Lebenswerk sucht Erbin mit Ehre

Die Haberweidstrasse in Uster ist ein Blockquartier aus den 50er Jahren. Betritt man über die Aussentreppe den Kellerraum eines dieser Blocks, steht man im Atelier von Josef Bencze-Wyss: asuf Tablaren Stahlskulpturen, Kindspielsachen aus Holz, Ordner voller Karikaturen. Und an den Wänden überall Bilder, die meisten im Format 70 mal 50 Zentimeter; mit Ölkreide gemalte Figuren unter hohen Himmeln, leuchtende Sommerlandschaften, trübes Herbstlicht, verschneite Bäume. Neben der Staffelei stehen vier selbstgezimmerte, niedrige Holzschränke, in denen weitere 4500 Bilder in optimaler Schräglage aufbewahrt liegen.

In der Schweiz bei null angefangen

Als Josef Bencze-Wyss im November 1956 in der Schweiz eintraf (siehe Kasten), kam er in eine andere Welt. Er fand Arbeit als Maschinenmechaniker in Flums (SG). 1957 wechselte er in die Baumaschinenfabrik AG Zürich Altstätten. Neben der Arbeit lernte Deutsch. 1959 begegnete er an einer Tanzveranstaltung seiner zukünftigen Frau. Weil es zum Wohnen billiger war, zogen sie zusammen nach Uster an die Haberweidstrasse: «Wir haben damals bei null angefangen.» 1960 und 1964 kamen die beiden Söhne zur Welt. Im Herbst 1960 kündigte Bencze-Wyss seine Arbeit in Altstetten und wechselte in eine Spindel- und Webmaschinenfabrik nach Uster. Damals trat er dem Smuv bei, er ist bis heute Unia-Mitglied.

Auf die Pinselablage seiner Staffelei hat er jetzt einen Stoss seiner Arbeiten gestellt. Während er kommentiert, zeigt er Bild um Bild: «Ich male Landschaften, die in meinem Kopf sind, weil ich sie gesehen habe. Ich bin Impressionist, nicht Abgucker, ich male erlebte Geschichte. Ich suche den Moment, Farben, Kontraste, Differenzen, nicht das Fotografische.» Er male die Natur, weil er die Natur liebe: «Sie ist die beste Arbeitgeberin: Sie gibt für die Arbeit Brot, und sie hat noch nie eine Kündigung ausgesprochen.»

Er sei nicht der beste Maler, es gebe ja auf der Erde x Millionen kreative Leute. Aber darum gehe es nicht: Er versuche zu erreichen, dass sich die Leute durch seine Bilder «befreit» fühlten. Für ihn sei sein Atelier zur «zweiten Welt» geworden: «Hier drin habe ich jeweils den Reissverschluss geöffnet und bin aus dem Werktags-Bencze herausgeschlüpft. Das Malen hat mir geholfen, auch schweren Zeiten durchzustehen.»

Die Krisenjahre nach 1993

1964 wechselt Bencze-Wyss in den Landmaschinenbau und beginnt für Massey-Ferguson in Dübendorf zu arbeiten. Daneben engagiert er sich im Rahmen von «Jugend + Sport» 23 Jahre lang als Fussballtrainer. Ab 1976 arbeitet er in der Maschinenfabrik Rolba AG in Wetzikon (ZH), baut als Mechaniker zuerst neun Jahre lang Strasskehrmaschinen, Pistenfahrzeuge und Schneefräsmaschinen, dann wechselt er in die Qualitätskontrolle der Firma. 1993 geht die Rolba AG Konkurs, Bencze-Wyss wird mit 57 arbeitslos, geht für zweieinhalb Jahre in eine Kunststofffabrik in Pfäffikon (SZ), wird mit 60 wieder arbeitslos, jobbt, besucht RAV-Kurse, schreibt Bewerbungen: «Das war eine Riesenbelastung.»

Schliesslich findet er als Maschinenmechaniker eine feste Stelle beim Metall-Wärmebehandlungszentrum Schaub AG in Fällanden (ZH), das später «Logotherm» und zur Zeit seiner Pensionierung am 31. Oktober 2001 «Bodycote Wärmebehandlung» heisst. Hier hatte er seine Kreativität als Spezialist für knifflige Probleme und Einzelanfertigungen zu beweisen. Das Arbeitszeugnis beweist: Er hat es geschafft.

Heute sucht Bencze-Wyss für sein künstlerisches Lebenswerk, das Tag für Tag wächst, eine «Erbin mit Ehre», eine grosse kulturelle oder humanitäre Vereinigung, die die Möglichkeit hat, es zu betreuen und zu verwerten. Er sei zwar katholisch erzogen worden, sagt er, aber sein Prinzip sei nicht die päpstliche Liebe. Man müsse den Menschen mit Respekt begegnen und wenn jemand Hilfe brauche, dann müsse man ihm helfen, bis er wieder fähig sei, «Baumeister seines Lebens» zu sein: «Mein Wunschtraum wäre, dass der Erlös aus meinen Bildern armen Menschen, zum Beispiel Kindern oder Arbeitslosen, zugute kommt.»

 

[Kasten]

Flucht vor der Geheimpolizei

Im Oktober 1956 bricht die Welt von Josef Bencze (*1936) zusammen. Aufgewachsen ist er auf einem Bauernhof im südwestungarischen Dorf Böhönye, hatte als kleiner Bub «ein Maus- und Maulwurfsleben» geführt, wie er sagt, und den Krieg in Bunkern überlebt. Den Vater verliert er mit 8, die Mutter mit 18. Die Schule beginnt für ihn erst nach dem Ende des Kriegs. Trotzdem schafft er es mit 16 Jahren, allein nach Budapest zu gehen und dort auf einer Schiffswerft Maschinenschlosser zu lernen: «Eine harte, militärisch-straffe Ausbildung» sei es gewesen, «mit strengen, aber fähigen Lehrern, die mich respektiert haben». Das seien Kommunisten gewesen, die sich für wenig Geld einsetzten und mit Hingabe arbeiteten. Diese Leute hätten ihn geprägt.

1956 schliesst er die Lehre ab und steigt in den Beruf ein. Er treibt Sport, wird Charly-Chaplin-Fan, lernt im Nationaltheater eine neue Welt kennen, hat eine Freundin. Im Herbst verursacht die Donau in Südostungarn grosse Überschwemmungen. Bencze fährt in seinen Ferien mit Kollegen zum Aufräumen hin. Kurz darauf heisst es: Aufstand in Budapest und fremde Panzer im Land! Bencze reist auf einem Lastwagen zurück, seine Fabrik ist geschlossen, er beteiligt sich an Demonstrationen, die beschossen werden – von einem Kollegen, der neben ihm getroffen wurde, weiss er bis heute nicht, ob er damals starb. Dann die Warnung, die Geheimpolizei habe die Demonstrationen gefilmt, verhafte die Identifizierten systematisch. Bencze flieht zu Fuss Richtung Westen, schliesslich in einer Traktorspur durch den verminten Grenzstreifen hinüber nach Österreich. Als er Mitte November als politischer Flüchtling in der Schweiz eintrifft, hat er alles verloren. 

Beim Surfen finde ich eine ähnliche Geschichte über Josef Benzce, die Visit, das Magazin der Pro Senectute Zürich, in Nr. 3/2008 veröffentlicht hat unter dem Titel «Josef Bencze: Nachlass soll anderen zugute kommen». (14.7.2016)

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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