Mehr Nötzli als James Bond

Fünfter Stock in einem Block im Osten Berns. Hier ist der «Dienst für Analyse und Prävention» (DAP) untergebracht, der schweizerische Inlandnachrichtendienst. Bis nach dem Kalten Krieg hiess diese Behörde «Bundespolizei», nach der Fichenaffäre 1989 taufte sie der linke Volksmund «Schnüffelpolizei». Aber eigentlich ist sie der Geheimdienst. Oder der Staatsschutz? In seinem Büro sagt Ueli Röthlisberger: «Der DAP ist ein Dienstleistungsbetrieb, der im Auftrag der politischen Behörden einen Beitrag zum Service Public, insbesondere zur inneren Sicherheit unseres Landes, erbringt.»

Fleissarbeit, nicht Spektakel

Sich wie James Bond zu gebärden, gehört nicht zu Röthlisbergers Pflichtenheft. Es ist eher wie beim Buchhalter Nötzli: Der Tag beginnt mit dem Leitungsrapport zur aktuellen Lage, dann wartet ein Stoss Post mit neuen Informationen aus dem In- und Ausland, Antworten auf parlamentarische Anfragen müssen entworfen, Fachgespräche in nationalen oder internationalen Gremien geführt werden. Dazu kommt das oft unplanbare Tagesgeschehen. Und: «In allen entscheidenden Aktionen meines Fachbereichs behalte ich die direkte Führung.»

In diesen Bereich fällt alles, was die Nonproliferation betrifft, also die Nichtweiterverbreitung von industriellen Gütern betrifft, die zum Bau von atomaren, biologischen und chemischen Waffen oder deren «Trägermitteln» – also von Raketen – dienen können. Weltweit stehen Röthlisbergers Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit rund fünfzig Nachrichtendiensten in Kontakt.

Dazu kommt die Kontrolle gewisser schweizerischer Industriebranchen, zum Beispiel des Werkzeugmaschinenbaus und der Biotechnologie. Hier werden teilweise Produkte hergestellt, die als «Dual-Use-Güter» gelten. Das sind Güter, die sowohl zivil genutzt als auch militärisch missbraucht werden können. Als Beispiel nennt Röthlisberger den Fermenter: «Er kann für sehr nützliche Dinge gebraucht werden, für die Herstellung von Serum, Trockenhefe oder Medikamente etwa. Aber mit ihm lassen sich eben auch biologische Kampfstoffe herstellen.»

Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen in die betreffenden Betriebe und machen die Zuständigen auf die aktuellen Probleme der Nichtweiterverbreitung und die Abwehr von Wirtschaftsspionage aufmerksam. «Schwarze Schafe», die es wie überall auch hier gebe, würden wenn möglich ausgeschaltet: «Zurzeit ermittelt die Bundesanwaltschaft aufgrund unserer Hinweise zum Beispiel gegen mehrere Firmen in der Ostschweiz, die Atomtechnologie nach Pakistan geliefert haben.»

«Die leidige Fichenaffäre»

Röthlisberger kam 1983 zur Bundespolizei (BUPO). 1989 kam dann die «Fichenaffäre»: Eher zufällig war eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) auf Hunderttausende von Fichen gestossen, die die Schnüffelpolizei über angebliche Systemgegnerinnen und -gegner angelegt hatte. «Seither sind wir vermutlich der meistkontrollierte Bundesbetrieb überhaupt.» Bis heute ärgert ihn, dass die PUK damals nicht berücksichtigt habe, dass die BUPO – und auch die damaligen Kontrollinstanzen – sehr wohl um die mangelnde Qualität der teils veralteten Fichen gewusst hätten, die wegen eines laufenden EDV-Projekts lange kaum mehr gepflegt worden seien: «Weil wir schon damals gewusst haben, was Hackerangriffe sind, hätten wir damals das gebraucht, was wir nun haben: ein politisch kontrolliertes, aber abgeschottetes Informationssystem.»

Im übrigen gebe es in Bezug auf «die leidige Fichenaffäre» nichts «blankreden». In jedem Betrieb gebe es Fehler. Tatsache sei aber, dass während des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Kriegs «ein anderer Zeitgeist» geherrscht habe als zu Beginn der neunziger Jahre. Zudem gebe es einen Grundwiderspruch: «Auf der einen Seite werden uns schnell Vorwürfe gemacht, wenn wir etwas nicht zum Voraus erkennen. Auf der anderen Seite muss ich feststellen: Im internationalen Vergleich werden uns für unsere Arbeit wenig Mittel zur Verfügung gestellt.» Er akzeptiere die politischen Rahmenbedingungen, müsse das aber einfach feststellen.

