeitsbedingungen haben?» Der Druck auf den öffentlichen Institutionen, die Reinigungsarbeiten auszulagern, führe dazu, dass die eigenen guten Arbeitsbedingungen zum arbeitsplatzbedrohenden Konkurrenznachteil würden.

Hier gibt es nichts gratis

«Ich sage immer: Viele meiner Kollegen leisten sich eine Ferienwohnung. Ich habe keine, dafür habe ich die Gewerkschaft und meine Meinung.» Bei den Arbeitskämpfen, die in seiner Branche im Raum Zürich in letzter Zeit nötig geworden sind, hat er als VPOD- und Unia-Aktivist jeweils hinter den Kulissen mitorganisiert:

• Im Frühjahr 2005 streikt das Putzpersonal des «Agroscope Reckenholz», der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Agrarökologie und Landbau. Grund: Die «Honegger Reinigungen AG», die dort die Putzarbeiten besorgt, versucht mit Änderungskündigungen die Arbeitsbedingungen ihres Personals zu verschlechtern. Nach einem von Unia und VPOD unterstützten Streik ( siehe«Work», 8. April 2005) nimmt Honegger die Kündigungen bedingungslos zurück.

• Vor ihrem Rücktritt Ende Mai 2006 versucht die freisinnige Zürcher Regierungsrätin Dorothée Fierz, den Reinigungsdienst der Kantonsverwaltung auszulagern. Mit hartnäckigem Widerstand über Monate gelingt es dem Personal mit VPOD-Hilfe, den Angriff vorderhand abzuwehren: Die geplante Auslagerung ist auf Ende 2012 verschoben worden.

• Im August 2006 übernimmt eine neue ETH-Sprecherin die Corporate Communications-Abteilung: Kurz darauf erhalten Mitarbeiter die Kündigung, Pensen werden gekürzt, weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kündigen daraufhin selbst. Als die Leiterin am 4. Dezember den ETH-Spitzen einen Apéro offeriert und ihnen ihre Visionen vorträgt, erhält sie einen Überraschungsbesuch: Die VPOD-Sektion der ETH Zürich überreicht ihr für die ungerechtfertigten Entlassungen und die Willkür den «First Communication Cactus Award», den Kaktus für schlechte Kommunikation.

Hauri freut sich, dass seit dem 1. April 2007 der hart erkämpfte Gesamtarbeitsvertrag des Reinigungsgewerbes allgemeinverbindlich in Kraft ist. 35000 Beschäftigte in der Deutschschweiz profitieren von den Verbesserungen beim 13. Monatslohn, beim Mutterschaftsurlaub und im Bereich der Spesenentschädigungen. Hauri weiss, wovon er spricht, wenn er sagt: «Es braucht überall die Hilfe der Gewerkschaften, aber es braucht auch immer wieder die Solidarität und den Kampfwillen der direkt Betroffenen.»

Guter Verdienst – gute Leistung

Wenn er wieder 25 wäre, sagt Hauri, würde er sich noch einmal für diesen Berufsweg entscheiden: «Kein Tag ist hier wie der andere.» Hausmeister müssen von vielen Handwerken das Wichtigste verstehen: von der Haus- und Reinigungstechnik, von den Arbeit der Sanitäre, Schlosser, Maler, Elektriker und Schreiner, vom Gartenbau, von Administration und Personalführung.

Hauri ist an der ETH zuständig für die 35 Aussenliegenschaften des «Gebäudebereichs Rechenzentrum». Zu seinen Aufgaben gehören Kleinreparaturen und Pikettdienste, Kostenberechnung und Planung der Reinigung oder die Qualitätskontrolle der Arbeit von Angestellten externer Putzinstitute.

«Klar müssen die Arbeitsbedingungen stimmen», sagt Hauri, «aber es geht auch um die fachliche Qualifikation, um die Arbeitsqualität». Deshalb hat er sich als Gewerkschafter zum Präsidenten der eidgenössischen Prüfungskommission für die Hauswartsausbildung wählen lassen. Im letzten Jahr haben sie 260 Männer und 10 Frauen erfolgreich abgeschlossen.

«Wichtig zu sagen ist mir hier auch, dass ich nicht einer bin, der für eine Pflästerlipolitik kämpft. Mir geht es um eine Gesellschaft, in der es Wichtigeres gibt als Gewinnmaximierung und prekäre Arbeitsverhältnisse.» Jakob Hauri ist überzeugt: «Der Sozialismus ist nicht passé. Er ist die Alternative, für die die Linke wieder einstehen und kämpfen muss.»

 

[Kasten]

Der Gewerkschaftsaktivist

Jakob Hauri (* 1952) hat in Zürich Schreiner-Maschinist gelernt. Nach ersten Berufsjahren in der Privatwirtschaft geht er 1977 unter dem Eindruck der Krise in einen Staatsbetrieb: Er wird an der ETH Modellschreiner in der Architekturabteilung. Ein Jahr später wechselt er in den Haus- und Reinigungsdienst, in dem er nun seit fast dreissig Jahren als Hausmeister tätig ist.

Er ist als ehemaliger Schreiner Unia- und als ETH-Angestellter VPOD-Mitglied. Heute ist Hauri, der sich als linker Sozialdemokrat versteht, bei der Unia Vizepräsident der Sektion Zürich, Co-Präsident der Sektion Zürich Schaffhausen und Landesdelegierter, beim VPOD Gruppenpräsident Hausdienst und technischer Dienst ETH und nationaler Verbandskommissionspräsident Wartung und Reinigung. In beiden Gewerkschaften arbeitet er zudem in der jeweiligen Geschäfts- und Rechnungsprüfungskommission mit. Zudem ist er Mitglied der Gewerkschaftsbund-Vorstände von Stadt und Kanton Zürich und der ETH-Personalkommission.

Jakob Hauri ist verheiratet und lebt in Zürich. Er hat einen Sohn und eine Tochter, beide erwachsen, und ein Enkelkind. Er verdient 6500 Franken brutto pro Monat.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


v11.5