Die schmutzige Bombe

«Es gibt heute zum Glück weltweit noch keine extremistische, terroristische oder kriminelle Organisation, die die Fähigkeit hat, echte Massenvernichtungswaffen zu bauen. Aber die Gefahr steigt, dass solche Organisationen, zum Beispiel, an radioaktives Material heran kommen.» Daraus könnten sie zwar keine Atombomben, wohl aber sogenannte schmutzige Bomben bauen: Sprengt man radioaktives Material mit konventionellem Sprengstoff in die Luft, kommt es zwar nicht zur Kernexplosion, trotzdem kann damit eine ganze Region radioaktiv verseucht werden. «Man stelle sich vor, eine solche Organisation würde die Fussball-WM im Sommer in Deutschland oder die Euro ’08 in der Schweiz mit einer solchen Bombe bedrohen. Solche Gefahren gibt es», sagt Röthlisberger. «Für mich ist das Grund genug, mich weiterhin zu engagieren.»

 

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Der Matrose beim Staatsschutz

1963, mit sechzehn, türmte Ueli Röthlisberger. Statt ins Lehrerseminar ging er ins Welschland und arbeitete ein Jahr lang als Gehilfe bei einem Bäcker. Danach absolvierte er eine dreijährige Lehre als Rheinmatrose, später in der Zürcher Kaserne als Infanterist die RS und die UO, schliesslich die Ausbildung zum Kantonspolizisten.

Ab 1974 war er verantwortlicher Kriminalpolizist im Zürcher Hauptbahnhof, ab 1982 ein Jahr lang Sekretär des kantonalen Polizeikommandanten. 1983 wechselte er zur Bundespolizei. Innerhalb des Diensts für Analyse und Prävention leitet er heute den Fachbereich Nonproliferation und Organisierte Kriminalität.

Röthlisberger ist seit mehr als zwanzig Jahren polizeigewerkschaftlich aktiv, heute – nach 1992 bis 1997 zum zweiten Mal – als Präsident der «Gewerkschaft der Polizisten des Bundes», einer Sektion des Verbands Schweizerischer Polizeibeamter. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Zum Ausgleich betreibt er Lauf- und Fitnesstraining und hofft, im nächsten Mai beim Grand Prix von Bern zum zwanzigsten Mal mitlaufen zu können.

 

Diesem Berufsporträt wurde folgender Zusatz beigestellt:

«Fichenskandal: Röthlisbergers brisante Aussagen

work berichtet über die Arbeitswelt und lässt alle zu Wort kommen. Diesmal sogar einen Mitarbeiter des Inland-Nachrichtendienstes. Sein Aufgabenbereich: Er soll verhindern, dass Atomtechnologie verbreitet wird. Hochaktuell angesichts des Streits um das iranische Atomprogramm.

Inland-Nachrichten-Dienst-Mitarbeiter Ueli Röthlisberger redet aber auch über den Fichenskandal, der bis heute seinem Amt zu schaffen macht. Der Schweizer Schnüffelstaat richtet sich auch gegen Linke und Gewerkschafter. 900'000 Fichen von Personen (und Organisationen) wurden angelegt. Viele von ihnen haben den Job verloren oder eine Stelle gar nie bekommen. Wegen Denunzianten und Dilettanten. Im Gegensatz zu anderen Ländern flog der Fichenstaat in der Schweiz auf. Alle Fichierten erhielten das Recht, Akten einzusehen. Dank den Linken und den Gewerkschaften. Leider wurde die politische Polizei nicht abgeschafft. Das politische System hat es verstanden, die Linke in die Überwachung zu integrieren.

Röthlisbergers Aussagen zum Fichenskandal sind brisant. Aus der Sicht des Apparates waren nicht die Fichen das Problem, sondern das noch nicht wasserdicht funktionierende EDV-System.

Heute funktioniert das EDV-System. Und wird von der Geschäftsprüfungsdelegation kontrolliert. Darin sitzen aus der Ratslinken der grün-gelbe Gewerkschafter Hugo Fasel (als Vizepräsident) und SP-Genosse Claude Janiak. Auch in der Vergangenheit liessen sich Genossen als Alibi gebrauchen. Ist es heute anders? Wir bleiben dran.

Die Redaktion»

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Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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